Verwaltungsgericht Göttingen – Urteil vom 30.11.2023 – Az.: 4 A 212/20

URTEIL

Im Namen des Volkes

4 A 212/20

In der Verwaltungsrechtssache

1. Herr xxx,

2. Frau xxx,

3. xxx,
gesetzlich vertreten durch die Eltern
xxx und xxx

4. xxx,
gesetzlich vertreten durch die Eltern
xxx und xxx

– Kläger –

Prozessbevollmächtigter:
zu 1-4: Rechtsanwalt Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Stadt Göttingen,
vertreten durch die Oberbürgermeisterin,
Hiroshimaplatz 1-4, 37083 Göttingen

– Beklagte –

wegen Maßnahmen gegen die Coronaepidemie

hat das Verwaltungsgericht Göttingen – 4. Kammer – auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 2023 durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht xxx, die Richterin am Verwaltungsgericht xxx, die Richterin am Verwaltungsgericht xxx sowie die ehrenamtlichen Richter xxx und xxx für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass die im Auftrag der Beklagten erfolgte Umzäunung des Wohnkomplexes „Groner Landstraße 9, 9a, 9b“ in Göttingen sowie deren Sicherung durch die Polizei in Amtshilfe bezogen auf den Zeitraum vom 18. Juni 2020 bis zum 22. Juni 2020 rechtswidrig waren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstrecken-den Betrags.

TATBESTAND

Die Kläger begehren die Feststellung der Rechtswidrigkeit von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie.

Sie bewohnen eine Wohnung in dem Gebäude „Groner Landstraße 9a“ im Stadtgebiet der Beklagten. Dieses Gebäude gehört zu dem Wohnkomplex „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“ im Göttinger Innenstadtbereich, der insgesamt aus 432 Wohneinheiten besteht.

Im Juni 2020 kam es in dem Gebäudekomplex zu einer größeren Zahl von Bewohnern, die sich mit dem Corona-Virus infiziert hatten. Die Beklagte führte daher am 15. und 16. Juni 2020 in der Wohnanlage eine Corona-Reihentestung durch. Von den insgesamt 668 durchgeführten Tests zeigten über 100 ein positives Ergebnis. Angesichts dieser Situation tagte am Abend des 17. Juni 2020 (Mittwoch) der „Stab für außergewöhnliche Ereignisse (SAE) Covid-19“ der Beklagten und wog mehrere Maßnahmenmöglichkeiten ab.

Am 18. Juni 2020 (Donnerstag) erließ die Beklagte (Fachbereich Gesundheitsamt für die Stadt und den Landkreis Göttingen) sodann „angesichts der Corona-Pandemie zum Schutz der Bevölkerung vor der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2“ auf Grund-lage von § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG folgende Allgemeinverfügung:

  1. Jede Person, die sich zu Wohn- oder Besuchszwecken aktuell im Gebäude unter der Anschrift Groner Landstraße 9, 9a oder 9b in Göttingen aufhält und nach einer Mitteilung des Gesundheitsamtes mit dem SARS-CoV-2-Erreger infiziert ist, hat sich unter der vorgenannten Adresse, nach den Regelungen des ausgehändigten Merkblattes, häuslich abzusondern. Dies gilt auch für Personen, die geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind.
  2. Sonstige Personen, die sich aktuell zu Wohn- oder Besuchszwecken im Gebäude unter der Anschrift Groner Landstraße 9, 9a oder 9b in Göttingen aufhalten und nicht zum Personenkreis unter Punkt 3 zählen, haben sich unter der vorgenannten Adresse, nach den Regelungen des ausgehändigten Merkblattes, häuslich abzusondern, bis zu einer ausdrücklichen Entlassung aus der häuslichen Absonderung durch das Gesundheitsamt. Dies gilt auch für Personen, die geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind.
  3. Jede Person, die sich zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Allgemeinverfügung in dem hier genannten Gebäudekomplex befindet und ihren gewöhnlichen Aufenthalt an einer anderen als der oben genannten Adresse nachweist, hat sich dort in häusliche Absonderung zu begeben und kann nach abgeschlossener Erkundung der Kontaktketten aus der häuslichen Absonderung entlassen werden.
  4. Im Einzelfall können weitere Ausnahmen von den Regelungen der Punkte 1 und 2 durch das Gesundheitsamt zugelassen werden.
  5. Verstöße gegen Anordnungen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 oder 2 IfSG sind gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG Ordnungswidrigkeiten und werden mit Bußgeldern geahndet.
  6. Diese Allgemeinverfügung tritt sofort in Kraft und ist gem. § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG sofort vollziehbar. Sie ist befristet bis zum 25.06.2020 um 24:00 Uhr. Die Allgemeinverfügung und Ihre Begründung können beim Fachbereich Gesundheitsamt der Stadt Göttingen, Theaterplatz 4, 37073 Göttingen eingesehen werden.

Zur Begründung hieß es in der Allgemeinverfügung u.a.: Das Gesundheitsamt nehme derzeit Kontakt zu den Bewohnern auf, die ein positives Testergebnis gehabt hätten. Diese Kontaktaufnahme nehme jedoch viel Zeit in Anspruch. Aufgrund der großen Anzahl von Bewohnern sei es außerdem noch nicht möglich gewesen, alle negativ getesteten Personen als Kontaktpersonen der Kategorie I positiv festzustellen oder auszuschließen. Es sei daher zu befürchten, dass die betroffenen Personen bis zum Abschluss dieser Arbeiten den Erreger unbewusst weiterverbreiten würden, z.B. auch in besonders schützenswerten Einrichtungen (Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, Schulen, Kindertagesstätten). Daher sei zum Schutz der Bevölkerung diesen Personen gegenüber eine häusliche Quarantäne anzuordnen.

Der Gebäudekomplex wurde zudem in der Zeit vom 18. Juni 2020, 11:00 Uhr, bis zum 25. Juni 2020, 24:00 Uhr, im Auftrag der Beklagten mittels eines Bauzaunes umzäunt und durch die Polizei in Amtshilfe abgesichert. Damit war es den Bewohnern des Gebäudekomplexes nicht mehr möglich, das Grundstück zu verlassen. Ebenso war es unbefugten Personen nicht möglich, sich von außen Zutritt zu dem Grundstück zu verschaffen. Ein mobiles Versorgungszentrum versorgte die Menschen innerhalb des Wohnkomplexes mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln. Die Stadtverwaltung, die Universitätsmedizin Göttingen sowie Hilfswerke (Rotes Kreuz und Johanniter) betrieben zudem vor Ort eine Gesundheitsstation.

Die Kläger befanden sich zu dieser Zeit in ihrer Wohnung bzw. jedenfalls auf dem Gelände des genannten Wohnkomplexes.

Am 20. (Samstag) und 21. (Sonntag) Juni 2020 führte die Beklagte erneut eine Reihen-Testung durch, zu deren Teilnahme sämtliche Bewohner des Wohnkomplexes aufgefordert waren.

Die Kläger wurden sowohl bei der Testung am 15./16. Juni 2020 als auch bei Testung am 20./21. Juni 2020 jeweils negativ auf das Corona-Virus getestet. Die Beklagte stellte ihnen daher unter dem 22. Juni 2020 (Montag) jeweils eine entsprechende Bescheinigung aus. Hierin erklärte sie, die Kläger dürften temporär den Wohnkomplex „Groner Landstraße 9“ unter Einhaltung im Einzelnen aufgeführter Bedingungen und Beschränkungen verlassen.

Am 23. Juni 2020 haben die Kläger beim Amtsgericht Göttingen u.a. die Feststellung begehrt, dass ihre Freiheitsentziehung seit dem 18. Juni 2020, 11:00 Uhr, dem Grunde nach sowie in der durchgeführten Art und Weise während des Vollzugs rechtswidrig war.

Mit Beschlüssen vom 24. August 2020 hat das Amtsgericht Göttingen die Verfahren an das Verwaltungsgericht Göttingen verwiesen (4 XIV 86/20 B, 4 XIV 87/20 B, 4 XIV 88/20 B und 4 XIV 89/20 B).

Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor, sie hätten ein rechtlich geschütztes Interesse an der beantragten Feststellung. Dieses ergebe sich aus dem tiefgreifenden Grundrechtseingriff, der durch die streitgegenständliche Maßnahme hervorgerufen worden sei. Gerichtlicher Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren habe während der Maßnahme nicht erlangt werden können, da diese auf eine nur kurze Zeitspanne beschränkt gewesen sei. In der Sache tragen die Kläger vor, die Polizei habe im streitbefangenen Zeitraum den gesamten Wohnkomplex umstellt und die Zugänge vollständig mit bewachten Bauzäunen umzäunt. Damit sei nicht die häusliche Quarantäne durchgesetzt worden. Vielmehr sei der gesamte Wohnkomplex in einen groß angelegten Gewahrsam umgewidmet worden. Dies habe eine Freiheitsentziehung im Sinne des § 30 Abs. 2 IfSG dargestellt, die dem Richtervorbehalt unterlegen habe. Es sei jedoch kein Richter mit der Anordnung oder Kontrolle der Freiheitsentziehung beschäftigt gewesen. Damit sei die durch die Beklagte durchgeführte Maßnahme rechtswidrig gewesen.

Die Kläger beantragen
festzustellen, dass die im Auftrag der Beklagten erfolgte Umzäunung des Wohnkomplexes „Groner Landstraße 9, 9a, 9b“ in Göttingen sowie deren Sicherung durch die Polizei in Amtshilfe bezogen auf den Zeitraum vom 18. Juni 2020 bis zum 22. Juni 2020 rechtswidrig waren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Kläger hätten ein Feststellungsinteresse nicht dargelegt. Sie hätten sich erst am frühen Morgen des 23. Juni 2020 um gerichtlichen Rechtsschutz bemüht; die streitgegenständliche Anordnung sei gegenüber den Klägern jedoch bereits am 22. Juni 2020 aufgehoben worden. Die Kläger hätten zuvor die Gelegenheit gehabt, um entsprechenden Eilrechtsschutz nachzusuchen. Eine Überprüfung der streitbefangenen Maßnahme in einem Hauptsacheverfahren sei für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht erforderlich.

