Tacheles Rechtsprechungsticker KW 05/2024

1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung/Bürgergeld (SGB II)

1.1 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 15.12.2023 – L 2 AS 337/23 NZB

Mehrbedarf – Kosten der Unterkunft und Heizung – Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwerts

Bürgergeld: Eigenheimbesitzer bekommen keinen Härtefallmehrbedarf i. S. d. § 21 Abs. 6 SGB II vom JobCenter für die Abgabe der Grundsteuer-Feststellungserklärung durch Inanspruchnahme eines Buchhaltungsservices (Tacheles e. V.).

Leitsätze
Die Frage, ob Leistungen nach dem SGB II für Kosten gewährt werden können, die durch die Inanspruchnahme eines Buchhaltungsservices bei der Abgabe der Erklärung zur Feststellung des Grundsteuerwerts angefallen sind, hat keine grundsätzliche Bedeutung.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

1.2 – Sächsisches LSG, Urt. v. 14.12.2023 – L 7 AS 869/18

Bürgergeld: Bei Mietverträgen unter Verwandten unterstellen die JobCenter zu oft ein Scheingeschäft und begründen es damit, dass der Hilfebedürftige den Mietzins nicht aus eigenen Mitteln bezahlen könnte, weil dies regelmäßig Teil der Hilfebedürftigkeit selbst ist.

Eindeutig rechtswidrig sagt der Verein Tacheles.

1. Mietverträge unter Verwandten sind grundsätzlich unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen!

2. Die Gedankenfolge: “Die Behörde zahlt nicht, dann kann auch der hilfebedürftige Antragsteller die Miete nicht zahlen, dann ist es ein Scheingeschäft und dann zahlt die Behörde nicht”, ist ein vollständiger Fehlschluss sagt Tacheles e. V.!

Leitsätze
Für einen 3-Personen-Haushalt im Vergleichsraum Kamenzer Land (Landkreis Bautzen) liegt für den Zeitraum von Oktober 2013 bis August 2016 unter Berücksichtigung eines Weiterentwicklungsberichts ein schlüssiges Konzept (“Konzept 2013 in der Fassung der Weiterentwicklung wie im Konzept 2016”) vor.

Bemerkung
Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – 3-Personen-Haushalt im Vergleichsraum Kamenzer Land (Landkreis Bautzen) in Sachsen – Angemessenheitsprüfung – schlüssiges Konzept – Datenerhebung und -auswertung – Scheinmietvertrag – Heizkosten

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

1.3 – Sächsisches LSG, Urt. v. 14.12.2023 – L 7 AS 870/18

Bürgergeld: Bei Mietverträgen unter Verwandten unterstellen die Jobcenter zu oft ein Scheingeschäft und begründen es damit, dass der Hilfebedürftige den Mietzins nicht aus eigenen Mitteln bezahlen könnte, weil dies regelmäßig Teil der Hilfebedürftigkeit selbst ist.

Eindeutig rechtswidrig sagt Tacheles e. V.
1. Mietverträge unter Verwandten sind grundsätzlich unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen!

2. Die Gedankenfolge: “Die Behörde zahlt nicht, dann kann auch der hilfebedürftige Antragsteller die Miete nicht zahlen, dann ist es ein Scheingeschäft und dann zahlt die Behörde nicht”, ist ein vollständiger Fehlschluss sagt Tacheles e. V.!

Leitsätze
Für einen 3-Personen-Haushalt im Vergleichsraum Kamenzer Land (Landkreis Bautzen) liegt für den Zeitraum von September 2016 bis Dezember 2018 ein schlüssiges Konzept (“Konzept in der Neufassung 2016”) vor.

Bemerkung
Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – 3-Personen-Haushalt im Vergleichsraum Kamenzer Land (Landkreis Bautzen) in Sachsen – Angemessenheitsprüfung – schlüssiges Konzept – Datenerhebung und -auswertung – Scheinmietvertrag – Heizkosten

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

1.4 – LSG NSB, Beschluss v. 11.12.2023 – L 11 AS 152/23 B ER

Antragsgegner; einstweiliger Rechtsschutz; Hauptzollamt; materiell-rechtliche Einwendungen; Rechtsweg; Verjährung; Vollstreckungsanordnungsbehörde; Vollstreckungsmaßnahmen; Zwangsvollstreckung

Amtlicher Leitsatz
1. Begehrt ein Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen eines Hauptzollamtes wegen Rückforderungen von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, so ist der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet, wenn der Antragsteller materiell-rechtliche Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt selbst geltend macht (hier: Verjährung).

2. Einstweiliger Rechtsschutz kann dann nicht nur gegen Maßnahmen der Vollstreckungsanordnungsbehörde begehrt werden, sondern insbesondere auch gegen Maßnahmen des Hauptzollamtes als Vollstreckungsbehörde.

3. Rechtsgrundlage für einen Anordnungsanspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung ist im Falle des § 40 Abs. 8 SGB II§ 257 Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 5 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG).

4. § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO ist im Falle der Verjährung analog anzuwenden.

Quelle: voris.wolterskluwer-online.de

Lesetipp von Tacheles e. V.:
Post vom Hauptzollamt – Ermittlungsverdacht wegen Betruges im Zusammenhang mit Arbeitslosengeld – was tun? Von RA Philip Bafteh

1. Einführung
Wenn Sie Arbeitslosengeld beziehen, sind Sie gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I verpflichtet, der Agentur für Arbeit alle Veränderungen, die nach der Antragstellung für einen Anspruch auf laufende Leistung relevant sein könnten, unverzüglich mitzuteilen. Dies könnte beispielsweise eine neue Arbeitsstelle, ein Umzug oder eine Veränderung Ihrer finanziellen Verhältnisse sein. Die Agentur für Arbeit benötigt diese Informationen, um sicherzustellen, dass Sie weiterhin anspruchsberechtigt sind und die Höhe des Arbeitslosengeldes korrekt berechnet wird.

weiter auf www.anwalt.de

1.5 – Sächsisches LSG, Urt. v. 23.11.2023 – L 4 AS 1149/19 – Revision zugelassen

Zur Frage, ob es sich bei der Bestätigung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit um einen bindenden feststellenden Verwaltungsakt handelt, dies hier bejahend (Tacheles e. V.)

Leitsätz
1. Wenn sich arbeitslose Personen, die als Grenzgänger beschäftigt waren, also ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, nicht der deutschen Arbeitsverwaltung zur Verfügung stellen, entsteht keine aus der beendeten Beschäftigung bei einem inländischen Arbeitgeber abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung i.S.d. § 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU.

2. Liegt eine Bestätigung der zuständigen Agentur für Arbeit vor, dass die Arbeitslosigkeit nicht unverschuldet eingetreten ist, handelt es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt, der Tatbestandswirkung entfaltet und zu beachten ist, solange er wirksam ist. Eine materiell-rechtliche Überprüfung der Richtigkeit findet nicht statt.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)

2.1 – keine

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

3.1 – Sächsisches LSG, Beschluss v. 14.09.2023 – L 3 AL 41/20 B ER

Leitsätze
1. Unter Aufhebung einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung im Sinne von § 86a Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SGG wird die Rücknahme im Sinne von § 4 AÜG und der Widerruf im Sinne von § 5 AÜG verstanden.

2. § 2 Abs. 4 Satz 4 AÜG, der nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AÜG für den Fall des Widerrufs der Erlaubnis entsprechend gilt, ist keine Ausnahmeregelung im Sinne von § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG.

3. Zu Bedenken, ob für den Zeitpunkt im Sinne von § 5 Abs. 4 AÜG, in dem die Erlaubnisbehörde von den Tatsachen Kenntnis erhalten hat, die den Widerruf der Erlaubnis rechtfertigen, auf den Zeitpunkt abgestellt werden kann, zu dem die Bußgeldbehörde die für den Erlass eines Bußgeldbescheides erforderlichen Kenntnisse hatte und die Anhörung zum beabsichtigten Erlass eines Bußgeldbescheides abgeschlossen war.

4. Die Entscheidung, ob die maßgebenden Widerrufsgründe korrekt festgestellt worden sind, wirkt sich auch auf die Frage, ob die Ermessensausübung fehlerfrei erfolgt ist, aus. Denn im Rahmen der Ermessensentscheidung sind unter anderem auch Schwere und Häufigkeit der Verstöße zu gewichten und mildere Mittel, zum Beispiel der Erlass einer Auflage, in Erwägung zu ziehen.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – SG Oldenburg, Urt. v. 05.08.2022 – S 21 SO 202/18

Sozialhilfe – Vermögenseinsatz – Bestattungsvorsorgevertrag – Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Form der Übernahme ungedeckter Heimkosten – Örtliche Bestattungspreise sind maßgeblich – 7.152,59 € sind als anrechnungsfrei zu berücksichtigen – der Vermögensschonbetrag gemäß § 90 Abs. 2 Nummer 9 SGB XII für kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte steht unabhängig neben einer schützenswerten Vermögensposition aus § 90 Abs. 3 SGB XII

Zur Übernahme ungedeckter Heimpflegekosten für die Unterbringung eines Pflegebedürftigen in einem Altenheim und Pflegeheim i.R.d. Berücksichtigung eines Bestattungsvorsorgevertrages bei der Berechnung des Vermögens (Tacheles e. V.)

Orientierungssätze Tacheles e. V.
1. Die Angemessenheitsgrenze eines Bestattungsvorsorgevertrages ist nicht starr, sondern ergibt sich aus den Besonderheiten des Einzelfalles, sagt Tacheles e. V.!

2. Sozialhilfeträger muss Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII in Form der Übernahme ungedeckter Heimkosten erbringen ohne Anrechnung des Bestattungsvorsorge i. H. v. 7.152,59 € (Orientierungssatz Redakteur v. Tacheles e.V.).

3. 7.000 Euro Bestattungsvorsorge ist sozialhilferechtlich angemessen (Tacheles e. V.)

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Zur Ermittlung der Angemessenheit einer Bestattungsvorsorge ist zunächst auf die Kosten abzustellen, die die örtlich zuständige Behörde als erforderliche Kosten der Bestattung nach § 74 SGB XII zu übernehmen hat (Grundbetrag). Dies dient dazu, den örtlichen Besonderheiten, wie bspw. unterschiedlichen Friedhofskosten, Rechnung zu tragen.

2. In einem nächsten Schritt ist dieser Grundbetrag, der lediglich den einfachsten Standard repräsentiert, unter Berücksichtigung etwaiger Gestaltungswünsche des Heimbewohners bis zur Grenze der Angemessenheit zu erhöhen (Erhöhungsbetrag). Dabei können die Kosten einer durchschnittlichen Bestattung als Richtschnur dienen (so SG Düsseldorf, Urteil vom 18. April 2018 – S 17 SO 572/17 -).

Quelle: SG Oldenburg

Hinweis Tacheles e. V.:
Die Instanzgerichte in Deutschland haben in den letzten Jahren nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles Beträge von 3.200,00 € bis 8.800,00 € als noch angemessen anerkannt.

Rechtstipp Tacheles e. V.:
vgl. SG Frankfurt, Urteil v. 08.05.2018 – S 27 SO 274/15 – rechtskräftig

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Anrechnung von Vermögen bei der Gewährung von Heim- Pflegeleistungen nach dem SGB XII – Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag kein verwertbares Vermögen der Klägerin wegen der Härteregelung des § 90 Abs. 3 SGB XII.

Die angemessene finanzielle Vorsorge für den Todesfall unterliegt dem Vermögensschutz des § 90 Abs. 3 SGB XII (vgl. SG Gießen, 25.07.2017 – S 18 SO 160/16).

Leitsatz (Redakteur)
Im vorliegenden Einzelfalle, in dem ein Bestattungsvorsorgevertrag über nominell 8.500,00 EUR abgeschlossen wurde, erscheint dieser Betrag angemessen insbesondere im Hinblick auf den gerichtlichen Vergleich vor dem HLSG vom 24. Februar 2015 (L 4 SO 19/15), dort waren es 9.000,00 EUR.

Gut zu wissen Tipp von Tacheles e. V. zum Schonvermögen in der Sozialhilfe:
Sozialhilfebezieher müssen für Sterbefall vorsorgen können, so aktuell das Bundessozialgericht mit seinen Urt. v. 20.09.2023 – B 8 SO 22/22 R und B 8 SO 19 /22 R.

Das sollte man sich merken (Tipp v. Tacheles e. V.):
Die Bestattungsvorsorge darf nicht als Teil des allgemeinen Schonvermögens angerechnet werden, sondern ist gesondert geschützt. Leider kommt es dennoch immer wieder vor, dass Sozialämter Betroffene dennoch fälschlicherweise auffordern, ihre Bestattungsvorsorge aufzulösen, das ist rechtswidrig und hier lohnen sich Widerspruch und Klage!

5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

5.1 – Sozialgericht Stuttgart – Beschluss vom 10.01.2024 – Az.: S 11 AY 4000/23 ER

Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG, Sozialgericht Stuttgart

Gewährung von Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 (Tacheles e. V.)

weiter bei RA Sven Adam

6. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

6.1 – BVerfG: Höhe von Zuzahlungen zu Krankenversicherungsleistungen

Redaktion eGovPraxis Sozialhilfe
Das BVerfG hatte sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Sozialgerichts über die Höhe der Belastungsgrenze für Zuzahlungen zu Krankenversicherungsleistungen zu befassen. Die Entscheidung betrifft zwar das Krankenversicherungsrecht, ist aber für Sozialhilfeträger interessant, da die Beschwerdeführerin in einem Pflegeheim lebte und (aufstockende) Hilfe zur Pflege erhielt.

Fazit
Für Hilfebedürftige, die keine Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB XII beziehen, und lediglich (aufstockende) Leistungen der Hilfe zur Pflege erhalten, ist die Belastungsgrenze für Zuzahlungen gem. § 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V festzusetzen.

§ 62 Abs. 2 Satz 5 Nr. 2 SGB V ist eine Sonderregelung für Versicherte, die wegen der Heimunterbringung bedürftig sind und deshalb Anspruch auf Leistungen des Sozialhilfeträgers wie Hilfe zur Pflege haben.

Quelle: www.wolterskluwer.com

Rechtstipp Tacheles e. V.:
ebenso LSG Hamburg, Urteil vom 23. März 2023 – L 1 KR 12/22 – Siehe dazu meinen Beitrag im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 36/2023 – Medikamente etc. – Bei Hilfe zur Pflege Zuzahlung von max. € 120,48 pro Jahr – ein Beitrag von RA Markus Karpinski auf www.anwalt.de

Wichtiger Hinweis:
Nicht veröffentlichte Urteile (gekennzeichnet durch n. v.), Anmerkungen bzw. Urteilsbesprechungen von Rechtsanwälten, welche wir von Gerichten, Rechtsanwälten oder Privatkunden erhalten, dürfen zitiert werden, aber nur mit Quellhinweis Verein Tacheles, alles andere stellt eine Urheberrechtsverletzung dar. Danke!

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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker