Tacheles Rechtsprechungsticker KW 40/2022

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem (SGB II) und zum Arbeitsförderungsrecht nach dem (SGB III)

1.1 – BSG, Urteil v. 27.09.2022 – B 7/14 AS 59/21 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Übergangsfähigkeit des Leistungsanspruchs – Erbe – Einkommensberechnung – Ehrenamt – Unfallrente

Bundessozialgericht klärt Hartz-IV-Freibeträge bei Ehrenamt

Hartz-IV-Bezieher können neben dem erhöhten Freibetrag für eine ehrenamtliche Tätigkeit nicht zusätzlich weitere Freibeträge für eine Versicherungspauschale und die Kfz-Versicherung geltend machen. In dem erhöhten Freibetrag für Einkünfte aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit sind die anderen Absetzbeträge bereits enthalten.

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1.2 – BSG, Urt. v. 22.09.2022 – B 11 AL 32/21 R

Arbeitslosenversicherung – Arbeitslosengeldvorbezug – Bemessungsentgelt

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.
1. Auch ein rechtswidrig zu hoch festgesetztes Bemessungsentgelt entfaltet im Rahmen des § 151 Abs. 4 SGB III Bindungswirkung, solange und soweit der frühere Bewilligungsbescheid hinsichtlich der Höhe des Arbeitslosengeldes nicht mit Wirkung für die Vergangenheit oder die Zukunft aufgehoben worden ist (ebenso LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 19.12.2018 – L 18 AL 56/17, LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 31.05.2006 – L 7 AL 161/03).

2. Die Norm stellt nicht auf das Entgelt ab, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt zu bemessen “war“, sondern auf das Entgelt, nach dem es zuletzt bemessen worden “ist“.

Quelle: www.bsg.bund.de

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

2.1 – Sächsisches LSG, Urt. v. 08.09.2022 – L 7 AS 1023/18 – Die Revision wird zugelassen

Leitsätze
Die Urlaubsabgeltung ist kein Einkommen, von dem Freibeträge bei Erwerbstätigkeit abzusetzen sind.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 11.08.2022 – L 5 AS 592/21

Leitsatz
1. Die KdU-Richtlinie des Landkreises Salzlandkreis auf der Grundlage des Konzepts 2016 in der Auswertung des Korrekturberichts Februar 2022 beruht auf einem schlüssigen Konzept.

2. Es hat eine ausreichende Zahl von Datensätzen zur Auswertung zur Verfügung gestanden, auch für die Ermittlung der kalten Betriebskosten.

3. Es bestehen auch keine Bedenken an der Repräsentativität der erhobenen Daten. Insbesondere sind die Vermietertypen (“institutionelle und sog Kleinvermieter”) durch eine Gewichtung der erhobenen Daten repräsentativ abgebildet worden.

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

2.3 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 13.07.2022 – L 4 AS 149/18 und L 4 AS 291/18

Leitsatz
1. Die ab 1. April 2012 geltende KdUH-Richtlinie des Landkreises Anhalt-Bitterfeld auf der Grundlage der Mietwerterhebung 2012 in der Fassung des Korrekturberichts von Oktober 2019 und der Neuberechnung im Gewichtungsverfahren vom 3. Dezember 2021 beruht auf einem schlüssigen Konzept.

2. Die vom Landkreis Anhalt-Bitterfeld gebildeten drei Vergleichsräume sind nicht zu beanstanden. Die früheren Mittelzentren des Landkreises und jetzigen sog zentralen Orte, die Städte Bitterfeld-Wolfen, Köthen und Zerbst/Anhalt, sind die Versorgungskerne in ihrem Einzugsgebiet für die Daseinsvorsorge. Sie stellen mit ihren Einzugsgebieten jeweils homogene Wohn- und Lebensräume dar.

3. Um die Repräsentativität der erhobenen Daten für ein KdUH-Konzept sicherzustellen, ist der (lokale) Mietwohnungsmarkt wirklichkeitsgetreu abzubilden. Die Datenerhebung muss in ihrer Zusammensetzung und in der Struktur der relevanten Merkmale der Grundgesamtheit möglichst ähnlich sein.