Zudem hält die Beklagte die streitbefangene Maßnahme für rechtmäßig und tritt den Ausführungen der Kläger entgegen. Sie habe zur Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus auf Grundlage des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG die Absonderung aller im Gebäudekomplex wohnenden Personen als Ansteckungsverdächtige angeordnet. Diese Maßnahme habe sich bei der Ermessensausübung als das mildeste Mittel zum Schutz der Bevölkerung dargestellt. Es habe sich um eine rein öffentlich-rechtliche Anordnung gehandelt und nicht um eine Maßnahme nach § 30 Abs. 2 IfSG, für die auf der Grundlage des FamFG eine richterliche Entscheidung einzuholen gewesen wäre. Von der angeordneten häuslichen Absonderung seien auch die Kläger unmittelbar betroffen gewesen. Diese hätten daher während der Dauer ihrer Absonderung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamtes ihre Wohnung nicht mehr verlassen oder aber Besuch empfangen dürfen. Die Kläger seien also nicht eingesperrt gewesen. Sie hätten sich vielmehr auf der Grundlage von § 30 Abs. 1 IfSG bis zum 22. Juni 2020 in häuslicher Quarantäne befunden. Folglich seien sie mit dem vorliegend beanstandeten Bauzaun gar nicht in Berührung gekommen. Der Zaun sei damit zwar faktisch vorhanden gewesen, habe die Kläger allerdings gar nicht betroffen. Im Ergebnis könne es damit keine Grundrechtsverletzung der Kläger durch den aufgestellten Zaun geben. Ein Verbot, das Gelände zu verlassen, habe die Allgemeinverfügung im Übrigen nicht beinhaltet. Um sicherzustellen, dass sog. Quarantänebrecher das Gelände des Wohnkomplexes nicht hätten verlassen können, sei das Grundstück im Auftrag der Beklagten eingezäunt worden. Zur Sicherung habe die PI Göttingen auf Ersuchen der Beklagten Amtshilfe geleistet. Die Kläger seien jedoch keine Quarantänebrecher gewesen, sondern hätten sich bis zu ihrer Freitestung „freiwillig“ in häuslicher Quarantäne befunden. Ohnehin hätte angesichts der massiven Anzahl positiv auf Covid-19-getesteter Personen, die seinerzeit in dem Gebäudekomplex gelebt hätten, eine jeden konkreten Einzelfall betreffende richterliche Entscheidung nicht so schnell eingeholt werden können, dass der Zweck der Maßnahme – nämlich eine rasante Ausbreitung des Virus unverzüglich zu verhindern – noch hätte erreicht werden können. Hierbei sei auch zu berücksichtigen gewesen, dass ein Teil der betroffenen Bewohner nicht einmal namentlich bekannt gewesen sei. Ein Antrag auf Freiheitsentziehung müsse jedoch zwingend Ausführungen zur Identität und zum gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen enthalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

Dabei braucht das Gericht nicht die zwischen den Beteiligten streitige Frage zu klären, ob der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder aber aufgrund einer aufdrängenden Sonderzuweisung eröffnet ist. Denn jedenfalls ist das Verwaltungsgericht aufgrund der bindenden Verweisungsbeschlüsse des Amtsgerichts Göttingen vom 24. August 2020 für das Verfahren zuständig (geworden) (vgl. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG).

1. Die Klage ist zulässig.

a. Sie ist als allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft.

Nach dieser Vorschrift kann durch eine Klage u.a. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter Rechtsverhältnis werden hierbei die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sach-verhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache er-geben (Eyermann, 16. Auflage, 2022, VwGO, § 43, Rn. 12).

Vorliegend stellt die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob das Aufstellen des Bauzaunes um das Gelände des Wohnkomplexes „Groner Landstraße 9, 9a, 9b“ sowie dessen Sicherung durch die Polizei in Amtshilfe bezogen auf den Zeitraum vom 18. Juni 2020 bis zum 22. Juni 2020 von einer gesetzlichen Rechtsgrundlage gedeckt war, ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis in diesem Sinne dar. Die Kläger waren als Bewohner des genannten Wohnkomplexes von dieser öffentlich-rechtlichen Maßnahme selbst betroffen und konnten in dem genannten Zeitraum das Gelände nicht verlassen. Die aufgezeigte (Rechts-)Frage ist zudem klärungsfähig.

Die Feststellungsklage ist auch nicht gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO subsidiär. Die Kläger können (bzw. konnten) ihre Rechte nicht durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen. Die streitbefangene Maßnahme stellte einen bloßen Realakt dar und keinen Verwaltungsakt, gegen den allein die Anfechtungsklage bzw. nach Erledigung eine Rechtswidrigkeitsfeststellung in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in Betracht käme.

b. Die Kläger haben auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung.

Als Feststellungsinteresse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ist grundsätzlich jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art anzusehen. Dabei ist maßgeblich, dass die begehrte gerichtliche Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2017 – 6 B 14/17 -, juris, Rn. 13). Sofern – wie hier – ein erledigtes, vollständig in der Vergangenheit liegendes Rechtsverhältnis streitgegenständlich ist, wird ein besonderes, qualifiziertes Feststellungsinteresse gefordert. Ein solches kann insbesondere in bestimmten – im Wesentlichen zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entwickelten – Fallgruppen angenommen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 1997 – 1 C 2/95 -, juris, Rn. 17).

Hierbei muss der Kläger ein berechtigtes Feststellungsinteresse so substantiiert darlegen, dass das Gericht beurteilen kann, welchen Bedeutungsgehalt die begehrte Feststellung für ihn hat (BVerwG, Beschluss vom 4. März 1976 – I WB 54/74 -, BVerwGE 53,134; BVerwG, Urteil vom 15. November 1990 – 3 C 49/87 -, juris; Wolff, in: So-dan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 113, Rn. 267 m. w. N). Denn die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG erfasst nicht die Verpflichtung des Gerichts zu einer Sachentscheidung, wenn der Bürger zur Wahrung seiner Rechte den beantragten Rechtsschutz nicht mehr benötigt (VG Augsburg, Urteil vom 26. April 2021 – Au 9 K 21.70 -, juris, Rn. 20).

Zudem ergibt sich aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte und Rechtsverhältnisse in Anspruch genommen werden können. Nach dem Wegfall der mit dem Verwaltungsakt bzw. Rechtsverhältnis verbundenen Beschwer wird gerichtlicher Rechtsschutz grundsätzlich nur zur Verfügung gestellt, wenn der Kläger ein berechtigtes rechtliches, wirtschaftliches oder ideelles Interesse an einer nachträglichen Feststellung der Rechts-widrigkeit der erledigten Maßnahme hat. Das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit ist in den Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses anerkannt, kann aber auch aus anderen Umständen des Einzelfalls hergeleitet werden, sofern die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die klägerische Position in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern (BVerwG, Urteil vom 29. März 2017 – 6 C 1.16 -, juris, Rn. 29).

So kommt ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse insbesondere auch in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe in Betracht. Hierunter fallen vornehmlich solche, die schon das Grundgesetz – wie in den Fällen der Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 und 3 – unter Richtervorbehalt gestellt hat. Bei derart schwerwiegenden Grundrechtseingriffen hat das Bundesverfassungsgericht ein durch Art. 19 Abs. 4 GG geschütztes Rechtsschutzinteresse in Fällen angenommen, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann (BVerfG, Beschluss vom 30. April 1997 – 2 BvR 817/90 u.a. -, juris, Rn. 49).

Über diesen Grundsatz hinausgehend nimmt das Bundesverfassungsgericht zudem bei Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person ein Feststellungsinteresse unabhängig davon an, ob die Gerichte bei typischem Verfahrensablauf in der Lage sind, über Rechtsmittel gegen den angegriffenen Hoheitsakt innerhalb der Dauer der direkten Belastung zu entscheiden. Denn das Recht auf Freiheit der Person habe unter den grundrechtlich verbürgten Rechten einen besonders hohen Rang. Jede Inhaftierung greife in schwerwiegender Weise in dieses Recht ein. Schon dies lasse in aller Regel auch nach Erledigung des Eingriffs ein Interesse des Betroffenen an der – auch nachträglichen – Feststellung der Rechtswidrigkeit als schutzwürdig erscheinen. Hinzu komme, dass ein Rechtsschutzinteresse für eine (nachträgliche) Feststellung der Rechtswidrigkeit auch aus dem diskriminierenden Charakter einer Maßnahme folgen könne, wenn die begehrte Feststellung als „Genugtuung“ oder zur Rehabilitierung erforderlich sei, weil der Verwaltungsakt diskriminierenden Charakter gehabt und das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen beeinträchtigt habe. Ein Freiheitsverlust durch Inhaftierung indiziere ein solches Rehabilitierungsinteresse. Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit, mit denen der Staat auf festgestelltes, begründeterweise vermutetes oder zu besorgendes rechtswidriges Verhalten des Einzelnen reagiere, würden den davon Betroffenen im Kern seiner Persönlichkeit berühren, auch wenn sie nicht mit einer strafrechtlichen Unwerterklärung verbunden seien (vgl. hierzu insgesamt: BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 2 BvR 527/99 u.a. -, juris, Rn. 36 ff.).

Gemessen an diesen Grundsätzen steht den Klägern ein von der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG umfasstes Interesse an der begehrten Feststellung zu. Denn die von ihnen beanstandete Maßnahme stellte für den Zeitraum, für den sie gegenüber den Klägern Wirkung entfaltete, einen tiefgreifenden Eingriff in Form der Freiheitsentziehung in das Grundrecht der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit der Person und in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) dar. Den Klägern war es aufgrund der Umzäunung und Bewachung des von ihnen bewohnten Wohnkomplexes mehrere Tage lang unmöglich, das Grundstück zu verlassen. Hierdurch wurde ihre körperliche Bewegungsfreiheit nicht nur kurzfristig erheblich eingeschränkt. Ohne Belang ist hierbei der Einwand der Beklagten, dass die Kläger mit dem Zaun gar nicht in Berührung gekommen seien, da sie schon aufgrund der von ihnen nicht angefochtenen Absonderungsverfügung daran gehindert gewesen seien, ihre Wohnung zu verlassen. Denn nicht die Absonderungsverfügung an sich, sondern erst der von der Polizei gesicherte Bauzaun hinderte die Kläger tat-sächlich – d.h. physisch – daran, das Grundstück ihres Wohnkomplexes zu verlassen.

Zudem zielte die Beklagte mit der beanstandeten Maßnahme darauf ab, mögliche Quarantänebrecher daran zu hindern, das Wohngrundstück zu verlassen. Dafür ist – wie sich auch aus der Regelung des § 30 Abs. 2 IfSG zur zwangsweisen Durchsetzung einer Absonderungsverfügung ergibt (vgl. hierzu näher die Ausführungen unter 2.c. des Urteils) – die an das zurechenbare Verhalten der Absonderungsverpflichteten anknüpfende Feststellung verbunden, die Betroffenen würden ohne den entsprechenden Zwang ihrer Absonderungspflicht nicht „freiwillig“ nachkommen. Somit beinhaltet die hier in Streit stehende Maßnahme implizit auch den Vorwurf, die von ihr betroffenen Bewohner des Gebäudekomplexes hätten sich in einer Weise gesetzwidrig verhalten oder es würde drohen, dass sie sich so verhielten, dass dies die zwangsweise Durchsetzung der Absonderungsverfügung rechtfertige. Das Umzäunen des Grundstücks sowie die Überwachung durch die Polizei waren daher auch geeignet, das Ansehen der Betroffenen in der Öffentlichkeit herabzusetzen.

Mit Blick auf den festgestellten tiefgreifenden Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG ) und in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) in Gestalt einer Freiheitsentziehung kommt es vorliegend demnach nicht (mehr) darauf an, ob die Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt war, in welcher die Kläger eine gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum hätten erlangen können. Es ist deshalb unerheblich, dass die Kläger ihren Eilantrag erst gestellt haben, als sie das umzäunte Gelände schon wieder verlassen durften.

2. Die Klage ist auch begründet. Die von den Klägern beanstandete Maßnahme (Umzäunung und Sicherung des Wohnkomplexes „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“) war – bezogen auf den Zeitraum vom 18. Juni 2020 bis zum 22. Juni 2020 – rechtswidrig und hat die Kläger in ihren Rechten verletzt. Die Beklagte ist die richtige Klagegegnerin (dazu weiter unter a.). Zudem ist die beanstandete Maßnahme weder von der Rechtsgrundlage der §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG (dazu weiter unter b.) noch von der Rechtsgrundlage der §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 2 IfSG (dazu weiter unter c.) getragen. Auch findet sich keine andere Rechtsgrundlage, auf die die Beklagte die beanstandete Maßnahme stützen konnte (dazu weiter unter d.).

a. Die Beklagte ist im vorliegenden Verfahren passivlegitimiert. Denn sie trägt die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der durchgeführten und hier beanstandeten Maßnahme. Die Errichtung des Bauzauns und dessen Sicherung erfolgten in ihrem Auftrag durch die Polizei in Amtshilfe bzw. Vollzugshilfe.

Die Verteilung der Verantwortung für Handlungen im Rahmen der Amtshilfe wird im Innenverhältnis durch § 7 Abs. 2 VwVfG geregelt. Danach trägt die ersuchende Behörde gegenüber der ersuchten Behörde die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der zu treffenden Maßnahme (Satz 1). Die ersuchte Behörde ist für die Durchführung der Amtshilfe verantwortlich (Satz 2). Im Außenverhältnis gilt, dass Rechtsschutz gegen denjenigen Rechtsträger zu suchen ist, dessen Behörde die beanstandete Maßnahme getroffen hat oder zu treffen gedenkt. Dagegen sind Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen, die von der ersuchten Behörde im Zuge der konkreten Durchführung der Amtshilfe getroffen werden, gegen den Träger dieser Behörde zu richten. Dies betrifft im Zusammenhang mit einer polizeilichen Vollzugshilfe nur solche Maßnahmen der Polizei, denen bei der konkreten Ausgestaltung der Amtshilfemaßnahmen ein eigenständiger Eingriffscharakter zukommt, sofern § 44a VwGO einer isolierten gerichtlichen Überprüfung nicht entgegensteht. Dagegen hat die ersuchende Behörde grundsätzlich nach außen hin umfassend für die Hauptmaßnahme einzustehen. Davon eingeschlossen ist, dass der ersuchenden Behörde auch Mängel der Amtshilfehandlung und deren Schlechterfüllung zugerechnet werden und zur Rechtswidrigkeit der Hauptmaßnahme führen können. Rechtsbehelfe sind gegen die ersuchende Behörde und gegen die Hauptmaßnahme zu ergreifen (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2017 – 6 C 46/16 -, ju-ris, Rn. 17; vgl. hierzu auch insgesamt: BeckOK VwVfG/Funke-Kaiser, 60. Ed., 1. April 2022, VwVfG, § 7 Rn. 9 f.; Stelkens/Bonk/Sachs/Schmitz/Prell, 10. Auflage, 2022, VwVfG, § 7, Rn. 9).

Vorliegend hat allein die Beklagte die Entscheidung getroffen, sämtliche Bewohner des Wohnkomplexes „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“ abzusondern und anschließend das Wohnareal – zum Zwecke der zwangsweisen Durchsetzung der Absonderung – mit Hilfe der Polizei einzuzäunen und schließlich durch Polizeibeamte sichern zu lassen. Sie ist damit trotz der Inanspruchnahme der Polizei im Wege der Amtshilfe „Herrin des Verfahrens“ geblieben. Die Gesamtverantwortung für die Recht- und Zweckmäßigkeit der zu verwirklichenden Maßnahme lag weiterhin bei ihr, ohne dass die Polizei als ersuchte Behörde bei den verwirklichten Amtshilfehandlungen den Rahmen des Amtshilfeersuchens überschritten hätte. Die gerichtliche Überprüfung der Amtshilfehandlung hat daher im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Beklagte zu erfolgen, die die Hauptmaßnahme veranlasst hat. Die Polizei hat indes nach außen erkennbar lediglich als Helferin, also nur als verlängerter Arm der Beklagten gehandelt.

b. Als Rechtsgrundlage für die Umzäunung und Bewachung des Wohnkomplexes „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“ kann § 28 Abs. 1 Satz 1 in der hier maßgeblichen Fassung vom 27. März 2020 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG in der Fassung vom 19. Mai 2020 bereits vom Ansatz her nicht herangezogen werden. Zwar dürfte einiges dafürsprechen, dass seinerzeit die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift für eine Absonderung vorlagen und insbesondere die Kläger als ansteckungsverdächtig zu qualifizieren waren. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Prüfung. Denn jedenfalls ist die von den Klägern beanstandete Umzäunung und Sicherung des Wohnkomplexes als Rechtsfolge nicht von der genannten Rechtsgrundlage gedeckt.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Absatz 1 und in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Die Behörde kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.

Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 IfSG hat die zuständige Behörde anzuordnen, dass Personen, die an Lungenpest oder an von Mensch zu Mensch übertragbarem hämorrhagischem Fieber erkrankt oder dessen verdächtig sind, unverzüglich in einem Krankenhaus oder einer für diese Krankheiten geeigneten Einrichtung abgesondert werden. Bei sonstigen Kranken sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern kann nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG angeordnet werden, dass diese in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen, befolgen können oder befolgen würden und dadurch ihre Umgebung gefährden.

Dabei eröffnet § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG als Rechtsfolge das pflichtgemäße Ermessen der zuständigen Behörde, über eine Absonderung der betroffenen Person in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise (insbesondere in der Wohnung des Betroffenen) zu entscheiden (BeckOK, Infektionsschutzrecht, Stand: 8. Juli 2023, § 30 IfSG, Rn. 19, 21). Hierbei ist jedoch berücksichtigen, dass die Absonderung nach § 30 Abs. 1 IfSG ausweislich der Gesetzesbegründung die Freiwilligkeit des Betroffenen voraussetzt. Dabei ist „Freiwilligkeit“ insoweit in dem Sinne des Bestehens einer Einsicht in das Notwendige und der Bereitschaft, der Absonderungsanordnung Folge zu leisten, zu verstehen. Lediglich, wenn der Betroffene den seine Absonderung betreffenden Anordnungen nach § 30 Abs. 1 IfSG nicht nachkommt oder anzunehmen ist, dass er dies nicht tun wird, besteht Anlass für eine sogenannte Zwangsabsonderung nach § 30 Abs. 2 IfSG (Gerhardt, 6. Auflage, 2022, § 30 IfSG, Rn. 1). Damit ist es der zuständigen Behörde verwehrt, ohne Beachtung des in § 30 Abs. 2 IfSG vorgesehenen Verfahrens Maßnahmen und Anordnungen zu ergreifen, die zumindest von ihrer subjektiven Zielsetzung her erkennbar darauf gerichtet sind, die durch den Betroffenen eigentlich „freiwillig“ zu befolgende Absonderungsverfügung nach § 30 Abs. 1 IfSG doch zwangsweise durchzusetzen.

Hieran gemessen lässt sich die Umzäunung und Bewachung des Gebäudekomplexes „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“ erkennbar nicht auf die Rechtsgrundlage des § 30 Abs. 1 IfSG stützen. Vielmehr wurde die eigentliche Absonderung der Kläger bereits mit der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 18. Juni 2020 ausgesprochen, die diese bis zu ihrer „Freitestung“ am 22. Juni 2020 sodann „freiwillig“ befolgen sollten. Die streitbefangene Maßnahme (Umzäunung und Bewachung des Gebäudekomplexes) ging über die Anordnung einer Absonderung der Kläger in ihrer Wohnung, die al-lein auf Grundlage von § 30 Abs. 1 IfSG erlassen werden konnte, also zweifelsfrei hinaus.

c. Die Umzäunung und Bewachung des Gebäudekomplexes „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“ diente erkennbar und auch nach dem eigenen Vortrag der Beklagten dazu, sog. Quarantäneverweigerer daran zu hindern, das Gelände des Wohnkomplexes verlassen zu können. Zwar kann § 30 Abs. 2 IfSG grundsätzlich solch eine zwangsweise Durchsetzung der Absonderung nach § 30 Abs. 1 IfSG legitimieren. Die im vorliegenden Fall konkret beanstandete Maßnahme wird von dieser Vorschrift jedoch ebenfalls nicht getragen.

§ 30 Abs. 2 IfSG regelt im Einzelnen:

Kommt der Betroffene den seine Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nach oder ist nach seinem bisherigen Verhalten anzunehmen, dass er solchen Anordnungen nicht ausreichend Folge leisten wird, so ist er zwangsweise durch Unterbringung in einem abgeschlossenen Krankenhaus oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses abzusondern (§ 30 Abs. 2 Satz 1 IfSG). Dabei können Ansteckungsverdächtige und Ausscheider auch in einer anderen geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abgesondert werden (§ 30 Abs. 2 Satz 2 IfSG). Das Grundrecht der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden (§ 30 Abs. 2 Satz 3 IfSG). Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt entsprechend (§ 30 Abs. 2 Satz 4 IfSG).

Auf diese Vorschrift konnte die hier beanstandete Maßnahme nicht gestützt werden.

aa. Zum einen ermächtigt die Vorschrift des § 30 Abs. 2 Satz 1 IfSG bereits von der Rechtsfolgenseite her nicht zu dem hier streitbefangenen Vorgehen der Beklagten. Sie berechtigt nämlich lediglich zu einer zwangsweisen Absonderung im Wege der Unterbringung des Betroffenen in einem abgeschlossenen Krankenhaus oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses. Der genannte Wohnkomplex stellt aber offensichtlich weder ein Krankenhaus noch einen Teil eines Krankenhauses dar.

Zwar können Ansteckungsverdächtige und Ausscheider nach § 30 Abs. 2 Satz 2 IfSG auch in einer anderen geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abgesondert werden. Allerdings stellt die „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“ auch keine „andere geeignete abgeschlossene Einrichtung“ im Sinne dieser Vorschrift dar. Selbst durch die Umzäunung und Bewachung des Gebäudekomplexes ist sie nicht zu einer solchen geworden.

Nach § 2 Nr. 15 IfSG ist eine Einrichtung oder ein Unternehmen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes eine juristische Person, eine Personengesellschaft oder eine natürliche Person, in deren unmittelbarem Verantwortungsbereich natürliche Personen behandelt, betreut, gepflegt oder untergebracht werden. Diese Bestimmung lässt offen, was der Unterschied zwischen einer Einrichtung und einem Unternehmen ist. Im Schrifttum wird hierzu die Auffassung vertreten, dass die Begriffsbestimmung nur dann greife, wenn im Gesetz die Worte „Einrichtungen“ und „Unternehmen“ gemeinsam an-geführt werden (BeckOK, a.a.O., § 2, Rn. 70; Gerhardt, a.a.O, § 2, Rn. 75a). Hierzu wohl abweichend stellen andere Stimmen im Schrifttum jedoch heraus, dass der Gesetzgeber den im Bundesseuchengesetz und im IfSG 2001 noch nicht enthaltenen Begriff des Unternehmens später dem Begriff der Einrichtung lediglich deshalb hinzufügte, um ambulante Pflegedienste und Unternehmen, die ähnliche Dienstleistungen wie Einrichtungen anbieten, ebenfalls zu erfassen (vgl. Kießling, IfSG, 3. Auflage, 2022, § 2, Rn. 43a ff.).

Dieser Streit kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn aus der Gesetzessystematik des Infektionsschutzgesetzes folgt, dass der Gebäudekomplex „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“ mit seinen 432 Wohnungen grundsätzlich keine Einrichtung im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 2 IfSG darstellt. So haben die zuständigen Gebietskörperschaften nach § 30 Abs. 7 Satz 1 IfSG nämlich dafür zu sorgen, dass die nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG und § 30 Abs. 2 IfSG notwendigen Räume, Einrichtungen und Transportmittel sowie das erforderliche Personal zur Durchführung von Absonderungsmaßnahmen außerhalb der Wohnung zur Verfügung stehen (Hervorhebung durch das Gericht).

Hinzu kommt, dass dem Wohnkomplex „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“ auch die erforderliche Eignung im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 2 IfSG gefehlt hat. Die Geeignetheit der Einrichtung bestimmt sich hierbei nach medizinisch-epidemiologischen Kriterien. Nach Sinn und Zweck des § 30 und des IfSG insgesamt muss jedenfalls die Übertragung der Krankheit durch die baulichen Begebenheiten der Einrichtung verhindert werden können. Da bei Ausscheidern die Infektion feststeht, muss insbesondere bei einer Absonderung mehrerer Personen verhindert werden, dass Ausscheider Personen mit dem Erreger anstecken, die zwar als ansteckungsverdächtig gelten, aber tatsächlich nicht infiziert sind (BeckOK, a.a.O. § 30 IfSG, Rn. 31; Kießling, a.a.O., § 30 IfSG, Rn. 38).

Vorliegend wurde durch die Umzäunung und Bewachung des Wohnkomplexes „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“ jedoch nicht verhindert, dass Ausscheider andere Personen (insbesondere Ansteckungsverdächtige) mit dem Corona-Virus anstecken konnten. Denn die Umzäunung und Bewachung haben lediglich verhindert, dass Ausscheider das Gesamtgelände verlassen und damit die Infektion „nach draußen“ tragen konnten. Sie verhinderten indes nicht, dass sich Ausscheider innerhalb des Wohnkomplexes frei bewegen und auf diese Weise andere Personen, die bis dahin – wie z.B. die Kläger – lediglich Ansteckungsverdächtige waren, ebenfalls mit dem Erreger anstecken konnten.

bb. Zum anderen sind vorliegend auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 2 IfSG nicht erfüllt gewesen. Die genannte Vorschrift setzt nämlich voraus, dass der Betroffene den seine Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nachkommt, oder aber dass nach seinem bisherigen Verhalten anzunehmen ist, dass er solchen Anordnungen nicht ausreichend Folge leisten wird.

Es ist nicht ersichtlich – und wird im Übrigen auch von der Beklagten selbst nicht behauptet –, dass die Kläger der ihnen gegenüber jeweils ergangenen Absonderungsanordnung nach § 30 Abs. 1 IfSG nicht oder nicht vollständig nachgekommen wären. Ebenso liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass im Falle der Kläger nach deren bisherigen Verhalten anzunehmen gewesen wäre, dass sie der Anordnung nach § 30 Abs. 1 IfSG zukünftig nicht ausreichend Folge leisten würden. Erforderlich aber auch ausreichend für eine solche Annahme ist, dass der Behörde bereits durch Tatsachen erhärtete Anhaltspunkte vorliegen, welche bei verständiger Würdigung den Schluss nahelegen, dass der Betroffene einer Anordnung nach § 30 Abs. 1 IfSG nicht Folge leisten wird. Dabei ist der konkrete Grund, aus welchem der Betroffene der Anordnung nach Einschätzung der Behörde nicht nachkommen wird, ohne Belang. Die Annahme muss sich auf entsprechende vorangegangene Erfahrungen, entsprechende Äußerungen der betroffenen Person oder sonstige tatsächliche Umstände stützen, bedarf also einer hinreichenden Tatsachengrundlage (Gerhardt, a.a.O., § 30 IfSG, Rn. 44). Hierfür ist vorliegend in Bezug auf die Kläger nichts ersichtlich. Vielmehr hat die Beklagte die Bewohner des Wohnkomplexes „Groner Landstraße 9, 9a und 9b“ insoweit unter Generalverdacht gestellt.

cc. Aber selbst unter der Annahme, dass die streitbefangenen Maßnahmen grundsätzlich doch auf § 30 Abs. 2 IfSG hätten gestützt werden können, ändert sich das gefundene Ergebnis nicht. Denn die Beklagte hätte dann jedenfalls verfahrensfehlerhaft gehandelt.

Die zwangsweise Durchsetzung der Anordnung der Absonderung kann nämlich nur im Rahmen des in § 30 Abs. 2 Satz 4 IfSG genannten Verfahrens nach dem 7. Buch des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) erfolgen. Hiernach darf die zwangsweise Durchsetzung der Absonderung gemäß § 417 Abs. 1 FamFG nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde durch ein Gericht angeordnet werden. Der Beschluss des Gerichts wird von der zuständigen Verwaltungsbehörde vollzogen (§ 422 Abs. 3 FamFG).

Ein solcher richterlicher Beschluss ist hier unstreitig nicht durch die Beklagte eingeholt worden. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dieser Verfahrensverstoß gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich sein könnte. Denn es ist nicht offensichtlich im Sinne dieser Vorschrift, dass die aufgezeigte Verletzung des Verfahrens die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hätte. Vielmehr wäre es die Sache des im Rahmen von § 30 Abs. 2 Satz 4 IfSG ersuchten Gerichts gewesen, in einem im Einzelnen begründeten richterlichen Beschluss die nähere Bezeichnung der Freiheitsentziehung sowie den Zeitpunkt, zu dem die Freiheitsentziehung endet, darzulegen (vgl. § 421 FamFG). Zuvor wären die Betroffenen (§ 418 Abs. 1, 2 FamFG) sowie ggf. ein ärztlicher Sachverständiger (§ 420 Abs. 4 Satz 1 FamFG) anzuhören gewesen.

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus § 428 Abs. 1 FamFG. Zwar ergibt sich aus dieser Bestimmung, dass eine Freiheitsentziehung (und damit auch die zwangsweise Durchsetzung der Absonderung nach § 30 Abs. 2 IfSG) abweichend von der grundsätzlich verfassungsrechtlich vorgesehenen Konstellation des vorhergehenden Richtervorbehalts in Ausnahmefällen (nämlich bei Gefahr im Verzug; Haußleiter/Heidebach, 2. Auflage, 2017, FamFG, § 428 Rn. 4) auch unmittelbar durch die Verwaltung vollzogen werden kann. In diesem Fall ist jedoch die richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (Satz 1). Ist die Freiheitsentziehung nicht bis zum Ablauf des ihr folgenden Tages durch richterliche Entscheidung angeordnet, ist der Betroffene freizulassen (§ 428 Abs. 1 Satz 2 FamFG). Diese absolute Höchstgrenze für eine allein auf behördlicher Anordnung beruhende Freiheitsentziehung wurde hier zweifelsfrei überschritten.

Schließlich verfängt auch der Einwand der Beklagten nicht, sie wäre bereits faktisch überhaupt nicht in der Lage gewesen, in jedem Einzelfall eine richterliche Entscheidung einzuholen, da sie keinen Überblick über die tatsächlich in dem Wohnkomplex lebenden Menschen (gehabt) habe. Angesichts der schon im Grundgesetz angelegten Bedeutung des Richtervorbehalts in Fällen der Freiheitsentziehung war es der Beklagten nicht erlaubt, sich hierüber schlicht hinwegzusetzen, ohne auch nur Kontakt mit dem insoweit eigentlich zuständigen Gericht aufzunehmen.

d. Die nach Angabe der Beklagten mit den beanstandeten Maßnahmen beabsichtigte (zwangsweise) Durchsetzung der im Wege der Allgemeinverfügung angeordneten Absonderung kann auch nicht auf die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsvollstreckungsrechts gestützt werden. Dabei kann das Gericht offen lassen, ob die Existenz des § 30 Abs. 2 IfSG die Anwendung des allgemeinen Verwaltungszwangs von vorn-herein sperrt (so Gerhardt, a.a.O., § 30 IfSG, Rn. 36; BeckOK, a.a.O., § 30 IfSG, Rn. 25; a.A.: Kießling, a.a.O., § 30, Rn. 34). Denn selbst wenn die Beklagte als zuständige Behörde berechtigt gewesen wäre, zur Durchsetzung der Absonderungsverfügung die Kläger aufgrund der allgemeinen Regelungen des unmittelbaren Zwangs am Verlassen des Gebäudekomplexes zu hindern, wäre auch hier der Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 GG zu beachten gewesen (vgl. Kießling, a.a.O., § 30, Rn. 35).

e. Da somit keine Rechtsgrundlage besteht, auf die die beanstandete Maßnahme gestützt werden konnte, ist im Ergebnis die Rechtswidrigkeit der Umzäunung und der Bewachung des Gebäudekomplexes für den streitbefangenen Zeitraum festzustellen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.