Verwaltungsgericht Göttingen – Beschluss vom 03.12.2012 – Az.: 2 A 532/12

BESCHLUSS

In der Verwaltungsrechtssache
des xxx,
Klägers,
Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

die xxx,
Beklagte,

Streitgegenstand: Gewährung von Wohngeld

hat das Verwaltungsgericht Göttingen – 2. Kammer – am 3. Dezember 2012 beschlossen:

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt Sven Adam aus Göttingen beigeordnet.

GRÜNDE
Dem wirtschaftlich bedürftigen Kläger ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil seine Rechtsverfolgung nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).

Voraussichtlich zu Unrecht hat die Beklagte bei der Berechnung des wohngeldrechtlichen Einkommens des Klägers den Freistellungsbetrag des § 10 BEEG in den Monaten des Doppelbezuges von Elterngeld nur in Höhe von einmalig 300 Euro berücksichtigt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen.

Zum Jahreseinkommen nach § 14 WoGG gehören gemäß Absatz 2 Nr. 6 der Bestimmung die Lohn- und Einkommensersatzleistungen nach § 32 b Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes; dazu gehört gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 j) u.a. das Elterngeld nach dem BEEG. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 6 2.Hs. bleibt § 10 BEEG unberührt. Gemäß § 10 BEEG bleiben das Elterngeld und vergleichbare Leistungen der Länder sowie die nach § 3 auf das Elterngeld angerechneten Einnahmen bei Sozialleistungen, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, bis zu einer Höhe von insgesamt 300 Euro im Monat als Einkommen unberücksichtigt.

Der Wortlaut gibt keinen eindeutigen Aufschluss darüber, ob bei doppeltem Bezug von Elterngeld durch beide Elternteile der Freibetrag nur insgesamt einmal — so die Rechtsauffassung der Beklagten – oder pro Elternteil gewährt werden soll.

Der Gesetzesbegründung zu § 10 Abs. 1 BEEG (BT-Drucksache 16/1889, S. 26) lässt sich ebenfalls nicht eindeutig entnehmen, wie der Gesetzgeber den Fall des gleichzeitigen Bezuges beider Elternteile regeln wollte.
Dort heißt es, dass nach Absatz 1 das Elterngeld und vergleichbare Leistungen der Länder bis zu einer Höhe von 300 Euro im Monat bei der Berechnung anderer einkommensabhängiger Leistungen unberücksichtigt bleiben. Das als Ausgleich für finanzielle Einschränkungen in den ersten zwölf oder 14 Lebensmonaten des Kindes und als Anerkennung für die Betreuungsleistung gezahlte Elterngeld von mindestens 300 Euro soll den Berechtigten im Ergebnis auch dann zusätzlich verbleiben, wenn sie andere einkommensabhängige Sozialleistungen beziehen. Das Wort „insgesamt” findet sich in der Begründung allerdings nicht, womit unklar bleibt, ob der Gesetzgeber diesem nun einen besonderen Regelungsgehalt beimisst und ggf. welchen.

Indes gebieten es Sinn und Zweck des § 10 BEEG, den Freibetrag von 300 Euro. jedem Elternteil zu gewähren.

Das Elterngeld soll Eltern in der Frühphase der Elternschaft unterstützen und dazu beitragen, dass sie in diesem Zeitraum selbst für ihr Kind sorgen können. Es soll einen Schonraum eröffnen, damit Familien ohne finanzielle Nöte in ihr Familienleben hineinfinden und sich vorrangig der Betreuung ihrer Kinder widmen können. Damit das Elterngeld bei allen Familien auch tatsächlich zu einer Erhöhung des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens führt, zählt es in Höhe von 300 Euro nicht als Einkommen für andere Sozialleistungen. Eine Überschneidung der verschiedenen Sozialleistungen soll so weit wie möglich vermieden werden. Dabei soll der Freibetrag einerseits die anfallenden Mehraufwendungen durch die Betreuung abfangen und anderseits auch als Anerkennung für die Betreuungsleistung dienen (vgl. BT-Drucksache 16/1889, S. 2, 15 -17). Insoweit handelt es sich bei den ersten 300 Euro Elterngeld um eine reine Förderungsleistung, während der Rest als Entgeltersatzleistung ausgestaltet ist (vgl. Buchner/Becker, Mutterschutzgesetz und Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, § 10 BEEG, Rn. 5).

Die Regelung des § 10 Abs. 1 BEEG soll über den vollen Anspruchszeitraum von 12 bzw. 14 Monaten eine Freistellung von 300 Euro ermöglichen. Eine gleichzeitige Inanspruchnahme des Elterngeldes durch beide Elternteile nach § 4 Abs. 2 S. 3 BEEG führt zu einem doppelten Verbrauch der Anspruchsmonate (vgl. BT-Drucks. 16/1889, S. 23). Würde man nun bei gleichzeitiger Inanspruchnahme durch beide Elternteile den Freibetrag nur für einen Leistungsbezieher gewähren, fielen die beiden zusätzlichen Monate quasi ersatzlos weg. Denn wenn zunächst der eine Elternteil für 12 Monate und sodann der andere Elternteil für 2 Monate Elterngeld beziehen würde, müsste der Freibetrag insgesamt für 14 Monate gewährt werden. Es ist mit Blick auf Sinn und Zweck des Elterngeldgesetzes nicht einzusehen, warum dies anders sein sollte, sobald Eltern zeitgleich Leistungen beziehen. Denn diese Möglichkeit sieht § 4 Abs. 2 S. 3 BEEG gerade vor. Ferner soll das BEEG gerade Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, um den Eltern eine flexible Familienplanung zu ermöglichen, ohne den Verlust von Leistungen befürchten zu müssen. Schließlich waren die zwei zusätzlichen Monate als Anreiz für Väter gedacht, eine aktivere Rolle in der Familienplanung zu übernehmen (vgl. BT-Drucks. 16/1889, S. 15-17). Alle diese Erwägungen würden unterlaufen, wenn sich der Freibetrag bei der gleichzeitigen Inanspruchnahme von Elternzeit durch beide Elternteile nicht auch auf die beiden zusätzlichen Monate beziehen würde. Die Eltern könnten die Wahlmöglichkeit des § 4 Abs. 2 S. 3 BEEG, Elterngeld gleichzeitig zu beziehen, nur über den Verlust von 2 Monatsfreibeträgen in Höhe von je 300 Euro erlangen. Dies ist nicht im Sinne der gesetzlichen Regelung (ebenso unter Bezugnahme auf Lenz in: Rancke (Hrsg.), Mutterschutz/Elterngeld/Elternzeit, Handkommentar, § 10 BEEG, Rn. 2 das LSG Niedersachsen-Bremen – L 13 AS 90/09 -).

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten des Verfahrens unanfechtbar (§ 166 VwGO, § 127 Abs. 2 ZPO).