Verwaltungsgericht Kassel – Urteil vom 23.01.2019 – Az.: 4 K 3530/16.KS


URTEIL

In dem Verwaltungsstreitverfahren
des Herrn xxx,
Klägers,

bevollmächtigt:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen
den Sparkassenzweckverband Kassel, vertreten durch die Verbandsversammlung,
Wolfsschlucht 9, 34117 Kassel,
Beklagter,

bevollmächtigt:
HFK Rechtsanwälte,
Stephanstraße 31, 60313 Frankfurt am Main,

beigeladen:
1. xxx,
2. xxx,
3. xxx,
4. xxx,
5. xxx,
6. xxx,
7. xxx,
8. xxx,

wegen     Sparkassenrechts

hat das Verwaltungsgericht Kassel – 4. Kammer – durch
Vorsitzenden Richter am VG xxx,
Richterin am VG xxx,
Richterin xxx,
ehrenamtliche Richterin xxx,
ehrenamtlichen Richter xxx

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2019 für Recht erkannt:

Unter Aufhebung des Beschlusses der Verbandsversammlung des Sparkassenzweckverbandes Kassel vom 01.09.2016 über die Sitzverteilung (BI. 9 der Niederschrift über die Sitzung der Verbandsversammlung des Sparkassenzweckverbandes Kassel am 01.09.2016 vom 01.11.2016) und entsprechender Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Sparkassenzweckverbandes Kassel vom 27.12.2016 wird die Feststellung des Ergebnisses der Sitzverteilung hinsichtlich der Wahl der vier Mitglieder des Verwaltungsrates aus dem Kreis der zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel wählbaren Personen vom 01.09.2016 aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleitung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

TATBESTAND

Am 01.09.2016 wählte die Zweckverbandsversammlung der Kasseler Sparkasse einen neuen Verwaltungsrat, der nach § 31 der Satzung der Kasseler Sparkasse aus vier Mitgliedern aus dem Kreis der zum Kreistag des Landkreises Kassel wählbaren Personen und vier Mitgliedern aus dem Kreis der zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel wählbaren Personen bestehen soll. Die Wahlen wurden nach § 55 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchgeführt.

Das vorliegend allein angefochtene Ergebnis der Wahl der vier Mitglieder des Verwaltungsrates aus dem Kreis der zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel wählbaren Personen wurde durch die Wahlleiterin wie folgt festgestellt:


Zahl der stimmberechtigten Vertreter der
Mitglieder der Verbandsversammlung:                     48

Zahl der heute anwesenden Vertreter der
Mitglieder der Verbandsversammlung:                     47

Abgegebene Stimmen:                                            47
Ungültige Stimmen:                            
                    1
Gültige Stimmen:                            
                        46

Auf die einzelnen Wahlvorschläge entfallen folgende Stimmen:
Vorschlag der Fraktion CDU:                                   10
Gemeinsamer Vorschlag der Fraktion SPD und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:
                              26
Vorschlag der Fraktion AfD:
                                       5
Vorschlag der Fraktion Kasseler Linke:
                     5

Dies ergibt folgende Sitzverteilung
CDU:                                                                           1 Sitz
Gemeinsamer Vorschlag der Fraktion SPD und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:                                3 Sitze
AfD:                                    
                                         0 Sitz
Kasseler Linke:                                
                           0 Sitz

Die Verbandsversammlung hat somit in den Verwaltungsrat der Kasseler Sparkasse aus dem Kreis der zur Stadtverordnetenversammlung Kassel wählbaren Personen gewählt:
Herr Bernd-Peter Doose         Liste CDU
Herr Christian Geselle             Liste SPD – Bündnis 90/Die Grünen
Herr Dr. Günther Schnell         Liste SPD – Bündnis 90/Die Grünen
Herr Dieter Beig                       Liste SPD – Bündnis 90/Die Grünen