4. Ein KdUH-Konzept ist nicht repräsentativ, wenn institutionelle Vermieter nicht entsprechend ihrem Marktanteil, sondern deutlich überproportional im Verhältnis zu den sog Kleinvermietern in der Mietwerterhebung vertreten sind, und bei einer gesonderten Auswertung der Mieten nach Vermietertyp erhebliche Preisunterschiede bei den Nettokaltmieten festzustellen sind. Es ist methodisch unplausibel, eine Stichprobe bei privaten Kleinvermietern mit einer (annähernden) Vollerhebung bei institutionalisierten Vermietern zu vermischen.

Dieser Mangel kann durch eine gewichtete Neuberechnung – differenziert nach Nettokaltmieten und Betriebskosten – korrigiert werden, in der private Kleinvermieter einerseits und institutionelle Großvermieter andererseits nach ihrem Anteil auf dem Mietwohnungsmarkt berücksichtigt werden.

5. Eine Indexfortschreibung mit den Teilindizes des Statistischen Landesamtes für die Entwicklung der Miet- bzw Betriebskosten in Sachsen-Anhalt ist zulässig.

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

2.4 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 31.05.2022 – L 4 AS 390/21 B

Darlegungsanforderungen zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe – Leistungen für die Unterkunft – schlüssiges Konzept

Orientierungssatz
1. Zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nach §§ 73a SGG, 117 Abs. 1 S. 2 ZPO Darlegungen des Antragstellers erforderlich, anhand derer das Gericht prüfen kann, ob und in welchem Umfang die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. (Rn.17)

2. Macht der Antragsteller geltend, die ihm nach § 22 SGB 2 zu bewilligenden Leistungen der Unterkunft beruhten nicht auf einem schlüssigen Konzept des Leistungsträgers und kann der Antragsgegner dies nicht widerlegen, so ist Prozesskostenhilfe bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen zu bewilligen. (Rn.21)

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

3.1 – SG Magdeburg, Urt. v. 07.06.2022 – S 28 AS 3448/16

Leitsatz
1. Das vom Beklagten angewandte Konzept zur Ermittlung der Angemessenheitswerte des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt in der Fassung des Berichts Juli 2019 den Anforderungen an Gesetz und höchstrichterliche Rechtsprechung.

2. Eine Datenerhebung für die Ermittlung einer Referenzmiete zur Bestimmung angemessener Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 S. 1 SGB II kann auch dann hinreichend repräsentativ sein, wenn sie nicht die auf dem Wohnungsmarkt vorhandene Vermieterstruktur von “privaten” und “institutionellen” Vermietern proportional abbildet.

4. Wirtschaftlichkeitserwägungen führen ohne eine Selbstbindung der Verwaltung jedenfalls dann nicht zur Unzumutbarkeit des Umzugs, wenn nicht allein die Heizkosten, sondern auch die Unterkunftskosten die Angemessenheitswerte übersteigen.

5. Aus § 22 Abs. 1 S, 4 SGB II folgen keine subjektiv-öffentlichen Rechte leistungsberechtigter Personen.

Orientierungssatz
Angelegenheiten nach dem SGB II (AS) – Unterkunft und Heizung – angemessene Unterkunfts- und Heizkosten – Einpersonenhaushalt im Salzlandkreis in Sachsen-Anhalt – schlüssiges Konzept des Grundsicherungsträgers – Repräsentativität der Datenerhebung – Vermietertyp – Wirtschaftlichkeitsgebot

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

4.1 – LSG Hessen, Urt. v. 17.09.2022 – L 7 AL 193/21

Leitsätze
1. Der Antrag auf Kurzarbeitergeld wird als öffentlich-rechtliche Willenserklärung bei Zugang bei der zuständigen Agentur für Arbeit wirksam. Das Übermittlungsrisiko und damit auch das Risiko des Verlustes auf dem Postweg trägt der Antragsteller.

2. Gegen die Versäumung der Ausschlussfrist für den Antrag auf Kurzarbeitergeld (§ 325 Abs. 3 SGB 3) ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i.S. von § 27 Abs. 5 SGB 10 unzulässig.

3. