URTEIL
In den Rechtsstreit
xxx,
Klägerin,
Prozessbevollm.: Rechtsanwalt Sven Adam
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen
gegen
Jobcenter Werra-Meißner vertreten durch den/die Geschäftsführer/in
Fuldaer Straße 6, 37269 Eschwege
Beklagter,
hat die 6. Kammer des Sozialgerichts Kassel auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2018 durch die Vorsitzende, die Richterin am Sozialgericht xxx sowie die ehrenamtlichen Richter xxx und xxx für Recht erkannt:
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 15.12.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2017 die Kosten der Unterkunft unter Zugrundelegung ihrer Aufwendungen in tatsächlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
TATBESTAND
Die Klägerin bewohnt seit dem 1.4.2015 eine 49,27 qm große 2-Zimmerwohnung in Witzenhausen mit einer monatlichen Grundmiete i.H.v. 242 € sowie kalten Nebenkosten i.H.v. 50 € und Heizkosten i.H.v. 88 € pro Monat (insgesamt 380 €).
Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 12.12.2016 bewilligte der Beklagte mit angegriffenem Bescheid vom 15.12.2016 für die Zeit vom 1.2.2017 bis 31.7.2015 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. monatlich 736,83 Euro, davon Kosten der Unterkunft in Höhe von 242,00 Euro Grundmiete zuzüglich 32,56 Euro Nebenkosten und 78,75 Euro Heizkosten.
Hiergegen legte die Klägerin unter dem 20.12.2016 Widerspruch mit dem Ziel, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu erhalten, ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.2.2017 zurückgewiesen hat.
Am 1.3.2017 hat die Klägerin die vorliegende Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben und verfolgt ihr Begehren, die Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlich entstandener Höhe zu erhalten, weiter.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass das Gutachten der Firma Analyse & Konzepte vom 1.4.2016, fortgeschrieben am 1.4.2016, das der Beklagte seiner Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zugrunde gelegt hat, nicht den Anforderungen entspreche, welche das BSG für Erhebungen zur Ermittlung von angemessenen Wohnkosten nach § 22 Abs. 1 SGB II aufgestellt habe. Für den Wohnort der Klägerin (xxx) biete das Gutachten letztlich keinerlei Grundlage, um Kürzungen im Rahmen der Unterkunft vornehmen zu können.
Die Klägerin begründet ihre Position unter anderem damit, dass:
- Analyse & Konzepte entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für den gesamten Werra-Meißner-Kreis nur einen einzigen Vergleichsraum angenommen und in 2 Wohnungsmarkttypen aufgeteilt habe,
- die verkehrstechnische Verbundenheit im Sinne eines homogenen Wohn- und Lebensraums zwischen einzelnen Ortschaften gerade nicht bestehe, da beispielsweise eine Fahrt zwischen Großalmerode und Herleshausen mit dem Bus nicht unter einer Fahrzeit von 2,5 Stunden und mit der Bahn nicht unter 2 Stunden und 13 Minuten zu bewältigen sei,
- das Konzept Kommunen mit strukturell vergleichbaren Wohnungsmärkten zu Wohnungsmarkttypen zusammenfasse und für diese Mietwerte ermittle, ohne dass die Kommunen eines Wohnungsmarkttyps zwingend räumlich nebeneinander liegen sondern sich vielmehr über das Untersuchungsgebiet verteilen könnten,
- von den lautet Zensusbericht 19.390 Wohnungen, die zu Wohnzwecken vermietet sein sollen, lediglich 1727 Datensätze zu Bestandsmieten betrachtet, nach der Extremwertkappung nur noch 1636 Bestandswohnungen einbezogen worden seien,
- bei der Erhebung der Bestandsmieten strukturelle Fehler begangen worden seien; auch sei lediglich ein Datensatz von 346 Angebotswohnungen berücksichtigt worden,
- das Konzept teilweise auf veraltete statistische Werte etwa aus dem Jahr 2006 zurückgehe.
Der Beklagte hat eine Stellungnahme von Analyse & Konzepte vom 10.3.2016, das dieses im Rahmen eines Klageverfahrens vor der 5. Kammer des SG Kassel abgegeben hatte, in das vorliegende Verfahren eingeführt (vgl. BI. 50 Akte des SG).
Mit Bescheid vom 26.4.2017 gewährte der Rentenversicherungsträger der Klägerin rückwirkend ab dem 1.1.2017 Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 579,00 Euro.
Mit Schreiben vom 3.5.2017 meldete der Beklagte gegenüber der Deutschen Rentenversicherung Bund einen Erstattungsanspruch an. Der Rentenversicherungsträger erstattete an den Beklagten insgesamt einen Betrag in Höhe von 3488,30 Euro (vgl. Bescheid vom 16.5.2017, BI. 1213 der Beklagtenakte). Der Beklagte hob die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 1.6.2017 ganz auf. Ab dem 1.6.2018 bezog die Klägerin ergänzend Leistungen nach dem Wohngeldgesetzt (WoGG), so dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 23.8.2017 die teilweise Erledigung des Rechtsstreits für die Zeit vom 1.6. bis 31.7.2017 erklärte, der sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 31.8.2017 anschloss.
Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 15.12.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.2.2017 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum 1.2.2017 bis 31.5.2017 die Kosten der Unterkunft unter Zugrundelegung ihrer Aufwendungen in tatsächlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt:
Die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, der Anspruch sei wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB SGB X insgesamt erledigt.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
Die Beteiligten haben den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) im o.g. Bewilligungszeitraum beschränkt. Bei den Ansprüchen auf Leistungen für Unterkunft und Heizung handelt es sich um abtrennbare selbständige Ansprüche, sodass eine Beschränkung des Streitgegenstandes insoweit zulässig ist (BSG, Urteil vom 22.09.2009 — B 4 AS 70/08 R Rn. 10, juris; BSG, Urteil vom 16.06.2015 — B 4 AS 44114 R Rn. 11, juris).
Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Heizkosten-Übernahme in der Sitzung unstreitig gestellt hatte und nach Teilerledigungserklärung zuletzt streitgegenständlich nur noch der Zeitraum bis zum 31.5.2017 war, hatte die Kammer nur noch über die Kosten der Unterkunft im Zeitraum 1.2. bis 31.5.2017 zu entscheiden.
Die Klägerin hat in o.g. Zeitraum Anspruch auf Übernahme ihrer tatsächlich angefallenen Kosten der Unterkunft. Insoweit sind die angegriffenen Bescheide rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Der Anspruch hat sich auch nicht gem. § 107 Abs. 1 SGB X erledigt.
Gemäß § 107 Abs. 1 SGB X gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Damit bewirkt die Vorschrift zur Vermeidung von Doppelleistungen und Rückabwicklungen in ihrem Anwendungsbereich eine „Erfüllungsfiktion” mit der Folge, dass der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger — also den Erstattungsverpflichteten — als erfüllt gilt. Der Berechtigte muss die Leistung nicht an den erstattungsberechtigten Träger, von dem er die Leistung zunächst erhalten hat, zurückzahlen, um sie dann vorn eigentlich zuständigen Leistungsträger (wieder) zu erhalten.
Vorliegend ist zwar der Anwendungsbereich des § 107 Abs. 1 SGB X grundsätzlich eröffnet, da ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen den Rentenversicherungsträger bestanden hat. Im Umfang der Erstattung bewirkte § 107 Abs. 1 SGB X, dass die Leistungen des Beklagten in Höhe der Rentenzahlung (579,00 Euro monatlich) im Zeitraum 1.2. bis 31.5.2017 als Leistungen des Rentenversicherungsträgers galten (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2.
Aufl. 2017, § 107 SGB X, Rn. 24f., zitiert nach juris).
Aus dem Wortlaut des § 107 Abs. 1 SGB X ergibt sich, dass der Anspruch nur „soweit” als erfüllt gilt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht, die Erfüllungsfiktion ist also beschränkt auf die Höhe des Erstattungsanspruchs. Darüber hinaus gehende Ansprüche des Berechtigten bleiben unberührt (vgl. Burkizczak, aaO., Rn. 22). Im Ergebnis ist sicher zu stellen, dass der Berechtigte durch die – hier – erst rückwirkende Rentenbewilligung nicht schlechter gestellt werden darf, als wäre die Rente von vornherein bewilligt worden und die Überbrückung durch Leistungen nach dem SGB II nicht notwendig gewesen (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 29. April 2015 — L 2 R 237/13 juris, Rn. 41ff.). Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte von einer Erstattung der überzahlten Leistungen nach dem SGB II an die Klägerin abgesehen hat und auch ein Antrag auf (rückwirkende) Zuschüssen zur Miete nach dem Wohngeldgesetz (WoGG), wie dies ab dem 1.1.2016 mit Einführung des § 25 Abs. 3 WoGG möglich gewesen wäre, nicht gestellt wurde.
Die Klägerin konnte im streitgegenständlichen Zeitraum ihren Bedarf auch nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken und war somit hilfebedürftig nach § 7 Abs. 1 SGB II.
Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.
Nach der Rechtsprechung des BSG ergibt sich aus dem Rechtsbegriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II die Verpflichtung der kommunalen Träger der Grundsicherung, für ihren Zuständigkeitsbereich eine abstrakte — also vom Einzelfall gelöste — Angemessenheitsgrenze zu entwickeln, wobei der Grundsicherungsträger in der Methode grundsätzlich frei ist (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.7.2017, L 10 AS 333/16, Rn. 37, juris, unter Hinweis auf: BSG, Urteil vom 18. November 2014 — B 4 AS 9/14 R BSGE 117, 250-260, SozR 4-4200 § 22 Nr 81, Rn. 24). Zur Konkretisierung dieser Angemessenheitsgrenze ist nach der Rechtsprechung des BSG in einem ersten Schritt die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard zu bestimmen sowie in einem zweiten Schritt festzulegen, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.9.2009 — B 4 AS 18/09 R BSGE 104, 192-199, SozR 4-4200 § 22 Nr 30, Rn. 13). Im Weiteren verlangt das BSG, dass der Ermittlung der Angemessenheitsgrenze ein sogenanntes schlüssiges Konzept zugrunde liegt. Die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden (BSG, Urteil vom 18.6.2008 — B 1417b AS 44/06 R juris). Insoweit verlangt das BSG mit dem schlüssigen Konzept für die Ermittlung der abstrakt angemessenen Bruttokaltmiete ein planmäßiges Vorgehen im Sinne einer systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenn auch orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Raum (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, aa0., Rn. 37 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 22.9.2009 – B 4 AS 18/09 R – BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, RdNr 19; BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 — B 4 AS 44/14 R SozR 4-4200 § 22 Nr 85, Rn. 20).
Die von der Klägerin seit 1.4.2015 bewohnte Wohnung ist (leicht) unangemessen zu groß, da diese eine Wohnfläche von 49,27 m2 aufweist. Als angemessene Wohnungsgröße ist bei einem 1-Personenhaushalt von 45 m2 auszugehen, was sich anhand der Kriterien der Förderungswürdigkeit im sozialen Wohnungsbau nach den hierfür geltenden Vorschriften (§ 5 Wohnungsbindungsgesetz in Verbindung mit § 27 Abs. 1 – 5 Wohnraumförderungsgesetz) bestimmt (vgl. Nr. 4.2.1 der Richtlinien zur sozialen Wohnungsraumförderung vom 20. Februar 2003 (StAnz. S 1346), geändert durch die Richtlinien vom 19. Januar 2004 (StAnz. S 628).
Auch das Produkt aus angemessener Wohnungsgröße und Standard, ausgedrückt in der Höhe des Mietzinses (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 6.11.2013 – L 4 SO 166/15 B ER — Rn. 29, juris), liegt über der vom Beklagten herangezogenen Angemessenheitsobergrenze.
Es kommt also darauf an, ob diese Angemessenheitsobergrenze auf einem schlüssigen Konzept im o.g. Sinne beruht.
Die Kammer hält das vom Beklagten verwendete Konzept der Firma Analyse & Konzepte zur Feststellung der Angemessenheit von Unterkunftskosten im Werra-Meißner-Kreis (im Folgenden: Konzept) nicht für geeignet, die Unterkunftskosten der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum zu begrenzen, weil insbesondere die Bestimmung des Vergleichsraums nicht den durch das BSG aufgestellten Vorgaben entspricht.
Bei dem sogenannten Vergleichsraum im Sinne der Rechtsprechung des BSG handelt es sich um ausreichend große Räume der Wohnbebauung aufgrund räumlicher Nähe, mit zusammenhängender Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit. Der Vergleichsraum muss hierbei insgesamt betrachtet einen homogenen Lebens- und Wohnbereich darstellen (BSG, Urteil vom 16.06.2015 — B 4 AS 44/14 R — SozR 4-4200 § 22 Nr 85, Rn. 16). Die Festlegung des genau eingegrenzten Vergleichsraumes ist die zentrale Forderung des Bundessozialgerichts zur Bestimmung der Mietobergrenze für ein bestimmtes Gebiet (so LSG Mecklenburg-Vorpommern, aaO., Rn. 41). Die ordnungsgemäße Bestimmung des Vergleichsraumes ist somit logische Voraussetzung für die Entwicklung eines schlüssigen Konzeptes (BSG, Urteil vom 16.04.2013 – B 14 AS 28/12 R SozR 4-4200 § 22 Nr 67, Rn. 31).
Die zentrale Bedeutung des Vergleichsraums sieht die Kammer mit dem LSG Mecklenburg-Vorpommern deshalb darin, dass ein Hilfebedürftiger im Rahmen eines für ihn maßgeblichen Vergleichsraums auf jedwede nach Wohnungsstandard und Wohnungsgröße zumutbare Wohnung verwiesen werden kann (vgl. Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern, aaO., Rn. 42).
Die 3. Kammer des Sozialgerichts Kassel hat in ihrem Urteil vom 19.2.2018 (Az. S 3 AS 236/15, juris.de) folgende Ausführungen zu der von Analyse & Konzepte vorgenommenen Bildung des Vergleichsraums gemacht:
„Der Beklagte hat das gesamte Kreisgebiet des Werra-Meißner-Kreises als einen Vergleichsraum definiert. Dieser stellt zur Überzeugung des Gerichts indessen keinen tauglichen Vergleichsraum im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts dar. Der Werra-Meißner-Kreis bildet ohne Oberzentrum und vier Mittelzentren keinen homogenen Lebensbereich (vgl., Regionalplan Nordhessen 2009, S. 31 rp-kassel.hessen.de). Ein Teilbereich des Landkreises, nämlich die Gemeinden Großalmerode, Helsa sowie der Gutsbezirk Kaufunger Wald sind dem Ordnungsraum Kassel zugeordnet, für den eine ordnungs- und entwicklungsplanerische Gesamtkonzeption weiter zu verfolgen ist, die auf die nachdrückliche Sicherung bzw. Herbeiführung guter und gleich-wertiger Lebens-, Wirtschafts- und Umweltbedingungen gerade in der Verbindungsfunktion zwischen Verdichtungsraum und ländlichem Raum abzielt (Regionalplan Nordhessen 2009, a.a.O., S. 21). Der übrige Landkreis ist dem ländlichen Raum zugeordnet (Regionalplan Nordhessen 2009, S. 20). Somit zeigt schon diese Untergliederung die Inhomogenität des Landkreises als Vergleichsraum. Aber auch infrastrukturell zeigt sich diese Inhomogenität. Das Straßennetz ist geprägt durch die ehemalige Zonenrandlage und topografischen Gegebenheiten durch die Mittelgebirgslandschaft des Hohen Meißner. Dies spiegelt sich auch wieder im Liniennetz des öffentlichen Personennahverkehrs, das gerade keinerlei homogene Struktur im Werra-Meißner-Kreis aufweist. Diese Gesichts-punkte finden bei der Vergleichsraumbildung, wie sie der Beklagte vornimmt, keine Berücksichtigung. Die Firma Analyse & Konzepte benennt den Landkreis als einheitlichen Vergleichsraum, ohne dies herzuleiten und zu begründen. Einer Analyse der Infrastruktur und hier insbesondere der verkehrstechnischen Verbundenheit im Sinne eines homogenen Lebens- und Wohnbereiches ermangelt es.”
Dem – ebenso wie im Ergebnis der Entscheidung der 12. Kammer des SG Kassel vom 21.3.2018, S 12 SO 112/16, juris) schließt sich die 6. Kammer nach eigener Urteilsbildung an.
Aus der Rechtsprechung des BSG folgt, dass der Vergleichsraum so zu bemessen ist, dass ein Umzug innerhalb dieses Vergleichsraums für den Leistungsempfänger grundsätzlich immer (abstrakt) zumutbar sein muss aufgrund einer insgesamt homogenen Wohn- und Lebensstruktur und guter Verkehrsanbindung und Infrastruktur. Das BSG sieht eben nicht nur die Wohnung als „Dach über dem Kopf” an sondern respektiert auch das soziale Umfeld des Leistungsempfängers. Eine Einzelfallprüfung der Zumutbarkeit kann dann nur bei zusätzlichen individuellen persönlichen Bedürfnissen und Umständen in Betracht kommen (vgl. auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, aaO., Rn. 58).
Der Sinn und Zweck eines Konzepts im Sinne eines planvollen Vorgehens wird – insbesondere im Hinblick auf die für einen Rechtsstaat zentralen Aspekte Vorhersehbarkeit und Gleichbehandlung – verfehlt, wenn eine Einzelfallprüfung auch in „Standardfällen” durchzuführen sein wird, wovon das Konzept selbst ausgeht (vgl. S. 13 des Konzepts).
Die Kammer hat erhebliche Bedenken, im Hinblick auf die Erreichbarkeit innerhalb des Vergleichsraums ausschließlich auf Fahrtzeiten mit dem Auto abzustellen mit der nicht weiter begründeten oder gar validierten Behauptung, dass „in ländlichen Bereichen davon auszugehen ist, dass ein PKW vorhanden ist und dieser auch für die Wege zum Arbeitsplatz genutzt wird” (vgl. Stellungnahme von Analyse & Konzepte vom 10.3.2016, BI. 51 der Akte des SG).
Legt man die Fahrtzeiten mit dem Öffentlichen Personennahverkehr zugrunde, so ist festzustellen, dass diese innerhalb des Werra-Meißner-Kreises, auch innerhalb eines Wohnungsmarkttypus z.T. über 2,5 oder gar 3 Stunden einfache Strecke betragen (z.B. Herleshausen nach VVitzenhausen zwischen 2 und 3 Std. im 2-Stunden-Takt, zwischen Herleshausen und Großalmerorde zwischen. 2 St. 20 Min. und 3 St. 20 Min. mit 4 mal umsteigen im 2-Stunden-Takt). Von einer verkehrstechnisch guten Infrastruktur im Sinne eines homogenen Wohn- und Lebensraums kann hier nicht gesprochen werden.
Die vom Beklagten zitierten obergerichtlichen Entscheidungen, die andere Konzepte des Instituts Analyse & Konzepte als schlüssig im Sinne der Maßstäbe des BSG befunden haben, können entweder gerade nicht als Indiz für eine korrekte Vergleichsraumbildung herangezogen werden, weil im betrachteten Vergleichsraum eine gute verkehrstechnische Erschließung als vorhanden beschrieben wurde (vgl. beispielhaft LSG Thüringen, Urteil vom 8.7.2015, L 4 AS 718/14, juris) oder gar keine vertiefte Auseinandersetzung mit den konkreten räumlichen Entfernungen bzw. Erreichbarkeiten einzelner Gebiete mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorgenommen wurde (vgl. beispielhaft Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.1.2016, L 12 AS 1180/12, juris).
