1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)
1.1 – LSG NRW, Urt. v. 19.04.,2022 – L 21 AS 1268/19
Keine Übernahme von Mietschulden, wenn die Vermieterin nicht bereit ist, dass Mietverhältnis fortzuführen
Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
Gerechtfertigt und notwendig zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit ist eine Schuldübernahme nicht mehr, wenn die Rechtswirkungen der außerordentlichen Kündigung nicht mehr abzuwenden sind und die Wohnung nicht mehr zu halten ist. Das war hier der Fall.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
1.2 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 28.12.2022 – L 2 AS 594/22 B
Rechtswegbeschwerde – Erstattung von SGB II-Leistungen – Zahlungsaufforderung gegenüber Erben – Dürftigkeitseinrede – Ablehnung durch Verwaltungsakt – Sozialrechtsweg
Leitsatz
1. Eine die Verwaltungsvollstreckung vorbereitende Handlung des Grundsicherungsträgers steht im rechtlichen Zusammenhang mit dessen Verwaltungstätigkeit nach dem SGB II, wodurch der Sozialrechtsweg nach § 51 Abs 1 Nr 4a SGG eröffnet ist.
2. An der Zulässigkeit des Sozialrechtswegs ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger als Erbe eines Leistungsempfängers in Anspruch genommen wird; ein Anspruchsübergang auf den Erben verändert die Rechtsnatur des öffentlich-rechtlichen Anspruchs nicht.
3. Lehnt der Grundsicherungsträger die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses iSv § 1990 BGB durch Verwaltungsakt vor Aufnahme eines Vollstreckungsverfahrens ab, ist der Sozialrechtsweg eröffnet.
Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de
1.3 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 16.11.2022 – L 2 AS 649/18
Bedarfsgemeinschaft – Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft – Versorgung eines Kindes des Partners
Leitsätze
1. Bei der Auslegung des Begriffs „versorgen“ iSv § 7 Abs 3a Nr 3 SGB II ist die Funktion dieses Tatbestandsmerkmals zu berücksichtigen. Das Verhalten des Partners gegenüber dem Kind oder Angehörigen muss deshalb geeignet sein, indizielle Bedeutung für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zu haben. Geht es um das Zusammenziehen von zwei Partnern, von denen einer ein minderjähriges Kind mit in die Beziehung und in den gemeinsamen Haushalt bringt, erfordert die Annahme eines Versorgens eine substantielle, spezifisch auf das Kind bezogene Hilfeleistung, die über ein vereinzeltes Babysitten oder Zubettbringen hinausgeht und von einer gewissen Verantwortungsübernahme geprägt ist. Allein die Zubereitung gemeinsamer Mahlzeiten oder das Mitwaschen der Wäsche des Kindes löst nicht generell die Vermutungswirkung der Vorschrift aus.
2. Der Umstand, dass SGB II-Leistungen für mehrere Mitglieder einer potenziellen Bedarfsgemeinschaft auf das Konto eines Leistungsberechtigten überwiesen werden und dieser das Geld nicht anteilig an seinen Partner weiterleitet, zeugt nicht zwingend von seiner Befugnis, iSv § 7 Abs 3a Nr 4 SGB II über das Einkommen des Partners zu verfügen.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
1.4 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 09.11.2022 – L 5 AS 34/20
Leitsätze
1. Die Gewährung eines Zuschusses für unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparaturen ist nach § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II durch den Gesetzgeber begrenzt worden. Für übersteigende Aufwendungen ist die Gewährung eines Darlehens nach § 22 Abs 2 Satz 2 SGB II vorgesehen.
2. Liegen die Gesamtkosten einer Instandhaltungsmaßnahme über dem zuschussfähigen Bedarf und ist die Finanzierung des verbleibenden Bedarfs nicht sichergestellt (hier: ausdrückliche Ablehnung eines Darlehens nach § 22 Abs 2 Satz 2 SGB II), kommt die Gewährung eines Zuschusses nicht in Betracht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die beabsichtigte Maßnahme unteilbar ist (hier: Erneuerung der Heizungsanlage).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
1.5 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 09.11.2022 – L 5 AS 708/18
Leitsätze
Zur Bestimmung der Angemessenheit der Heizkosten ist im Landkreis Harz auf die Werte des Bundesweiten Heizspiegels zurückzugreifen. Die Ermittlung der zu berücksichtigenden Heizkosten durch den Beklagten entspricht nicht den Vorgaben des BSG. Die ermittelten Werte stellen eine unzulässige Pauschalierung dar. Es fehlen insbesondere die Einbeziehung klimatischer Bedingungen, die Energiepreisentwicklung, die für einfachere Wohnhäuser typischen Energieträger, Gebäudestandard und Stand der Heizungsanlagen.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
1.6 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.11.2022 – L 27 AS 1192/21
Grundsicherung nach dem SGB II – Mietverhältnis unter Verwandten – Mehrbedarf für Alleinerziehende bei wöchentlichen Wechselmodell bei hälftiger Kostenteilung – hälftger persönlicher Schulbedarf bei hälftigen Wechselmodell
Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Ein allgemeiner Erfahrungssatz, wonach erwachsene Personen dauerhaft mietfrei in Immobilien enger Verwandter wohnen würden, existiert nicht.
2. Bei Bestehen eines wöchentlichen Wechselmodells bei etwa hälftiger Kostenteilung beider Elternteile ist ohne Rücksicht auf einen tatsächlich anfallenden Mehrbedarf wegen des pauschalierenden Charakters von § 21 SGB II nicht das alles – oder nichts – Prinzip anwendbar, sondern für jeden der Elternteile der hälftige Mehrbedarf für Alleinerziehende anzusetzen, hier bejahend, auch wenn hier die Elternteile nebeneinander liegende Wohnungen in einem Haus bewohnen.
3. Leistungen zur Bildung und Teilhabe in Gestalt des persönlichen Schulbedarfes sind aufgrund des hälftigen Wechselmodells auch nur zur Hälfte zu bewilligen, also gemäß § 34 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII i. V. m. § 28 Abs. 3 SGB II ein Betrag von 50,00 €.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
1.7 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 09.12.2022 – L 29 AS 2166/17
Leitsätze
Ein Auskunftsverlangen nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II erledigt sich mit dem Ende des Leistungsverhältnisses zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigtem.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)
2.1 – Darlehen oder Einkommen? Anmerkung zu SG Bremen, Gerichtsbescheid vom 3. Januar 2023 – S 18 AS 1650/18 – Autorin: Silke Clasvorbeck, Rechtsschutzsekretärin und Online-Redakteurin, Bielefeld
Ein Darlehen stellt kein Einkommen im Sinne des SGB II dar. Wer Sozialleistungen bezieht und sich Geld leiht, muss nachweisen, dass er das Geld zurückzahlen muss. Auch bei Darlehen unter Freunden werden strenge Anforderungen an den Abschluss und die Ernstlichkeit eines Darlehensvertrages gestellt.
Quelle: www.dgbrechtsschutz.de
2.2 – SG Detmold, Urt. v. 17.01.2023 – S 35 AS 1022/21
Leitsätze
Eine nicht zweckgebundene Corona-Soforthilfe aus Landesmitteln, die nicht nur ausschließlich zur Deckung von Betriebsausgaben eines Unternehmens eingesetzt werden kann, stellt anrechenbares Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II dar, wenn ein Nachweis für die Verwendung nicht zu erbringen ist. Anders als bei einer zweckgebundenen Wirtschaftshilfe ist sie nicht lediglich von den tatsächlich anfallenden Betriebsausgaben in dem maßgebenden Zeitraum in Abzug zu bringen.
Wird die nicht zweckgebundene Corona-Soforthilfe als „fiktiver Unternehmerlohn“ gezahlt, findet die Vorschrift des § 11 Abs. 3 SGB II zur Berücksichtigung einmaliger Einnahmen keine Anwendung. Der fiktive Unternehmerlohn ist als Betriebseinnahme gemäß § 3 Abs. 1 S. 1, 2 ALG II-VO in demjenigen Bewilligungszeitraum bei der Einkommensberechnung nach § 3 Abs. 4 ALG II-VO zu berücksichtigen, in dem dieser zugeflossen ist. Eine zusätzlich erfolgende Berücksichtigung in einem sich anschließenden Bewilligungszeitraum findet im Gesetz keine Stütze.
§ 1 Abs. 1 Nr. 14 ALG II-VO und § 3 Abs. 1a ALG II-VO stehen einer Berücksichtigung einer nicht zweckgebundenen Corona-Soforthilfe aus Landesmitteln als Betriebseinnahme nicht entgegen.
Überschrift:
Urteil | Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung und -berechnung – Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit – Berücksichtigung einer nicht zweckgebundenen Corona-Soforthilfe als Betriebseinnahme bei der Berechnung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit nach § 3 ALG II-VO – fiktiver Unternehmerlohn – maßgebender Zeitraum – Abgrenzung zur einmalige Einnahme nach § 11 Abs. 3 SGB II
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)
3.1 – Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 30. November 2022 – S 5 AL 84/22
Falschberatung einer Arbeitsvermittlerin verhindert Rückforderungsanspruch der Arbeitsagentur
Schutzwürdiges Vertrauen zählt!
Arbeitslosengeld erhält, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Stationäre Krankenhausaufenthalte stehen dem entgegen. Zu viel gezahltes Arbeitslosengeld ist gegebenenfalls zurückzuzahlen. Schutzwürdiges Vertrauen kann die Pflicht zur Rückzahlung verhindern, wenn der Nachweis einer fehlerhaften Beratung durch die Agentur für Arbeit gelingt. Das Sozialgericht Augsburg hob einen darauf basierenden Rückforderungsbescheid auf.
Quelle: www.dgbrechtsschutz.de
Hinweis Redakteur:
Auskunft einer Arbeitsagentur muss richtig und unmissverständlich sein
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Kindergeld
4.1 – LSG Hessen, Urt. v. 21.11.2022 – L 5 KG 2/20
Leitsätze
1. Von einer subjektiven Kenntnis vom Aufenthaltsort der Eltern oder des noch lebenden Elternteils des Kindergeldes beanspruchenden Kindes i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BKGG kann je nach den Umständen des Einzelfalls ausgegangen werden, wenn der Aufenthaltsort positiv bekannt war und sich keine Anhaltspunkte für eine Änderung desselben ergeben.
2. Aufenthalt i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BKGG ist im rein körperlichen Sinne zu verstehen und setzt nicht zwingend einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt voraus.
3. Eine missbräuchliche Unkenntnis vom Aufenthaltsort kann im Einzelfall bei fehlender möglicher Nachfrage bestehen.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
5.1 – Sozialgericht Stuttgart – Beschluss vom 27.01.2023 – Az.: S 20 AY 4114/22 ER
Normen: § 2 AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Leistungen nach § 2 AsylbLG, Sammelunterkunft, Eilverfahren, Sozialgericht Stuttgart
weiter bei RA Sven Adam
6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern
6.1 – Auch beim Vorschuss gelten die Absetzbeträge des SGB II – Anmerkung zu BSG, Urteil vom 29. März 2022 – B 4 AS 24/21 R – von Autorin: Birgit Hartmann, Rechtsschutzsekretärin, Düren
Neumann war im ALG II-Bezug und hat endlich einen neuen Job. Da er den Lohn erst im Folgemonat erhalten soll, bezahlt das Jobcenter den Anfangsmonat zunächst noch. Die Firma zahlt jedoch einen Vorschuss und das Jobcenter will Geld zurück. Es berücksichtigt dabei keine Freibeträge.
weiter: www.dgbrechtsschutz.de
6.2 – RA Volker Gerloff: In besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe zahlen Betroffene seit 1.1.2020 ca. 150-170 EUR mtl. zu viel an „Eigenanteilen“ für Ernährung/Hygiene
Betroffene sollten sich wehren.
Quelle: twitter.com
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker