Hessisches Landessozialgericht – Beschluss vom 09.06.2021 – Az.: L4 AY 5/21 B ER

BESCHLUSS

In dem Beschwerdeverfahren

L 4 AY 5/21 B ER
S 16 AY 29/20 ER (Sozialgericht Darmstadt)

xxx,

Antragstellerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Kreis Offenbach, vertreten durch den Kreisausschuss – Fachdienst Kommunalaufsicht und Recht -, Werner-Hilpert-Straße 1, 63128 Dietzenbach,

Antragsgegner und Beschwerdegegner,

hat der 4. Senat des Hessischen Landessozialgerichts in Darmstadt am 9. Juni 2021 durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht xxx, die Richterin am Landessozialgericht xxx und die Richterin am Landessozialgericht xxx beschlossen:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Januar 2021 aufgehoben und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig folgende weitere Leistungen nachzuzahlen bzw. zu erbringen:

Für Oktober 2020: 35 €
Für November 2020: 42,83 €
Für Dezember 2020: 67,44 €
Für Januar bis einschließlich Juli 2021 monatlich jeweils: 69,44 €.

Im Übrigen werden der Antrag und die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

GRÜNDE

Die Beschwerde der Antragstellerin vom 26. Januar 2021 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Januar 2021 mit dem Antrag (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Januar 2021 aufzuheben den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerin vom 1. Oktober 2020 – Az: 53377.79455.02 – unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen in verfassungsgemäßer Höhe in der Regelbedarfsstufe 1 ab Eingang dieses Antrages bei Gericht zu gewähren

ist zulässig und weitgehend begründet.

Die Beschwerde ist insbesondere nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 SGG statthaft. Hiernach ist die Beschwerde ausgeschlossen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte, u.a. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt. Bei der Wertberechnung ist nicht auf den Streitgegenstand einer tatsächlich anhängigen Hauptsache abzustellen. Auszugehen ist von dem Wert des Streitgegenstandes, über den das Sozialgericht tatsächlich entschieden hat. Weicht der Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von dem Antrag im Hauptsacheverfahren ab, ist im Rahmen von § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG auf das Begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und auf den dortigen Beschwerdewert abzustellen, nicht auf den des Hauptsacheverfahrens. Sind laufende Leistungen streitgegenständlich, so ist danach zu differenzieren, ob es sich – z.B. bei einer nach Auffassung des Antragstellers zu geringen Leistungsbewilligung – um einen abgeschlossenen Zeitraum handelt, bei der das Ende des Bewilligungszeitraums eine Zäsur bildet, oder aber, ob zukunftsoffen Leistungen begehrt werden. Bei einem zukunftsoffenen Antrag ist die Beschwer nicht etwa auf die Versagung von Leistungen beschränkt, die bis zum Datum der erstinstanzlichen Entscheidung beansprucht werden. Beschwert ist der Antragsteller auch dadurch, dass ihm darüber hinaus Leistungen für die Zukunft versagt werden. In Konkretisierung seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung (dazu: Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2020, L 4 AY 22/20 B ER, juris Rdnr. 15) geht der Senat für den Fall einer mit einem Widerspruch angegriffenen monatsweisen Bewilligung, bei der die Folgemonate nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werden (Senatsbeschluss in einem parallel gelagerten Rechtsstreit vom 13. April 2021, L 4 AY 3/21 B ER – juris – mit umfangreichen Nachweisen), dann von einem 12-Monats-Zeitraum aus, wenn zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde noch nicht über den Widerspruch entschieden worden ist (im Ergebnis auch Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Juli 2020, L 8 AY 52/20 B ER, juris Rdnr. 15 m.w.N.). Eine solche pauschale Betrachtungsweise erscheint sachgerecht, denn eine konkrete Prognose, welchen Zeitraum der Antragsteller für den Zeitraum nach Einleitung des Beschwerdeverfahrens noch maximal beanspruchen könnte, führt zu höchst zufälligen Ergebnissen. Da es sich bei Leistungen nach dem AsylbLG nicht um rentengleiche Dauerleistungen handelt, zieht der Senat als Begrenzung jedenfalls für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Wertung des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG heran.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts handelt es sich beim Bescheid vom 14. August 2020 nicht um einen Dauerverwaltungsakt, der dazu führen könnte, dass ein am 28. September 2020 eingelegter Widerspruch verfristet wäre. Vielmehr wurden mit diesem Bescheid nur Leistungen für August und September 2020 gewährt; in den Folgemonaten wurden durch Auszahlung konkludent Leistungen monatsweise bewilligt.

Bei der Abgrenzung von monatsweisen Bewilligungen zu Dauerverwaltungsakten über den Monat hinaus geht der Senat von folgenden Auslegungsgrundsätzen aus: Ob und in welchem Umfang eine Leistungsbewilligung einen Dauerverwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung am Maßstab des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln (vgl. zum objektiven Empfängerhorizont Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Mai 2014, B 8 SO 26/12 R, juris Rdnr. 16). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, kann der objektive Regelungsgehalt eines Bescheids im Bereich des AsylbLG zeitlich auf einen Monat beschränkt sein, wenn die Bewilligung z.B. „ab dem 1. Juli 2003″ bewilligt, die Bewilligung aber auf den Monat beschränkt mit dem folgenden Zusatz versehen ist: „Werden aufgrund gleich gebliebener Verhältnisse Leistungen für künftige Zeiträume durch Überweisung bewilligt, entsprechen die Berechnung und Festsetzung der Einzelansprüche denen des vorliegenden Bescheides“ (Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Juni 2008, B 8/9b AY 1/07 R, Rdnr. 11; mit der die Rechtsauffassung aus Bundessozialgericht, Urteil vom 8. Februar 2007, B 9b AY 1/06 R teilweise aufgegeben wurde). Die Bewilligung für die Folgemonate erfolgt dann monatsweise nicht schriftlich, sondern nach § 33 Abs. 2 SGB X auf andere Weise jeweils konkludent durch Überweisung (Bundessozialgericht, a.a.O.). Der erkennende Senat hat zudem bereits entschieden, dass eine Formulierung wie „Die festgesetzte Hilfe wird grundsätzlich für einen Monat bewilligt. Zahlungen, die dieser Bewilligung folgen, stellen eine Neubewilligung dar“, für eine monatsweise Bewilligung spricht (Beschluss vom 21. September 2018, L 4 AY 10/18 B ER). Demgegenüber ist die Bezeichnung eines Bescheides als „Änderungsbescheid“ ein Umstand, der für einen Dauerverwaltungsakt sprechen kann (Senatsbeschlüsse vom 18. Juni 2019, L 4 SO 107/19 B ER, vom 23. März 2017, L 4 SO 36/17 B ER und L 4 SO 37/17 B ER). Die Formulierung „bis auf weiteres“ im Verfügungssatz ohne eine weitere einschränkende Formulierung spricht auch dann für einen Dauerverwaltungsakt, wenn im Übrigen im Verfügungssatz oder den Anlagen lediglich eine Berechnung oder eine Bezifferung für einen bestimmten Leistungsmonat genannt wird.

Gemessen an diesem Maßstab handelt es sich beim Bescheid vom 14. August 2020 nicht um einen zukunftsoffen gestalteten Dauerverwaltungsakt. Insoweit nimmt der Senat auf seine ausführliche Begründung in dem Parallelverfahren L 4 AY 3/21 B ER Bezug, in welchem wortgleiche Bescheide des Beklagten Streitgegenstand waren. Auf dieser Auslegungsgrundlage ist der die Beschwer prägende Streitgegenstand die teilweise Leistungsversagung ab Oktober 2021, die mit einem Widerspruch angegriffen wurde, über den noch nicht entschieden worden ist. Die Folgezeiträume sind nach § 86 SGG analog Gegenstand dieses Widerspruchsverfahrens geworden. Der Bescheid vom 13. Januar 2021 markiert keine Zäsur. Zwar kann unter hier nicht weiter darzustellenden Umständen der Wechsel in der Bewilligungspraxis von monatsweisen Bewilligungen auf längere Bewilligungszeiträume insbesondere im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Widerspruch über die vorausgehenden Zeiträume eine maßgebliche Zäsur für die Beschwer darstellen. Der Bescheid vom 13. Januar 2021 erläutert sein Verhältnis zum laufenden Widerspruchsverfahren zudem nicht. Er beschränkt sich auf drei Änderungen der (monatsweisen s.o.) Bewilligungen für die Monate November, Dezember 2020 und Januar 2021. Die Bewilligungen ab Februar 2021 erfolgten ausweislich der „Allgemeinen Hinweise“ wieder konkludent monatlich. Allein die Bezugnahme auf eine mit dem Sozialgericht rechtsirrige „Änderung des Bescheides vom 14. August 2020“ und die Bezeichnung als „Änderungsbescheid“ schlägt demgegenüber nicht durch. Auch dieser Bescheid ist nach § 86 SGG analog Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen die Bewilligungen seit Oktober 2020 geworden. Die Beschwer liegt bei Berücksichtigung eines Zeitraumes bis einschließlich September 2021 (12 Monate) bei über 750 € (vgl. die Berechnung im Parallelverfahren L 4 AY 3/21 B ER).

Der Antrag ist am Maßstab von § 86b Abs. 2 SGG weitgehend begründet. Am o.g. Maßstab bestehen insbesondere eine hinreichende Aussicht, dass die Antragstellerin in der Hauptsache mit Erfolg ihren Anspruch durchsetzt; ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist damit, dass der Antragsteller einen materiell-rechtlichen Leistungsanspruch in der Hauptsache hat (Anordnungsanspruch) und es ihm nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Diese Anforderungen sind im Lichte der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) zu konkretisieren (zum Folgenden: BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 –, juris, Rn. 10 m.w.N.). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich – etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte –, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung erfolgt. Übernimmt das einstweilige Rechtsschutzverfahren allerdings vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens und droht eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung der Beteiligten, müssen die Gerichte bei den Anforderungen an die Glaubhaftmachung zur Begründung von Leistungen zur Existenzsicherung in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG Rechnung tragen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung haben sich am Rechtsschutzziel zu orientieren, das mit dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren verfolgt wird.

Gemessen an diesem Maßstab hat die Antragstellerin für den Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis 25. November 2020 die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs aus §§ 3, 3a AsylbLG und für den nachfolgenden Zeitraum ab 26. November 2020 aus § 2 AsylbLG auf Gewährung der Leistungen glaubhaft gemacht, die alleinstehenden Erwachsenen ohne die Differenzierung nach Wohnung oder Gemeinschaftsunterkunft zustehen. Eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 3, 3a AsylbLG bzw. § 2 AsylbLG ist geboten und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch möglich. Zudem führt der Anwendungsvorrang von Art. 1 und 20 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (GRC) i.V.m. Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahme-RL) zur Anwendung zur Regelbedarfsstufe 1. Der Senat verkennt dabei nicht, dass sich sowohl bei der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung als auch bei der Reichweite des Anwendungsvorrangs der Unionsgrundrechte in Verbindung mit dem Gesetzgebungsauftrag aus Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 Aufnahme-RL um schwierige und streitige Rechtsfragen handelt, geht aber in der Summe zweier unabhängig voneinander für die Anwendung der Regelbedarfsstufe 1 streitender Rechtssätze von einer hinreichenden Erfolgsaussicht aus. Zur Begründung verweist der Senat erneut auf die detaillierten Darlegungen in dem parallel gelagerten Rechtsstreit L 4 AY 3/21 B ER – juris -.

Die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des AsylbLG und die Leistungsberechtigung dem Grunde nach gemäß §§ 3, 3a AsylbLG bzw. § 2 AsylbLG ist zwischen den Beteiligten unstreitig und auch nach Auffassung des Senats im Übrigen unzweifelhaft.

Der Höhe nach beruft sich nach summarischer Prüfung der Antragsgegner zu Unrecht auf § 3a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG, § 3a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG und § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG. Diese Ausnahmeregelungen zum Grundsatz, dass Alleinstehende Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 bzw. der vergleichbaren Stufe des § 3a AsylbLG beziehen, dürften entweder einer verfassungskonformen Auslegung zu unterziehen sein und wären dann nach dem Auslegungsergebnis nicht erfüllt oder aber wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts unanwendbar. Zur Begründung verweist der Senat erneut auf die detaillierten Darlegungen in dem parallel gelagerten Rechtsstreit L 4 AY 3/21 B ER – juris -.

Die Voraussetzungen der verfassungskonform ausgelegten § 3a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG, § 3a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG und § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG sind nach der summarischen Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht erfüllt.

Nach ihren unwidersprochen gebliebenen, für den Senat nachvollziehbaren Ausführungen, lebt die Antragstellerin in der Gemeinschaftsunterkunft auf Distanz zu den übrigen Mitbewohnern. Sie lebt in einem Einzelzimmer mit eigenem Kühlschrank. Angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin die Nutzung der Gemeinschaftsunterkunft u.a. angesichts der Covid-19-Pandemie meidet, liegt ein gemeinsames Kochen mit benachbarten Familien auch praktisch eher fern.

§ 3a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG, § 3a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG und § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG sind bei wortlautgetreuer Auslegung nach summarischer Prüfung nicht mit Art. 1 GRC, Art. 20 GRC i.V.m. Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 Aufnahme-RL zu vereinbaren. Wegen des gleichzeitigen Verstoßes gegen Unionsgrundrechte greift hier nicht lediglich die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, die den gleichen Restzweifeln unterliegt wie die verfassungskonforme Auslegung. Vielmehr führt der Anwendungsvorrang von Art. 1 und Art. 20 GRC zur Nichtanwendung der unionsrechtswidrigen Ausnahmeregelungen der § 3a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG, § 3a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG und § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG und zur wohnsituationsunabhängigen Anwendung der Regelbedarfsstufen bei Alleinstehenden. Zur Begründung verweist der Senat erneut auf die detaillierten Darlegungen in dem parallel gelagerten Rechtsstreit L 4 AY 3/21 B ER – juris -.

Die Antragstellerin unterfällt nach Art. 3 Abs. 1 Aufnahme-RL dem persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie. Die türkische Staatsangehörige hat am 29. Mai 2019 nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 25. Mai 2019 einen Asylantrag gestellt; mithin ist sie eine Drittstaatsangehörige, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats internationalen Schutz beantragt hat (zum Antrag auf internationalen Schutz i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Aufnahme-RL siehe § 13 Abs. 2 AsylG); sie ist Inhaberin einer Aufenthaltsgestattung, mithin darf sie als Antragstellerin im Hoheitsgebiet i.S.d. Art. 3 Abs. 1 letzter Hs. Aufnahme-RL verbleiben.

Da entweder die Voraussetzungen der verfassungskonform ausgelegten § 3a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG, § 3a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 b) AsylbLG und § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG nicht erfüllt sind oder wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts die Antragstellerin so gestellt werden muss wie Alleinstehende, die nicht in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, bemisst sich die Leistungshöhe nach § 3a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a) AsylbLG, § 3a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 a) AsylbLG bzw. § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylbLG.

Für den Zeitraum vom 1. Oktober 2020 bis einschließlich 25. November 2020 führt dies zu einem um 35 € (Oktober 2020: beantragte 351 € <153 € + 198 € > abzüglich bewilligter 316 € < 139 € + 177 € >) nebst 29,17 € (§ 3a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a) AsylbLG, § 3a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 a) AsylbLG, anteilig für November 2020: beantragte anteilige 292,50 € abzüglich bewilligter anteiliger 263,33 €) höheren Anspruch.

Für den Zeitraum vom 26. November 2020 bis 31. Dezember 2020 ist der Anspruch aus § 2 AsylbLG wie folgt zu berechnen, wobei die nachfolgende Berechnung eine Bindungswirkung nur für dieses Eilverfahren beansprucht: Auszugehen ist von Regelbedarfsstufe 1 i.H.v. 432 € abzüglich zumindest faktischer Sachleistungsgewährung der Abteilung 4 EVS i.H.v. 31,12 €, grundsätzlich abzüglich etwaiger weiterer Sachleistungsgewährungen nach § 2 Abs. 2 AsylbLG. Insoweit geht der Senat davon aus, dass bei der Antragstellerin die Bedarfe der Abteilung 4 EVS (Wohnen, Energie und Haushaltsinstandhaltung) vollständig als Sachleistung gedeckt wurden und auch gedeckt werden. Insoweit wirkt sich die Unbestimmtheit und Unvollständigkeit der Leistungsgewährung im Bescheid vom 14. Januar 2021 (dazu gleich), der nur Abzüge ausweist, aber keine entsprechende Sachleistungsgewährung enthält, jedenfalls am Maßstab eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht aus. Der Senat konnte davon ausgehen, dass dieser Bedarf vollständig faktisch gedeckt ist und auch weiterhin vollständig gedeckt wird. Etwas anderes gilt für die Rechnungsposition mit der Bezeichnung „abzgl. Kürzung: sonstige Gründe (in Notiz vermerken!)“ i.H.v. 24,44 €. Beabsichtigt ein Leistungsträger, Leistungen nach § 2 AsylbLG auf der Grundlage von § 2 Abs. 2 AsylbLG teilweise als Sachleistung zu gewähren, so ist durch einen Verfügungssatz zu bestimmen, welche Leistungen konkret in Form der Sachleistung gewährt werden, wenn gleichzeitig ein entsprechender Betrag von der Geldleistungsbewilligung im Übrigen abgezogen werden soll. Sollte es sich insoweit um den Abzug der Abteilung 5 EVS handeln (Innenausstattung, Haushaltsgeräte, laufende Haushaltsführung), die von Schwabe, ZfF 2020, 1<3> in kür-zungsorientierten Fallkonstellationen mit 24,34 € (§ 5 RBEG 2017) beziffert wird, was angesichts der von § 3a Abs. 2 AsylbLG vorausgesetzten Sachleistungsgewährung von Hausrat naheliegt, so fehlt hier eine entsprechende Sachleistungsbewilligung. Der Akte kann allein eine einmalige Geldleistungsgewährung mit Bescheid vom 14. August 2020 für die Anschaffung von Geschirr (Grundausstattung) i.H.v. 29,41 € entnommen werden, die ersichtlich nicht die vom Anspruch nach § 2 AsylbLG ab dem 26. November 2020 zu deckenden Bedarfe betrifft. Anders als bei den Bedarfen der Abteilung 4 kann auch hier nicht unterstellt werden, dass der Bedarf vollständig gedeckt ist, denn der möglicherweise von der Antragstellerin genutzte Hausrat macht nur einen Teil der von der Abteilung 5 erfassten Bedarfe aus. Da es an einer Sachleistungsbewilligung im Bescheid fehlt, kann nach dem hier anzuwendenden § 2 Abs. 2 AsylbLG auch nicht von einer entsprechenden Leistungsbestimmung in Richtung einer Sachleistung ausgegangen werden; mithin sind Geldleistungen zu gewähren bzw. kein weiterer Abzug vorzunehmen. Nach alledem hat die Antragstellerin auf der Grundlage von § 2 AsylbLG für 2020 einen Leistungsanspruch i.H.v. 400,88 € monatlich glaubhaft gemacht (432 € – 31,12 €).

Für dem Zeitraum 26. bis 30. November 2020 steht dem Anspruch von 66,81 € (400,88 € geteilt durch 30 x 5) eine Bewilligung von 53,15 € (318,90 € geteilt durch 30 x 5) gegenüber, mithin kann die Antragstellerin Zahlung weiterer 13,66 € verlangen (für November insgesamt: 29,17 € + 13,66 € = 42,83 €). Im Dezember 2020 ist der Anspruch i.H.v. 400,88 € um 67,44 € höher als die gewährten Leistungen.

Entsprechendes gilt für den Zeitraum ab 1. Januar 2021, wobei sich der Senat für dieses Jahr wegen der gesetzlichen Neufestsetzung allein an § 5 RBEG 2021 orientiert. Die Regelleistung i.H.v. 446 € war mithin nur um 31,60 € wegen der Sachleistungsgewährung insbesondere für Haushaltsenergie u.a. zu kürzen. Der Anspruch i.H.v. 414,40 € ist damit um 69,44 € höher als die für Januar 2020 gewährten Leistungen i.H.v. 344,96 €.

Angesichts der Differenz der gewährten Leistungen zu den glaubhaft gemachten Anordnungsansprüchen in Höhe von zuletzt monatlich 69,44 € kann der Anordnungsgrund nicht verneint werden. Zur Begründung verweist der Senat erneut auf die detaillierten Darlegungen in dem parallel gelagerten Rechtsstreit L 4 AY 3/21 B ER – juris -.

Da keine besonderen Umstände ersichtlich sind und der Antragsgegner nach wie vor monatsweise Leistungen bewilligt, befristet der Senat die einstweilige Anordnung auf den Ablauf des 31. Juli 2021, dem Ende des auf die Entscheidung folgenden Monats. Der Senat geht davon aus, dass bei unveränderter Sachlage der Antragsgegner die hier tenorierten Leistungen auch darüber hinaus weiter gewährt. Ebenso wie der Senat ist auch der Antragsgegner nach allgemeinen Grundsätzen (Art. 4 Abs. 3 EUV) verpflichtet, den Anwendungsvorrang des Unionsrechts zu beachten. Ungeachtet dessen wird darauf hingewiesen, dass zumindest ein anderer hessischer Landkreis pandemiebedingt eine verfassungskonforme Auslegung der streitentscheidenden Vorschriften praktiziert.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Dabei berücksichtigte der Senat, dass die Antragstellerin mit ihrem Kernanliegen vollständig obsiegt hat. Soweit ihr Antrag bezüglich eines weiteren Abzugs im Bescheid vom 13. Januar 2021 im Ergebnis nicht vollständig erfolgreich war, war der Antragsgegner gleichwohl zur Kostenerstattung zu verpflichten, da er durch seine auch für Rechtskundige unverständlichen Formulierungen zur Antragstellung Anlass gegeben hat.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.