Tacheles Rechtsprechungsticker KW 38/2023

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

1.1 – BSG, Urt. v. 06.06.2023 – B 4 AS 5/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – private Krankenversicherung – Wechsel in Basistarif – Härtefallmehrbedarf – Rentennähe – Unbilligkeitsverordnung

Höhe des Zuschusses zu den Beiträgen zur privaten Krankenversicherung

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Der Zuschuss zum Versicherungsbeitrag gemäß § 26 Abs 1 S 1 SGB 2 ist begrenzt auf die Höhe des nach § 152 Abs 4 VAG halbierten Beitrags für den Basistarif in der privaten Krankenversicherung, den der Hilfebedürftige bei seiner privaten Krankenversicherung zu leisten hat bzw hätte.

2. Er hat auch keinen Anspruch auf einen Härtefallmehrbedarf aus § 21 Absatz 6 SGB II, § 21 Abs 6 SGB II ist nicht anwendbar, wenn es um Bedarfe geht, die der Gesetzgeber außerhalb des Regelbedarfs in einer gesonderten Norm geregelt hat (so bereits BSG vom 12.5.2021 B 4 AS 88/20 R).

3. Vor diesem Hintergrund kommt es auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob und in welcher Weise die Regelungen der §§ 3 und 6 UnbilligkeitsV bei der Anwendung des § 21 Abs 6 SGB II im hiesigen Kontext zu berücksichtigen sind, nicht an.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

2.1 – LSG NRW, Beschluss v. 13.03.2023 – L 7 AS 310/23 B ER

Kosten der Unterkunft und Heizung – Umzug eines unter-25-jährigen – Zusicherung durch kommunalen Träger – Anwendung und Auslegung des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II

Keine Leistungsreduzierung der Kosten der Unterkunft für unter 25- jährige Antragstellerin bei Auszug aus dem Haushalt der Großeltern und der Geburt eines Kindes (Leitsatz Redakteur)

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e.V.
1. Die Antragstellerin ist in die Wohnung der Eltern ihres Freundes gezogen; dies war der erstmalige Umzug im Sinne eines Auszuges. Zum einen musste sie sich dort nicht an den Unterkunftskosten beteiligen. Zum anderen ist die Antragstellerin nicht aus dem Haushalt der Eltern, sondern aus dem Haushalt der Großeltern ausgezogen. Der Folgeumzug der Antragstellerin in die derzeitige Unterkunft wird von der Regelung nicht erfasst.

2. Eine vor Abschluss des Mietvertrages notwendige Zustimmung auch nach § 22 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3, Satz 3 SGB II könnte entbehrlich sein. Denn die tatsächliche, der rechtlichen Beurteilung zugrundeliegende Situation hatte sich im Zeitpunkt des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eklatant geändert. Durch die Geburt des gemeinsamen Kindes bestand eine Berechtigung zum Auszug. Der Gesetzgeber hat keine Regelung für die Fälle, in denen im Zeitpunkt des Umzugs keine schwerwiegenden Gründe vorlagen, nachfolgend jedoch eine derartige Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, dass der Auszug nunmehr berechtigt wäre, getroffen. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung der §§ 22 Abs. 5, 20 Abs. 3 SGB II und der gebotenen engen Auslegung von § 22 Abs. 5 SGB II ist es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gerechtfertigt, die Leistungen der Antragstellerin zu kürzen. Eine für die Antragstellerin jahrelang bestehende Leistungsreduzierung würde gegen das Übermaßverbot verstoßen.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Lesenswert:
Leistungen für die Unterkunft für unter-25-jährige auch ohne Zustimmung des Jobcenters – ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt

2.2 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 24.09.2020 – L 2 AS 88/20 NZB

Leitsätze
1. Die zu erstattenden Gebühren bei einem erfolgreichen Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs 2 SGB X sind die gesetzlichen Gebühren. Die Festsetzung der Gebühren durch die Behörde hat bei der gerichtlichen Überprüfung nur insofern Bedeutung, als es nicht im Ergebnis zu einer Verböserung kommen darf.

2. Bei dem Mandat des Widerspruchs gegen eine Mahngebühr wirkt es sich auf die zu erstattende Geschäftsgebühr aus, wenn der Rechtsanwalt den Mandanten bereits in den noch laufenden Klageverfahren gegen die zugrundeliegenden Erstattungsbescheide vertritt. Diese kann im Einzelfall dann auch bei der doppelten Mindestgebühr (100 Euro) liegen.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 22.06.2023 – L 4 AS 549/15

Leitsätze
1. Die ab 1. Juni 2012 geltende KdUH-Richtlinie des Burgenlandkreises beruht nach der Neuberechnung im Rahmen der Korrektur der Vergleichsräume und nach Gewichtung der ermittelten Richtwerte (Korrekturbericht der Firma A&K von Januar 2020 und der Stellungnahme der Firma A&K vom 3. Mai 2023) für einen Zweipersonenhaushalt auf einem schlüssigen Konzept.

2. Die vom Burgenlandkreis zuletzt gebildeten vier Vergleichsräume sind nicht zu beanstanden. Die früheren Mittelzentren des Landkreises und jetzigen sog zentralen Orte, die Städte Naumburg, Weißenfels und Zeitz, sind die Versorgungskerne in ihrem Einzugsgebiet für die Daseinsvorsorge. Sie stellen mit ihren Einzugsgebieten jeweils homogene Wohn- und Lebensräume dar. Die vorgenommene Unterteilung zwischen der Stadt Naumburg und dem sie umgebenden Umland aufgrund deutlicher Mietpreisunterschiede ist nicht zu beanstanden.

3. Um die Repräsentativität der erhobenen Daten für ein KdUH-Konzept sicherzustellen, ist der Mietwohnungsmarkt wirklichkeitsgetreu abzubilden. Die Datenerhebung muss in ihrer Zusammensetzung und in der Struktur der relevanten Merkmale der Grundgesamtheit möglichst ähnlich sein.

4. Ein KdUH-Konzept ist nicht repräsentativ, wenn institutionelle Vermieter nicht entsprechend ihrem Marktanteil, sondern deutlich überproportional im Verhältnis zu den privaten Vermietern in der Mietwerterhebung vertreten sind. Dieser Mangel kann aktuell durch eine gewichtete Neuberechnung – differenziert nach Nettokaltmieten und Betriebskosten – korrigiert werden, in der private Kleinvermieter einerseits und institutionelle Großvermieter andererseits nach ihrem tatsächlichen Anteil auf dem Mietwohnungsmarkt berücksichtigt werden.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – LSG NSB, Beschluss v. 10.07.2023 – L 9 AS 145/23 B

Leitsätze
1. Zum Rechtsschutzbedürfnis in Eilverfahren

2. Wer sich bewusst dafür entscheidet, ohne Notwendigkeit ein gerichtliches Verfahren zu führen, kann nicht damit rechnen, dass die Allgemeinheit dafür die Kosten übernimmt (durch Gewährung von Prozesskostenhilfe).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – LSG Hamburg, Urt. v. 22.06.2023 – L 4 AS 48/22 D

Erstattung von Leistungen der Grundsicherung nach abschließender bindender Feststellung der Höhe des Leistungsanspruchs

Orientierungssatz
1. Nach § 41a Abs. 6 S. 3 SGB 2 sind Überzahlungen, die nach Anrechnung entsprechend § 41a Abs. 6 S. 1 und 2 SGB 2 a. F. fortbestehen, zu erstatten. (Rn.43)

2. Die abschließende Leistungsfeststellung entfaltet für die Berechnung des Erstattungsanspruchs nach § 41a Abs. 6 S. 3 SGB 2 Tatbestandswirkung, ohne dass es auf die Bestandskraft der abschließenden Festsetzung ankommt. (Rn.46)

3. Die bestandskräftige abschließende Entscheidung nach § 41a Abs. 3 SGB 2 ist rechtlich bindend für die Berechnung des Erstattungsanspruchs. (Rn.48)

www.landesrecht-hamburg.de

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

3.1 – SG Magdeburg, Urt. vom 30.06.2023 – S 12 AS 412/17

Leitsatz RA Michael Loewy
Eine Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn dieser keine konkreten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne der angestrebten „maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen“ enthält und behördlicherseits kein Ermessen ausgeübt wird.

Quelle: RA M. Loewy

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 29.09.2022 – L 15 SO 46/22 NZB

Leitsätze
Aufgrund der sichergestellten anderweitigen Bedarfsdeckung ist eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Bewohner besonderer Wohnformen iSd § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII durch die Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 2 nicht zu erkennen. Bei der aufgeworfenen Frage handelt es sich nicht um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Auch wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung dazu bisher nicht gibt, ist die aufgeworfene Rechtsfrage durch Auslegung eindeutig zu beantworten.

www.sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. November 2021, L 9 SO 225/21 B

5. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

5.1 – Elternunterhalt – Nur Kinder mit einem Einkommen oberhalb von € 100.000 „haften“ für ihre Eltern – ein Beitrag v. RA Markus Karpinski

Das Sozialamt kann seit dem 01.01.2020 Leistungen wie z.B. Hilfe zur Pflege oder Grundsicherung, die es an hilfsbedürftige Eltern zahlt, nur von sehr einkommensstarken Kindern zurückverlangen. Dies sind Kinder, deren Summe der Einkünfte € 100.000 übersteigt. Dies setzt das sogenannte „Angehörigen-Entlastungsgesetz“ fest. In dieser Einkommensklasse befanden sich bei Schaffung des Gesetzes 6% der Bevölkerung. Durch die aufgrund der Inflation gestiegenen Arbeitseinkommen, dürfte sich diese Zahl inzwischen etwas erhöht haben.

Wie wird die Summe der Einkünfte ermittelt?

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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker