Tacheles Rechtsprechungsticker KW 36/2020

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

1.1 – BSG, Urt. v. 03.09.2020 – B 14 AS 24/17 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Aufgabenwahrnehmung durch eine Optionskommune – Unzulässigkeit der Aufgabenübertragung auf rechtlich selbstständige Verwaltungseinheit – Wahrnehmung der Aufgaben nach §§ 14 ff SGB 2 durch eine kAöR – Verstoß gegen das Einheitsprinzip – formelle Rechtswidrigkeit der erlassenen Verwaltungsakte

Eine Optionskommune nach § 6a SGB II verstößt gegen das im SGB II angelegte Einheitsprinzip, wenn sie die “aktive” und die “passive” Leistungsgewährung durch zwei unterschiedliche, rechtlich verselbständigte Verwaltungseinheiten wahrnehmen lässt.

Leitsatz (Redakteur)
1. Das SGB II enthält als bundesrechtlich Vorgabe den Grundsatz der Leistungen aus einer Hand.

2. Dies schließt die Beauftragung Dritter mit der Wahrnehmung einzelner Aufgaben nicht aus (vgl § 6 Abs 1 Satz 2 SGB II). Vorliegend hat der Landkreis als zugelassener kommunaler Träger indes die kAöR nicht mit der Wahrnehmung einzelner Aufgaben beauftragt, sondern alle Aufgaben und Zuständigkeiten nach “Kapitel 3 Abschnitt 1 SGB II”, also die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, übertragen, während die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff SGB II bei ihm verblieben. Die Aufspaltung der zwei zentralen Leistungen nach dem SGB II auf zwei Rechtsträger verstößt gegen den genannten Grundsatz.

Quelle: www.bsg.bund.de

1.2 – BSG, Urt. v. 03.09.2020 – B 14 AS 40/19 R u. B 14 AS 37/19 R

Hartz IV Empfänger in Berlin können nach BSG Rechtsprechung höhere Kosten der Unterkunft geltend machen, denn Gerichte dürfen keine eigenen schlüssigen Konzepte erstellen – Wohnkosten auf Basis von Mittelwerten eines Mietspiegels rechtswidrig

Leitsatz (Redakteur)
Gerichte dürfen kein eigenes schlüssiges Konzept aufstellen (BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 24/18 R).

Orientierungshilfe (Redakteur)
1. Ist der vom Jobcenter seiner Entscheidung zugrunde gelegte Angemessenheitswert für den Bedarf für die Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu beanstanden und sieht sich das Jobcenter nicht in der Lage, diese Beanstandungen auszuräumen, so hat das Gericht zur Herstellung der Spruchreife der Sache und Bestimmung eines lokalen Angemessenheitswerts den Rückgriff auf einen Mietspiegel zu prüfen, wenn ein solcher vorliegt. Es darf aber kein eigenes schlüssiges Konzept aufstellen.

2. Zudem muss das Gericht sich die Überzeugung davon verschaffen, dass zu dem von ihm so festgesetzten abstrakten Angemessenheitswert Wohnungen im Vergleichsraum tatsächlich verfügbar sind.

3. Die unter Hinweis auf eine Veröffentlichung von Richterinnen und Richtern des SG Berlin getroffene Setzung des LSG, die Angemessenheitswerte aufgrund der Mittelwerte der Tabellenfelder des Berliner Mietspiegels zu bestimmen, hält dieser Überprüfung nicht stand.

4. Aus der angeführten “Überzeugung, dass mit der Einbeziehung der mittleren durchschnittlichen Mietspiegelwerte in gewichteten Anteilen die potenziell zumutbare und damit abstrakt angemessene Kaltmiete am gerechtesten bestimmt werden kann” (ArchsozArb 2010, 28, 34), kann nicht auf die Häufigkeit geschlossen werden, mit der die dem Mittelwert zugrunde liegende durchschnittliche Wohnung zur Verfügung steht. Auch früheren Urteilen des Senats kann derartiges nicht entnommen werden (vgl BSG vom 19.10.2010 – B 14 AS 2/10 R).

Quelle: www.bsg.bund.de und www.bsg.bund.de

Rechtstipp:
Siehe auch dazu BSG, Urt. v. 03.09.2020 – B 14 AS 37/19 R

Dazu auch RA Kay Füßlein aus Berlin mit Leitsatz:
1. “Gerichte dürfen kein eigenes schlüssiges Konzept aufstellen“

2. Die Annahme, dass BSG habe das in • Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit Nr. 1/2010 S. 28 – 42; veröffentlichte Konzept gebilligt ist nichtzutreffend.

3. Es ist zu überprüfen, ob es am Markt tatsächlich verfügbare Wohnungen für die aus Mietspiegel abgeleitete Angemessenheitsgrenze gibt.

Hinweis:
S. a. dazu: Wohnkosten nicht auf Basis von Mittelwerten eines Mietspiegels

Angemessene Wohnkosten dürfen von Sozialgerichten nicht auf Basis von Mittelwerten eines einfachen Mietspiegels bestimmt werden. Das hat das Bundessozialgericht mit zwei Urteilen vom 03.09.2020 entschieden. Der Mietspiegel dürfe zwar im Zweifelsfall verwendet werden, zusätzlich müsse dann aber ermittelt werden, ob konkret Wohnungen in ausreichender Zahl zu den angesetzten Mieten auf dem Markt verfügbar seien.

Quelle: beck aktuell

1.3 – BSG, Urt. v. 03.09.2020 – B 14 AS 34/19 R

Zum Konzept für die Ermittlung angemessener Mieten für die Stadt Hof, hier rechtswidrig.

Leitsatz (Redakteur)
Wird der Wohnungsmarkt nicht deutlich überwiegend oder nahezu ausschließlich durch große Wohnungsunternehmen und Genossenschaften geprägt, bedarf es zur repräsentativen Abbildung des Wohnungsmarktes der Sicherstellung, dass auch ausreichend Daten von kleineren Vermietern in die Erhebung einfließen.

Orientierungshilfe (Redakteur)
Das Konzept des Beklagten bzw dessen Fortschreibung ist nicht geeignet, die Angemessenheit des Bedarfs für die Kosten der Unterkunft der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum zu definieren.

Quelle: www.bsg.bund.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Hamburg, Urt. v. 19.06.2020 – L 4 AS 332/17

Leitsatz (Redakteur)
Grundsätzlich ohne Bedeutung ist die Person des Vermieters bei der Übernahme der Aufwendungen für die Unterkunft durch das JC.

Orientierungshilfe (Redakteur)
1. Tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft hat der Hilfebedürftige zunächst dann, wenn er tatsächlich Mietzahlungen erbringt. Tatsächliche Aufwendungen sind aber nicht nur im Fall tatsächlicher erbrachter Mietzahlungen anzuerkennen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts reicht es aus, dass der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist (vgl. BSG, Urteil vom 3.3.2009 – B 4 AS 37/08 R). Grundsätzlich ohne Bedeutung ist die Person des Vermieters.

2. Auch unter engen Verwandten können rechtlich wirksam Mietverträge geschlossen und damit vertragliche Verpflichtungen, wie beispielsweise die Mietzahlungspflicht, begründet werden. Voraussetzung für die Annahme einer wirksamen Mietzinsforderung zwischen Verwandten ist auch nicht, dass ein Mietvertrag vorliegt, der einem sog. Fremdvergleich standhält, d.h. nach Inhalt und tatsächlicher Durchführung dem zwischen Fremden Üblichen entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 3.3.2009 – B 4 AS 37/08 R). Entscheidend ist daher letztlich allein, ob die Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt waren, hier bejahend.

3. Unerheblich ist insoweit zunächst, ob der Vermieter einer Untervermietung zugestimmt hat. Eine wirksame Mietzinsforderung setzt zwar einen wirksamen Untermietvertrag voraus, die Zustimmung des Vermieters zur Untervermietung ist hierfür aber nicht Voraussetzung.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
Sozialgericht Schleswig, Beschluss vom 6. Oktober 2011- S 1 AS 137/11 ER
Ein Fehlen einer Untervermietungserlaubnis (§ 540 Abs. 1 Satz 1 BGB) berührt die Wirksamkeit eines mit einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten geschlossenen Untermietvertrags nicht.

Die Untervermietungserlaubnis wirkt einzig im Verhältnis zwischen dem Wohnungsgeber und dem Hauptmieter.

S. a. dazu: sozialberatung-kiel.de

2.2 – Hessisches Landessozialgericht, Urt. v. 08.07.2020 – L 6 SF 7/19 EK AS

Rechtsschutz bei unangemessener Dauer eines gerichtlichen Verfahrens

Leitsatz (Juris)
1. Eine Verzögerungsrüge ist regelmäßig unwirksam, weil zweckwidrig und daher rechtsmissbräuchlich erhoben, wenn der Entschädigungskläger mit ihr zuwartet, bis ein baldiger Verfahrensabschluss – auch ohne Verzögerungsrüge – sich abzeichnet, und also davon auszugehen ist, dass er sein Verhalten an dem Ziel orientiert hat, eine möglichst hohe Entschädigungssumme zu erhalten.

2. Zu der bei der Beurteilung einer unangemessenen Verfahrensdauer anzustellenden Gesamtabwägung und den dabei zu berücksichtigenden Umständen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Köln, Gerichtsbescheid vom 21. August 2020 (S 7 AS 4120/19):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Eine Zahlungsaufforderung eines Jobcenters stellt keinen Verwaltungsakt nach § 31 Satz 1 SGB X dar.

Aus einer Zahlungsaufforderung geht keine Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X hervor. Hiermit wird nicht über die Begründung einer Forderung des SGB II-Trägers entschieden. Die zugrunde liegende Forderung wurde bereits durch eine gesonderte Verfügung dieser Sozialbehörde begründet.

Eine isolierte Anfechtung einer Zahlungsaufforderung als unselbständige Vorbereitungshandlung im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung mit einem Widerspruch oder einer Klage vor dem Sozialgericht ist somit nicht zulässig.

3.2 – Sozialgericht Köln, Gerichtsbescheid vom 5. August 2020 (S 7 AS 4121/19):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Beim Anspruch eines Alg II-Empfängers auf Leistungen des Regelbedarfs nach § 20 Abs. 1 SGB II handelt es sich unstreitig um Geldleistungen im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB I.

Die Fälligkeit von Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II fällt in der Regel mit dem Entstehen des Anspruchs gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II zusammen.

Die Verzinsungspflicht wegen vom Jobcenter zu Unrecht in Anwendung der §§ 31 ff. SGB II einbehaltener Minderungsbeträge beginnt entsprechend § 44 Abs. 1 SGB I nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt der Fälligkeit und endet mit Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung.

3.3 – Sozialgericht Köln, Urteil vom 3. März 2020 (S 28 AS 5110/18):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Kontrolle der Personalien der eine Jobcenter-Dienststelle betretenden Personen und in der Folge die Versagung des Zutritts wegen Personalienverweigerung stellt bereits das gewohnheitsrechtlich anerkannte öffentlich-rechtliche Hausrecht dar.

Einem SGB II-Träger muss die Möglichkeit eingeräumt sein, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Beschäftigten und des Publikums jeweils Kenntnis darüber zu erlangen, wer sich innerhalb des Behördengebäudes aufhält. Dies gilt auch, um Adressaten eines Hausverbots ermitteln und die Einhaltung von Hausverboten kontrollieren zu können.

Die Ausweispflicht einer als Beistand eines Arbeitslosengeld II-Empfängers im Jobcenter auftretenden Person folgt aus § 3 RDG in Verbindung mit § 13 Abs. 5 SGB X. Um einer Sozialbehörde die Prüfung zu ermöglichen, ob ein Beistand entsprechend § 3 RDG in zulässiger Weise Rechtsdienstleistungen erbringt, haben Bevollmächtigte und Beistände dem Jobcenter gegenüber auf Aufforderung stets ihre Identität offenzulegen.

3.4 – Sozialgericht Düsseldorf, Gerichtsbescheid v. 29.07.2020 – S 15 AS 144/20

Gewährung eines Mehrbedarfs wegen Schwerbehinderung § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II, hier verneinend, da keine Leistungen zur Teilnahme am Arbeitsleben nach § 49 SGB IX mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Abs. 3 Nr. 2 und 5 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 3 SGB XII erbracht werden.

Orientierungshilfe (Redakteur)
1. Der Mehrbedarf nach § 23 Nr. 4 SGB II wird nur an nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht, die voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) sind. Für erwerbsfähige Leistungsberechtigte – wie der Kläger –, die Inhaber eines Ausweises mit dem Merkzeichen “G” sind, scheidet eine analoge Anwendung des § 23 Nr. 4 SGB II aus, weil es an einer planwidrigen Lücke fehlt. Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, erwerbsfähigen Leistungsberechtigten einen Mehrbedarf allein wegen ihrer Schwerbehinderung und der Zuerkennung des Merkzeichens “G” nicht zugänglich zu machen.

2. Der Kläger kann einen Anspruch auf Leistungen für Mehrbedarf für erwerbsfähige Menschen mit Behinderungen auch nicht auf Art. 3 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit § 30 Abs. 1 SGB XII oder § 23 Nr. 4 SGB II stützen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, weil das Ziel der Eingliederung in Arbeit ein zulässiges Differenzierungskriterium darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 – B 4 AS 29/09 R).

Quelle: dejure.org

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

4.1 – LSG NRW, Urt. v. 20.08.2020 – L 9 AL 189/18

Keine Berücksichtigung von Dienstbezügen während Bundeswehr-Eignungsübung bei Berechnung des Arbeitslosengeldes

Das LSG Essen hat entschieden, dass Dienstbezüge während der Zeit einer Eignungsübung kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt im Sinne von § 151 SGB III sind und daher bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes nicht berücksichtigt werden können.

Kurzfassung:
Nach Auffassung des Landessozialgerichts ist das maßgebliche Bemessungsentgelt das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Dienstbezüge stellten allerdings kein Arbeitsentgelt in diesem Sinn dar, zumal der Kläger gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III von der Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung befreit gewesen sei. Dementsprechend unterwerfe § 10 Satz 3 Eignungsübungsgesetz (EÜG) die Einnahmen aus der Tätigkeit als Eignungsübender ausdrücklich nicht der Beitragspflicht. Stattdessen werde an den zuletzt vor Beginn der Eignungsübung gezahlten Beitrag angeknüpft. Diese Regelung werde noch durch die Abkehr vom Paritätsprinzip unterstrichen. Denn gemäß § 10 Satz 2 EÜG sei der Beitrag nicht von Beschäftigtem und Arbeitgeber jeweils hälftig, sondern allein vom Bund zu tragen.

Das EÜG solle der Personalgewinnung der Streitkräfte dienen und regele den Einfluss von Eignungsübungen auf Arbeits- und Beamtenverhältnisse. Es bezwecke, sozialversicherungsrechtliche Nachteile für die Eignungsübenden zu vermeiden. Das werde erreicht, indem der Anspruch auf Arbeitslosengeld dem Grunde nach erhalten bleibe. Auf die Höhe des Anspruches wirke sich die Eignungsübung hingegen nicht aus.

Quelle: Pressemitteilung des LSG Essen v. 03.09.2020

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte u. Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Sächsisches Landessozialgericht, Urt. v. 12.11.2019 – L 8 SO 7/17 – Revision anhängig BSG B 8 SO 12/20 R

Zur Bemessung und Funktion des angemessenen Barbetrags als Bestandteil des Weiteren notwendigen Lebensunterhalts in stationären Einrichtungen. Hier: Zur Übernahmefähigkeit von Kosten für einen Internetanschluss.

Orientierungshilfe (Redakteur)
Die monatlichen Internetkosten iHv 5,00 EUR muss die Klägerin aus dem ihr gemäß § 27b Abs. 2 Satz 1 SGB XII gewährten und angemessenen Barbetrag bestreiten. Der Barbetrag enthalte in erheblichem Umfang Anteile zur Deckung des Bedarfs der Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Er enthalte – bezogen auf den Regelsatz – einen Anteil zum Kauf von Telefonen, Telefaxgeräten, Mobiltelefonen und Anrufbeantwortern, ferner einen Anteil für Kommunikationsdienstleistungen für Internet- und Onlinedienste.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.2 – Sozialgericht Dresden, Gerichtsbescheid vom 27. Mai 2020 (S 21 SO 230/17):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Einzig bei minderjährigen Bedürftigen ist das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen (§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) zuzurechnen, soweit es bei diesem jungen Menschen zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts (§ 19 Abs. 2 SGB XII) benötigt wird (§ 82 Abs. 1 Satz 3 SGB XII).

Auch bei einer erwachsenen Bedürftigen (§ 19 Abs. 2 und 3 SGB XII), die schwerbehindert (GdB: 100; Zuerkennung der Merkzeichen “B”, “G” und “H”) und deshalb in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe (§ 90 SGB IX n. F.) untergebracht ist, hat Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG nicht das Kind, sondern der berechtigte Elternteil (§ 62 Abs. 1 EstG).

Dies gilt auch dann, wenn die Kindergeldzahlungen formal auf dem Konto des behinderten Kindes eingehen. Die Tatsache, dass die Familienkasse die Kindergeldzahlungen einem Konto anweist, das die Kindergeldberechtigten und der Vermögensbetreuer (§§ 1896 ff. BGB) der erwachsenen Heimbewohnerin eingerichtet haben und als Kindergeldkonto verwalten, kann die Zuordnung dieses Einkommens bei den anspruchsberechtigten Eltern nicht ändern. Die Zugriffsmöglichkeiten der Eltern und des Vermögensbetreuers auf diese Bankverbindung bestehen zu jeder Zeit in ungeschmälerter Form.

6.   Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbL

6.1 – Sozialgericht Marburg, Beschluss v. 28.08.2020 – S 9 AY 20/20 ER

Regelbedarfsstufe 1 in Sammelunterkünften – Ein Verwaltungsakt, der eine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG enthält, ohne diese nach § 14 Abs. 1 AsylbLG zu befristen, ist rechtswidrig

Leitsatz (Redakteur)
1. Ergreift eine Behörde das Mittel der Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG, sieht § 14 Abs. 1 AsylbLG ausdrücklich die Verpflichtung vor, die Einschränkung zu befristen, hier rechtswidrig.Zur Überzeugung des Gerichts liegt kein plausibler Beleg für die Annahme vor, dass in Gemeinschaftsunterkünften lebende Personen grundsätzlich gemeinsam wirtschaften wie Partner einer Bedarfsgemeinschaft.

2. Aufgrund der gesamtgesellschaftlich und teilweise staatlich vorgegebenen und zweifellos sinnvollen Kontaktbeschränkungen kann der skizzierte Einsparungseffekt zu Zeiten der Corona-Pandemie mit noch wesentlich geringerer Wahrscheinlichkeit tatsächlich eintreten (vgl. SG Berlin, Beschluss vom 19.05.2020 – S 90 AY 57/20 ER).

Orientierungshilfe (Redakteur)
1. Aus dem Befristungserfordernis ergibt sich zwingend, dass das konkrete Datum des Beginns und vor allem des Endes der Anspruchseinschränkung ausdrücklich festgestellt werden muss. Ein Verwaltungsakt, der eine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG enthält, ohne diese nach § 14 Abs. 1 AsylbLG zu befristen, ist rechtswidrig (vgl. Bay. LSG, Beschluss vom 19.03.2018 – L 18 AY 7/18 B ER –, Juris Rn. 24; LSG Meckl.-Vorp., Beschluss vom 21.06.2018 – L 9 AY 1/18 B ER –, Juris Rn. 47; LSG Baden-Württ., Beschluss vom 18.06.2018 – L 7 AY 1511/18 ER-B –, Juris Rn. 10; Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 14 AsylbLG Rn. 18).

2. Es bestehen bereits erhebliche Zweifel seitens des Gerichts, ob § 2 AsylbLG überhaupt eine Grundlage für einen dauerhaften Ausschluss von Analogleistungen liefert (vgl. auch SG Landshut, Beschluss vom 06.05.2019 – S 11 AY 38/19 ER).