Zur Feststellung des Ergebnisses dieser Sitzverteilung führte die Wahlleiterin ausweislich der Niederschrift vom 01.11.2016 über die Sitzung der Verbandsversammlung des Sparkassenzweckverbandes Kassel am 01.09.2016 ergänzend aus, dass der gemeinsame Wahlvorschlag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine absolute Mehrheit der Stimmen erhalten habe. Bei Anwendung der Mehrheitsklausel nach § 22 Abs. 4 Hessisches Kommunalwahlgesetz (KVVG) sei die absolute Mehrheit der erhaltenen Stimmen auch bei den zu vergebenden Sitzen zu berücksichtigen. Im Ergebnis erhalte somit der gemeinsame Wahlvorschlag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen drei anstelle von zwei Sitzen. Der Losentscheid für einen Sitz zwischen AfD und Kasseler Linke entfalle.

Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses verwies der Kläger als Mitglied der Zweckverbandsversammlung und Wahlvorschlag der Fraktion Kasseler Linke auf ein Urteil des VG Kassel aus dem Jahr 2014, wonach die Anwendung von § 22 Abs. 4 KWG für Verwaltungsratswahlen bei Sparkassen nicht zulässig und die Sitzverteilung deshalb nicht korrekt festgestellt worden sei. Die Wahlleiterin trat diesem Einwand entgegen und die Verbandsversammlung bestätigte die Feststellung der Sitzverteilung der Wahl der vier Mitglieder des Verwaltungsrates aus dem Kreis der zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel wählbaren Personen mit Stimmenmehrheit (s. Beschluss, BI. 9 der Niederschrift über die Sitzung der Verbandsversammlung des Sparkassenzweckverbandes Kassel am 01.09.2016 vom 01.11.2016).

Gegen die Gültigkeit der Wahl und die Feststellung des Wahlergebnisses legte der Kläger mit Schreiben vom 09.09.2016 bei der Wahlleiterin „Einspruch” ein. Mit Beschluss vom 01.12.2016 wies die Zweckverbandsversammlung den Widerspruch des Klägers zurück und erklärte die Wahlen und die Feststellung des Wahlergebnisses für gültig.

Hierauf hat der Kläger am 28.12.2016 Wahlanfechtungsklage, gestützt auf verschiedene Argumente, erhoben.

In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger Teile seiner ursprünglichen Argumentation auf und beschränkt die „Wahlanfechtung” auf die Feststellung des Wahlergebnisses hinsichtlich der Wahl der vier Mitglieder aus dem Kreis der zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel wählbaren Personen.

Er ist der Auffassung, dass die Anwendung des § 22 Abs. 4 KWG den Vorgaben des § 23 Hessisches Sparkassengesetz (HSparkG) widerspreche. Das Sparkassengesetz als lex spezialis verdränge die Auffangvorschrift des § 7 Abs. 2 des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit (KGG). § 23 Abs. 1 HSparkG verweise allein auf § 22 Abs. 3 KWG und nicht auf § 22 Abs. 4 KWG. Zudem würde eine Anwendung des § 22 Abs. 4 KWG über § 7 Abs. 2 KGG dazu führen, dass bei Sparkassen, deren Mitglieder des Verwaltungsrates durch eine Zweckverbandsversammlung gewählt werden, die Mehrheitsklausel zur Anwendung komme, bei allen anderen Sparkassen jedoch nicht. Auch dieser Wertungswiderspruch spreche gegen eine Anwendung des § 7 Abs. 2 KGG.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Beschlusses der Verbandsversammlung vom 01.09.2016 und unter entsprechender Aufhebung des Widerspruchsbescheids des Sparkassenzweckverbandes Kassel vom 27.12.2016 die Feststellung des Ergebnisses der Sitzverteilung hinsichtlich der am 01.09.2016 durchgeführten Wahl der vier Mitglieder des Verwaltungsrates aus dem Kreis der zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel wählbaren Personen aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die Klage bereits unzulässig sei, weil sie nicht erkennen lasse, dass eine Verletzung eigener Rechte des Klägers behauptet werde. In der Sache sei den Rechtsausführungen des Klägers entgegenzusetzen, dass für einen Ausschluss des § 22 Abs. 4 KWG keine Gründe ersichtlich seien. Träger der Zweckverbandssparkasse „Kasseler Sparkasse” sei gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 der Satzung der Sparkassenzweckverband. Dies sei ein Zweckverband im Sinne des KGG. Nach § 7 Abs. 2 KGG seien auf den Zweckverband die für Gemeinden geltenden Vorschriften sinngemäß anzuwenden, soweit das KGG oder die Verbandssatzung nicht etwas anderes bestimme. Dies sei hier nicht der Fall. Weder das HSparkG noch das KGG träfen detaillierte Regelungen zum Wahlverfahren und zur Stimmgewichtung. Auf Wahlen von Sparkassenverwaltungsräten sei § 55 HGO entsprechend anzuwenden. Weder § 55 Abs. 4 HGO noch § 5b Abs. 1 HSparkG würden die Anwendung des § 22 Abs. 4 KWG verbieten. Sofern das HSparkG wie hier keine Regelung treffe, gelte das lex generalis, also KGG und HGO mit ihren Verweisen auf die entsprechende Anwendung des KWG. Aus dem Wortlaut des § 22 Abs. 4 KWG ergebe sich schließlich, dass dessen Regelung lediglich die des § 22 Abs. 3 KWG konkretisiere und beide Absätze als Einheit zu lesen seien. Gerade die Regelung des § 22 Abs. 4 KWG sei eine Regelung, die auf die Wahl von Verwaltungsorganen Anwendung finde und insofern verfassungsrechtlich unbedenklich sei, da es sich bei selbständigen Verwaltungsorganen um Volksvertretungsorgane handele. Dies habe das VG Kassel in seiner Entscheidung vom 11.09.2014 — 3 K 1133/12.KS — verkannt und auch die herangezogene Entscheidung des BVerfG (Beschluss v. 08.08.1994 — 2 BvR 184/94) unzutreffend ausgelegt. Die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 4 KWG ergebe sich schon daraus, dass die Wahl des kommunalen Verwaltungsgremiums nach § 55 HGO zu erfolgen habe. Die Auslegung, dass nach § 5b Abs. 1 S. 1 HSparkG lediglich § 22 Abs. 3 KVVG auf die Wahlen anwendbar sei, offenbare sich schon deshalb als falsch, weil auch die übrigen Absätze des § 22 KWG Regelungen enthielten, die für die Wahlen insbesondere bei Gemeindesparkassen Regelungsbedürfnisse erfüllen würden, ohne dass sie mit § 22 Abs. 3 KWG inhaltlich zwingend zusammenhängen würden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2016 wies der Sparkassenzweckverband Kassel den Widerspruch des Klägers zurück und trat den Einwänden des Klägers im Einzelnen entgegen. Der Kläger machte denselben am 12.01.2017 (Eingang bei Gericht) zum Gegenstand seiner Klage.

Mit Beschluss vom 28.12.2018 wurden die acht gewählten Mitglieder des Verwaltungsrates der Kasseler Sparkasse dem Verfahren beigeladen; Herr Hermann Hartig nahm den „Wahlmandatsplatz” des im Juli 2017 durch seine Wahl zum Oberbürgermeister der Stadt Kassel Mitglied des Verwaltungsrates kraft Amtes gewordenen Christian Geselle im Nachrückverfahren ein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des beklagten Sparkassenverbandes Bezug genommen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Das Gericht kann über die Klage trotz des am Ende der mündlichen Verhandlung beklagtenseits angeregten Schriftsatznachlasses wegen der erst tags vor der mündlichen Verhandlung erfolgten Änderung des Rubrums hinsichtlich des Vertretungsorgans des Beklagten entscheiden, da dem Bevollmächtigten des Beklagten eine Vollmacht auch von der Verbandsversammlung erteilt war, er sich rügelos auf die Verhandlung eingelassen und einen Sachantrag gestellt hat. Die Notwendigkeit einer Rücksprache mit dem neu einbezogenen Vertretungsorgan ist vor diesem Hintergrund nicht erkennbar. Das Gericht hat daher keine Veranlassung gesehen, der Anregung zu folgen.

Darüber hinaus ist das Verfahren nicht teilweise einzustellen. Der Kläger hat eine Wahlanfechtungsklage erhoben und diese ursprünglich auf vier Argumente gestützt, schriftsätzlich hingegen keinen konkreten Antrag gestellt. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger lediglich einen Teil seiner Argumentation aufgegeben, weshalb es sich hierbei nicht um eine verkappte Teilrücknahme handelt. Das Gericht darf gemäß § 88 VwGO vielmehr nicht über das Klagebegehren hinausgehen und hat daher über den letztlich gestellten Sachantrag, der sich allein auf die Feststellung des Wahlergebnisses hinsichtlich der Wahl der vier Mitglieder des Verwaltungsrats aus dem Kreis der zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel wählbaren Personen bezieht, zu entscheiden.

Die Klage ist zulässig.

Als Adressat des am 27.12.2016 als Sachentscheidung ergangenen Widerspruchsbescheids und Mitglied der Zweckverbandsversammlung, das bei der Wahl eine Stimme abgegeben und selber kandidiert hat (Wahlvorschlag der Fraktion Kasseler Linke), ist der Kläger gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt und hat insbesondere ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Korrektur der Sitzverteilung.

Der am 09.09.2016 gegen die Gültigkeit der Wahl bei der Wahlleiterin erhobene Einspruch des Klägers ist als Widerspruch im Sinne des § 7 Abs. 2 KGG i.V.m. §§ 55 Abs. 6 HGO, 68 Abs. 1 VwGO auszulegen und insbesondere innerhalb der Monatsfrist der §§ 55 Abs. 6 S. 1 HGO, 70 VwGO erhoben worden. Da es sich vorliegend nicht um unmittelbare Wahlen durch die wahlberechtigten Bürger, sondern um mittelbare Wahlen auf zweiter Stufe handelt, ist § 55 Abs. 6 HGO im Vergleich zu § 25 KWG die speziellere Regelung (vgl. HessVGH, Urteil v. 06.05.2008 — 8 UE 746/17, zu § 55 Abs. 3 HGO und gemeinsamen Wahlvorschlägen, Rn. 37 juris).

Die demnach zulässige Klage ist begründet.

Die Feststellung des Ergebnisses der Wahl der vier Mitglieder des Verwaltungsrates aus dem Kreis der zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel wählbaren Personen widerspricht geltendem Recht und ist daher aufzuheben (§§ 26 Abs. 3 Nr. 3, 31 Abs. 1 KWG).

Gemäß § 5b Abs. 1 S. 3 HSparkG gelten für die Wahl der Verwaltungsratsmitglieder durch die Vertretungskörperschaft die Grundsätze der Verhältniswahl nach Hare-Niemeyer; § 22 Abs. 3 KWG findet entsprechende Anwendung.

Grundgedanke des Hare-Niemeyer-Verfahrens ist, dass der Anteil der erzielten Stimmen (Stimmanteil) dem Anteil der erzielten Sitze (Sitzanteil) entspricht. Die Zuteilung eines „Zuschlagssitzes” ist dem Wesen dieses Verfahrens eher fremd. Es begünstigt vielmehr die kleinen Parteien, weshalb es vorkommen kann, dass rechnerisch eine Partei oder eine Wählergruppe, die mehr als die Hälfte aller abgegebenen Stimmen auf sich vereint, nicht mehr als die Hälfte der zu vergebenen Sitze erhält.

Bei der nach der Stimmauszählung erfolgten Verteilung der Sitze wurde jedoch entgegen der gesetzlichen Vorgaben die sog. „Mehrheitsklausel” des § 22 Abs. 4 KWG mit der Folge angewandt, dass der gemeinsame Wahlvorschlag von SPD und Bündnis90/Die Grünen aufgrund der absoluten Mehrheit der erhaltenen Stimmen drei anstelle von zwei Sitzen erhielt und der Losentscheid für einen Sitz zwischen AfD und Kasseler Linke nach § 22 Abs. 3 S. 4 KWG entfiel. Die Regelung des § 22 Abs. 4 KWG ist auf Wahlen zum Verwaltungsrat durch die Verbandsversammlung des Sparkassenzweckverbandes jedoch nicht anwendbar. Gemäß § 5b Abs. 1 S. 1 HSparkG werden die Mitglieder des Verwaltungsrates nach § 5a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 HSparkG (also die hier gewählten acht weiteren sachkundigen Mitglieder) für die Dauer der Wahlperiode nach den für den Träger (den Sparkassenzweckverband) geltenden Vorschriften von der Vertretungskörperschaft des Trägers (der Verbandsversammlung) gewählt, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist. Im nachstehenden S. 3 ist indes geregelt, dass für die Wahl der Verwaltungsratsmitglieder durch die Vertretungskörperschaft die Grundsätze der Verhältniswahl nach Hare-Niemeyer gelten und § 22 Abs. 3 KWG entsprechende Anwendung findet. Nach dem Wortlaut des § 5b Abs. 1 S. 3 HSparkG soll für die Verhältniswahl also explizit nur der Abs. 3 des § 22 KWG als Ausprägung des Hare-Niemeyer-Verfahrens entsprechende Anwendung finden, nach welchem das Losverfahren hätte durchgeführt werden müssen. Da § 5b Abs. 1 S. 1 HSparkG die Anwendung der für den Träger (den Sparkassenzweckverband) geltenden Vorschriften wie das KGG, die Satzung des Trägers und im Übrigen die für Gemeinden geltenden Vorschriften (§ 7 KGG) nur insoweit gestattet, als im HSparkG nachstehend nichts anderes bestimmt ist, ist es unerheblich, dass die Anwendung des § 22 Abs. 4 KWG nicht ausdrücklich ausgenommen ist. Dies ergibt sich bereits im Umkehrschluss daraus, dass ausdrücklich nur die entsprechende Anwendung dessen Abs. 3 vorgesehen ist.

Die Regelung des § 22 KWG mag zwar entsprechend der Ansicht des Beklagten als Einheit zu verstehen sein. Diese Einheit wird jedoch — und dies verkennt der Beklagte — durchbrochen, wenn andere Vorschriften — wie § 5b Abs. 1 S. 3 HSparkG — ausdrücklich nur auf einzelne Absätze verweisen bzw. nur einzelne Regelungen für anwendbar erklären. Die Freiheit für solche Einschränkungen entspringt dem gesetzgeberischen Ermessensspielraum.

Diesem Rechtsverständnis steht entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht entgegen, dass § 22 Abs. 4 KWG den § 22 Abs. 3 KWG konkretisiere. Die in § 22 Abs. 4 KWG enthaltene „Mehrheitsklausel” bzw. deren Regelung zum sog. „Zuschlagssitz” stellt vielmehr eine Sonderregelung für den Fall dar, dass bei der Verteilung der Sitze nach Abs. 3 der Wahlvorschlag einer Partei oder Wählergruppe, auf den mehr als die Hälfte der Stimmenzahl aller an der Sitzverteilung teilnehmenden Wahlvorschläge entfallen ist, nicht mehr als die Hälfte der insgesamt zu vergebenden Sitze erhält. Es handelt sich also im Verhältnis zu § 22 Abs. 3 KWG nicht um eine ergänzende Regelung, sondern eine Ausnahmeregelung für die dort genannten Fälle, die als solche ohnehin eng auszulegen ist.

Auch den dem Gericht zum HSparkG vorliegenden Gesetzesmaterialen ist nicht zu entnehmen, dass neben § 22 Abs. 3 KWG auch dessen Abs. 4 Anwendung finden soll. Insbesondere im Hinblick darauf, dass das Hessische Sparkassengesetz in seiner Fassung vom 24.02.1991 (GVBI. I, S. 78) in dessen § 5b Abs. 1 S. 6 noch regelte, dass, wenn bei gleichen Höchstzahlen nur noch ein Sitz zu verteilen ist, das Los entscheidet, ist davon auszugehen, dass mit der Änderung des § 5b HSparkG vom 20.02.1992 (vgl. LT-Drs. 13/2127; GVBI. I, S. 189) lediglich eine Vereinfachung des Gesetzeswortlautes erreicht werden sollte und damit der Verweis ausdrücklich nur auf die in § 22 Abs. 3 KWG enthaltene Regelung bezüglich des Losverfahrens beabsichtigt war. Überdies wäre § 5b Abs. 1 S. 3 HSparkG völlig überflüssig, wenn neben § 22 Abs. 3 KWG auch dessen Abs. 4 Anwendung finden sollte.

Die Regelung des § 5b Abs. 1 S. 3 HSparkG ist schließlich auch nicht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit verfassungskonform — berichtigend — auszulegen. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber in seiner Entscheidung für ein Wahlsystem grundsätzlich frei ist (vgl. auch BVerfG, Urteil v. 25.07.2012 — 2 BvE 9/11, Rn. 54 juris), ist eine Anwendung des § 22 Abs. 4 KWG über § 5b Abs. 1 S. 3 HSparkG verfassungsrechtlich nicht geboten. Auf den gemeinsamen Wahlvorschlag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sind 26 der 47 abgegebenen Stimmen, mithin 55,32 %, entfallen. Bei einer Anwendung des § 22 Abs. 3 KWG erhält dieser wegen der Gleichheit des Stimmanteils zum Sitzanteil zwei, also (nur) 50 % der zu vergebenden vier Sitze. Durch eine Anwendung des § 22 Abs. 4 KWG erhielte der gemeinsame Wahlvorschlag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hingegen drei, also 75 % der zu vergebenden Sitze. Weder die eine noch die andere Alternative entspricht im Verhältnis den erzielten Stimmen, da auf den gemeinsamen Wahlvorschlag entweder mehr oder weniger Sitze entfielen als es den erzielten Stimmen entspricht.

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 08.08.1994 (Az. 2 BA 1484/94), denn dieser verhält sich im Grunde allein zu der — danach hinzunehmenden — Ungleichgewichtigkeit bei der Sitzverteilung im Zusammenhang mit der mit § 22 KWG vergleichbaren Regelung des § 22 thüringisches KWG. Es steht schlicht im freien Ermessen des Gesetzgebers, unter verschiedenen Systemen der Verhältniswahl auszuwählen (vgl. auch VG Wiesbaden, Urteil v. 20.06.2002 — 3 E 1384/01, juris, Orientierungssatz; Schmidt, in Bennemann u.a., Kommunalverfassungsrecht Hessen, Stand: 2014, § 22 KWG, Rn. 48 d), wenn es sich nicht um unmittelbare Wahlen (Wahlen auf erster Stufe), sondern — wie hier — um Wahlen auf der zweiten Stufe handelt.

Der Gesetzgeber hat sich in § 5b Abs. 1 S. 3 HSparkG somit eindeutig festgelegt und sich in Kenntnis der Defizite des Hare-Niemeyer-Verfahrens in Bezug auf die Zuteilung von Sitzen an Wahlvorschläge, die mehr als die Hälfte der Stimmen erreichen, nicht jedoch mehr als die Hälfte der zu vergebenen Sitze, gleichwohl dafür entschieden, die „Mehrheitsklausel” (§ 22 Abs. 4 KWG) nicht anzuwenden.

Da die Feststellung des Wahlergebnisses hinsichtlich der Wahl der vier Mitglieder des Verwaltungsrats aus dem Kreis der zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Kassel wählbaren Personen aufgrund der vorstehenden Ausführungen gegen geltendes Recht verstößt, sind sowohl der Beschluss der Verbandsversammlung des Sparkassenzweckverbandes Kassel vom 01.09.2016 über die Sitzverteilung als auch der Widerspruchsbescheid des Sparkassenzweckverbandes Kassel vom 27.12.2016— letzterer in entsprechendem Umfang — aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.

Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Die Frage, ob § 22 Abs. 4 KWG auf die Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates nach § 5a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 HSparkG durch die Vertretungskörperschaft Anwendung findet, ist obergerichtlich noch nicht geklärt.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.