Auch der Verweis des Beklagten auf etwa das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz zum Donnersbergkreis (Urteil vom 29.11.2016, L 3 AS 137/14, juris) ist nach Ansicht der Kammer auf die hier vorliegende Situation nicht übertragbar: Im Donnersbergkreis wird ein Konzept der Bündelung von Einrichtungen und Dienstleistungen im einem Mittelzentralen Verbund beschrieben; das nächstgelegene Mittelzentrum sei von zwei Referenzpunkten der Verbandsgemeinde innerhalb von max. 30 Minuten mit dem ÖPNV zu erreichen. Der Landkreis Werra-Meißner besteht hingegen aus 4 Mittelzentren; hinsichtlich der Fahrtzeiten mit dem ÖPNV siehe oben.
Die Kammer ist sich der Problematik, für den Werra-Meißner Kreis mit seinen geografischen Besonderheiten, einem lückenhaften Ausbau des Liniennetzes des ÖPNV, der teilweise sich strukturell deutlich auswirkenden Zonenrandlage und dem insgesamt nicht einheitlichen Wohnungsmarkt und Mietniveau, ausreichend große Vergleichsräume zu bilden, die immer noch eine ausreichende Datenbasis aufweisen, bewusst. Eine Möglichkeit bei Bildung mehrerer Vergleichsräume könnte darin liegen, die jeweilige Datenbasis durch Ausdehnung des Erhebungszeitraums zu erhöhen und nicht, wie hier, einen zu großen Vergleichsraum zu wählen.
Exemplarisch sei auf ein Konzept für den Kreis Landsberg am Lech verwiesen, in dem aufgrund der Unterschiede in den geografischen Gegebenheiten und der Mietstruktur fünf Vergleichsräume gebildet wurden, was das Sozialgericht München, 46. Kammer, in einer Entscheidung vom 24.1.2018, S 46 AS 1426/15, juris) als plausibel angesehen hat.
Die vorliegend für den Werra-Meißner-Kreis unzulässig große Vergleichsraumbildung wird auch nicht dadurch insgesamt schlüssig, dass Analyse & Konzepte innerhalb des Vergleichsraums zwei Wohnungsmarkttypen gebildet hat. Den diesbezüglichen Bedenken der 3. Kammer des SG Kassel schließt sich die 6. Kammer nach eigener Urteilsfindung ebenfalls an (vgl. Urteil vom 19.2.2018, aa0., Rn. 11ff).
Somit kommt es im vorliegenden Fall nicht mehr darauf an, ob das Konzept die vom Bundessozialgericht entwickelten Kriterien für die „Schlüssigkeit” erfüllt, da es schon an der zutreffenden Bestimmung des Vergleichsraumes fehlt.
Mangels Bereitschaft des Beklagten zur Nachbesserung des Konzepts für den streitgegenständlichen Zeitraum ist vorliegend von einem Erkenntnisausfall hinsichtlich der angemessenen Referenzmiete auszugehen (vgl. auch Urteil der 3. Kammer des Sozialgerichts Kassel, as0.) und ein Rückgriff auf die Tabellenwerte des § 12 Wohngeldgesetzes (WoGG) zuzüglich eines „Sicherheitszuschlages” ist geboten (vgl. BSG, Urteil vom 16.06.2015 — B 4 AS 44/14 R SozR 4-4200 § 22 Nr 85, Rn. 25). Der Wohnort der Klägerin ist gem. Anlage zu § 1 Abs. 3 WoGV der Mietenstufe I zugeordnet.
Der Tabellenwert des § 12 WoGG in der Fassung vom 2.10.2015 (BGBl. I 1610) betrug 312,- Euro, unter Berücksichtigung des 10%igen Zuschlags ergibt dies einen Wert von 343,20 Euro, den die Klägerin nicht überschritten hat.
Nach alledem war der Klage stattzugeben, die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Kammer hat die Berufung zugelassen, weil die Frage der Vergleichsraumbildung sowie insgesamt der Schlüssigkeit des Konzepts für den Werra-Meißner-Kreis obergerichtlicher Klärung bedarf, nachdem beim Sozialgericht Kassel unterschiedliche Entscheidungen ergangen sind.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.