Verwaltungsgericht Weimar – Urteil vom 23.06.2015 – Az.: 1 K 122/12 We

URTEIL

In dem Verwaltungsstreitverfahren

der Frau xxx,
– Klägerin –

Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

den Freistaat xxx,
– Beklagter –

wegen
Polizeirechts

hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Weimar durch den Richter am Verwaltungsgericht xxx als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung am 23. Juni 2015 für Recht erkannt:

1. Es wird festgestellt, dass die von Beamten des Beklagten am 03.09.2011 in Leinefelde, Mühlhäuser Straße/Konradmartinstraße durchgeführte Freiheitsentziehung sowie die sich anschließende Personalienfeststellung der Klägerin rechtswidrig gewesen sind.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

TATBESTAND
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer stattgefundenen Freiheitsentziehung und einer sich anschließenden Personalienfeststellung. Dem liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin befand sich am 03.09.2011 in der räumlichen Nähe einer dort stattfindenden Demonstration gegen einen in Leinefelde stattfindenden Aufmarsch von Rechtsextremen. Die hiergegen angemeldete (Gegen-)Demonstration erreichte den angemeldeten Abschlusskundgebungsort. Danach sollte eine weitere Spontandemonstration von ca. 100 Personen in Richtung Bahnhof Leinefelde stattfinden. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser Aufzug durch die Versammlungsbehörde verboten wurde. Unmittelbar daran anschließend wurden die Teilnehmer der Spontandemonstration von Polizeibeamten umstellt und ihre Personalien festgestellt. Danach konnten sie die Umstellung verlassen. Auch die Klägerin wurde diesen Maßnahmen unterzogen.

Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Weimar hat mit Urteil vom 05.01.2015 festgestellt, dass ein Verbot der Versammlung stattgefunden habe und dieses Verbot rechtswidrig gewesen sei. Zur Begründung verweist das Urteil im Wesentlichen darauf, dass eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht erkennbar gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die von Polizeibeamten an der Straßenecke Mühlhäuser Straße/Konrad-Martin-Straße durchgeführte Freiheitsentziehung sowie die sich anschließende Personalienfeststellung rechtswidrig gewesen ist.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die streitgegenständlichen Maßnahmen zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit durchgeführt worden seien.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 19.02.2013 an das Amtsgericht Heiligenstadt verwiesen. Auf die Beschwerde der Klägerin hat das Thüringer Oberverwaltungsgericht den Verweisungsbeschluss der Kammer mit Beschluss vom 05.09.2013 aufgehoben. Zur Begründung hat das Thüringer Oberverwaltungsgericht insbesondere darauf verwiesen, dass nach dem Klagevorbringen Gegenstand des Verfahrens Maßnahmen der präventiven Gefahrenabwehr im Anschluss an eine Demonstration gewesen seien. Hierfür sei der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie das Retent des Verfahrens 4 K 1076/12 We sowie die Akte 4 K 124/12 We nebst Verwaltungsakte verwiesen. Alle diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

ENTSCHEIDUNGUNGSGRÜNDE
Die Klage ist zulässig.

Nach dem Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 05.09.2013 ist das Verwaltungsgericht zur Entscheidung über den Rechtsstreit zuständig.

Die Klage ist auch im Übrigen als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Zugunsten der Klägerin besteht ein besonderes Feststellungsinteresse, das sich hier aus einer möglichen Grundrechtsbetroffenheit i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz – GG – im Zusammenhang mit der erfolgten Freiheitsentziehung und aus Art. 8 GG im Zusammenhang mit einer möglichen Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit gibt. Es kann daher dahinstehen, ob die polizeiliche Ingewahrsamnahme darüber hinaus geeignet ist, das Ansehen der betroffenen Person in rechtlich relevanter Weise in der Öffentlichkeit herabzusetzen (vgl. hierzu VG Gera, Urt. vom 07.09.2005 – 1 K 2240/04.Ge- ThürVBl. 2007, 87 bis 89). Ein besonderes Feststellungsinteresse besteht auch im Hinblick auf die erfolgte Personalienfeststellung. Insoweit besteht ein Rehabilitationsinteresse der Klägerin an der Feststellung, zu Unrecht als Beschuldigte zur Personalienfeststellung herangezogen worden zu sein (vgl. hierzu BayVGH, Urt. vom 02.12.1991 – 21 B 90.1066 – BayVB1. 1993, 429 bis 433 für den Fall einer erkennungsdienstlichen Behandlung).

Die Klage ist auch in der Sache begründet. Die seitens der Klägerin beanstandeten polizeilichen Maßnahmen sind rechtswidrig gewesen und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 VwG0).

Dies gilt sowohl für die durchgeführte Freiheitsentziehung als auch für die sich anschließenden Personalienfeststellung. Beiden Maßnahmen fehlt es an der erforderlichen Rechtsgrundlage:
Grundlage des Vorgehens der Polizei konnte nach dem oben genannten Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts lediglich die präventive Gefahrenabwehr im Zusammenhang mit einer Spontanversammlung darstellen. Die Maßnahmen der Polizei sind weder tatsächlich noch rechtlich teilbar und sind dementsprechend auch nicht teilweise einem repressiven Vorgehen (zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten) zuordenbar. Ist dementsprechend das Thüringer Oberverwaltungsgericht mit seinem oben genannten Beschluss der Auffassung, dass die eigenen Angaben der Polizei, die auf ein Handeln nach § 163b StPO hindeuten (Blatt 20 der VA II), nicht ausreichend sind um ein repressives Handeln zu belegen, bleibt nur die Qualifizierung des polizeilichen Handelns als präventives Gefahrenabwehrhandeln, da keine weiteren Anhaltspunkte zur rechtlichen Qualifizierung des polizeilichen Handelns vorhanden sind. Da das Verwaltungsgericht an den Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgericht gebunden ist, geht es daher von einem präventiven polizeilichen Handeln sowohl in Form der Freiheitsentziehung als auch der Personalienfeststellung aus.

Öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlagen – insbesondere des Polizeirechts- sind jedoch für die durchgeführten Maßnahmen nicht vorhanden.

Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob die zur Anmeldung gelangte Spontanversammlung verboten wurde (so die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Weimar in einem Parallelverfahren vom 05.01.2015 – 4 K 1076/12 We -), oder ob ein solches Verbot – wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerin meint – gar nicht ausgesprochen wurde. Denn im ersten Fall ist ein Rückgriff auf das Polizeirecht ohne vorherige Auflösung der Versammlung nach § 15 Abs. 2 Versammlungsgesetz von vornherein unzulässig (vgl. hierzu VG Köln, Urteil vom 29.08.2002 – 20 K 4628/00 – juris).

Bei einem – unterstellten – Verbot der Spontanversammlung hingegen geht das Gericht – mit der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Weimar – jedenfalls von einer Rechtswidrigkeit eines solchen Verbotes aus. Die 4. Kammer hat hierzu im oben genannten Urteil ausgeführt:
“… Weder der angefochtenen Verfügung noch den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgängen oder sonstigen, im Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung erkennbaren Umständen ist zu entnehmen, dass bei der Durchführung der Spontanversammlung am 03.09.2011 um 16.15 Uhr die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet war.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersammlG lagen nicht vor. Den vom Beklagten vorgelegten Akten lassen sich keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt war. Es fehlt insbesondere an konkreten Tatsachen, die belegen, dass den Teilnehmern der Spontanversammlungen daran gelegen war, noch einmal zu dem Versammlungsort der NPD zu gelangen, um dort die gewalttätige Auseinandersetzung mit den Teilnehmern der NPD-Veranstaltung zu suchen. Der Versammlungsort der NPD lag auf dem Vorplatz des Sportplatzes Ecke Beethovenstraße/Bachstraße und damit in entgegengesetzter Richtung von der vom Kläger angemeldeten Marschroute der Spontanversammlung vom Lunapark zum Bahnhof über die Mühlhäuser Straße. In diese Richtung setzte sich der Versammlungszug dann auch trotz des ausgesprochenen Verbotes in Bewegung, da zumindest einige Teilnehmer zum Bahnhof wollten, um einen Zug kurz nach 17.00 Uhr in Richtung Göttingen zu erreichen. Bereits dieser beabsichtigte Weg des Demonstrationszuges spricht hier gegen die Annahme des Beklagten, Ziel sei die NPD-Versammlung gewesen. Dass aufgrund der im Vorfeld der Veranstaltung des NPD Kreisverbandes gewonnenen Erkenntnisse von Anfang an damit zu rechnen gewesen sei, dass linksgerichtete Versammlungsteilnehmer versuchen würden, zur Versammlung der NPD zu gelangen, bleibt ebenfalls abstrakt. Der Beklagte legt diese Erkenntnisse im Einzelnen nicht nachvollziehbar dar. Die erforderliche Gefahrenprognose in Bezug auf die Spontanversammlung vermag er damit nicht zu begründen. Bloße Vermutungen oder Befürchtungen reichen jedoch nicht aus, objektive Umstände und erkennbare Tatsachen sind nicht ersichtlich. Andere Anhaltspunkte, dass eine konkrete Sachlage vorlag, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führen würde, lassen sich weder den vorgelegten Verwaltungsakten entnehmen noch wurden diese substantiiert vorgetragen. Weder die vom Beklagten aufgeführten Verstöße gegen das Alkoholverbot oder das Skandieren beleidigender Parolen im Vorfeld der Spontanversammlung noch Übergriffe Vereinzelter lassen sich hier konkret den Teilnehmern zurechnen und rechtfertigen nicht die Einschätzung des Beklagten, dass mit der Spontanversammlung aggressive Ausschreitungen gegen Personen und Sachen beabsichtigt waren. Es fehlen jegliche Anzeichen für die Durchführung äußerlicher Handlungen von einiger Gefährlichkeit von den Teilnehmern an der Spontanversammlung, mithin für eine unfriedliche Versammlung. Aus dem Beamtenbericht des Polizeioberkommissars xxx vom 05.09.2011 ergibt sich vielmehr, dass der ursprünglich angemeldete Aufzug der DGB-Jugend durch das Stadtgebiet und die sich um 16.00 Uhr anschließende Kundgebung im Lunapark weitgehend störungsfrei verliefen. Eine nachvollziehbare Begründung für die Einschätzung, dass die Spontanversammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedeuten würde, wurde nach den vorliegenden Verwaltungsvorgängen weder gegenüber dem Kläger während des Versammlungsgeschehens abgegeben noch sind diese im Nachgang dokumentiert. Dass möglicherweise während der Diskussion um das ausgesprochene Versammlungsverbot mit der Polizei beleidigende und lächerlich machende Äußerungen gefallen sind, kann schon deshalb nicht als Anzeichen für eine Unfriedlichkeit des spontanen Aufzuges gewertet werden, da diese erst nach der Untersagung, mithin nach der behördlichen Entscheidung, erfolgt sind. Das Verbot sollte nach dem Bekunden des Vertreters der Versammlungsbehörde im Erörterungstermin verhindern, dass ein Transparent mit dem zu Protesten gegen den Papstbesuch Ende September im Eichsfeld aufgerufen werden sollte, öffentlich gezeigt wird. Damit ist aber das Versammlungsverbot gerade nicht zu rechtfertigen, diese Meinungskundgabe würde vielmehr ebenfalls dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG unterfallen.
Da keine nachweisbaren Tatsachen die Gefahrenprognose des Beklagten zu untermauern vermögen, war das Versammlungsverbot rechtswidrig. …”

Diesen Darlegungen schließt sich das Gericht ausdrücklich an. Ist in dieser Konstellation daher von einer Rechtswidrigkeit des Verbots der Spontanversammlung auszugehen, können die darauf fußenden präventiv-polizeilichen Maßnahmen ihrerseits selbst nicht rechtmäßig sein. Denn dann beruhen die entsprechenden Maßnahmen der Personalienfeststellung und der Freiheitsentziehung auf der – falschen – Annahme einer Gefahr i.S.d. Polizeirechtes. Diese Gefahr hätte dann die Polizei selbst dadurch verursacht, dass sie in rechtswidriger Weise (wie oben festgestellt) eine Spontanversammlung verboten hat. Dies muss nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zur Rechtswidrigkeit der darauf fußenden Maßnahmen führen.

Der Klage war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.