3. Die Kammer schließt sich insoweit der, soweit ersichtlich, mehrheitlich zu dieser Frage vertretenen Auffassung in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung an. Eine verfassungskonforme Auslegung der Norm gebietet, dass als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die tatsächliche und nachweisbare gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen in der Sammelunterkunft Untergebrachten vorausgesetzt wird, wofür die objektive Beweislast und im Eilverfahren die Darlegungslast beim Leistungsträger liegt (vgl. LSG Meckl.-Vorp., Beschluss vom 10.06.2020 – L 9 AY 22/19 B ER –, Juris Rn. 17 ff.; Sächs. LSG, Beschluss vom 23.03.2020 – L 8 AY 4/20 B ER –, Juris Rn. 38; SG Landshut, Beschluss vom 28.01.2020 – S 11 AY 3/20 ER –, Juris Rn. 59 ff.; Beschluss vom 23.01.2020 S 11 AY 79/19 ER –, Juris Rn. 38 ff.; Beschluss vom 24.10.2019 – S 11 AY 64/19 ER –, Juris Rn. 53 ff.; SG Frankfurt, Beschluss vom 14.01.2020 – S 30 AY 26/19 ER –, Juris Rn. 12 ff.; SG Bremen, Beschluss vom 03.07.2020 – S 39 AY 55/20 ER, Juris Rn. 20 ff.; SG München, Beschluss vom 10.02.2020 – S 42 AY 82/19 ER –, Juris Rn. 57; SG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 20.01.2020 – S 7 AY 5235/19 ER –, Juris Rn. 33 ff.; Oppermann/Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 2 AsylbLG Rn. 170; Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 3a AsylbLG Rn. 41 ff.).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

7.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

7.1 – OVG Sachsen, Beschluss vom 25. Januar 2019 (3 B 208/18):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Keine Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 35a Abs. 1 und 3 SGB VIII in Verbindung mit § 90 Abs. 4 SGB IX (n.F.) in der Form der Übernahme der Kosten einer Internetschule im Fall eines seelisch wesentlich behinderten (GdB: 70) und pflegebedürftigen (Pflegestufe 4) Schülers mit sozialpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung.

Die Gewährung von Eingliederungshilfe zu einer angemessenen Schulbildung erfolgt grundsätzlich im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Die Beschulung im öffentlichen Schulsystem hat auch unter Heranziehung von unterstützenden Maßnahmen Vorrang.

Der Besuch einer Privatschule kann im Rahmen der Eingliederungshilfe nur gefördert werden, wenn weder eine Regel- noch eine Förderschule einem seelisch behinderten Kind ausreichende Bildung vermitteln kann. Die Privatschule hat hier eine inklusive Beschulung zu leisten, die in einer vom behinderten Schüler erreichbaren Regelschule nicht möglich ist.

Wegen des Nachrangs der Kinder- und Jugendhilfe gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII darf keine Möglichkeit bestehen, diesen Hilfebedarf an einer angemessenen Schulbildung innerhalb des öffentlichen Schulsystems zu decken. Dies liegt nicht vor, wenn in keiner Weise feststeht, dass dieses schulpflichtige Kind aus gesundheitlichen Gründen in keiner öffentlichen Schule gefördert oder integrativ unterrichtet werden kann, was zu einem Ruhen der Schulpflicht führt.

7.2 – Hamburgisches Oberverwaltungsgericht 4. Senat, Urteil vom 18.08.2020, 4 Bf 160/19

Wohnung im Sinne von Art 13 GG und § 23 Abs 1 HmbVwVGjuris: VwVG HA 2013)

1. Bewohnen Asylbewerber in einer öffentlichen Gemeinschaftsunterkunft zwei ihnen zur alleinigen Nutzung zugewiesene, für sie verschließbare Zimmer und nutzen sie darüber hinaus allen Bewohnern der Unterkunft zur Verfügung stehende Gemeinschaftsräume (Küche, Bad), handelt es sich (nur) bei den beiden Zimmern um eine Wohnung im Sinne von Art. 13 GG und § 23 Abs. 1 HmbVwVG.

2. Regelmäßig stellt das Betreten einer Wohnung durch Behördenmitarbeiter, um dort Personen zum Zwecke der Abschiebung aufzufinden und zu ergreifen, eine Durchsuchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG und § 23 HmbVwVG dar. Dabei ist auf die ex ante Perspektive des handelnden Behördenmitarbeiters abzustellen.

Quelle: www.rechtsprechung-hamburg.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker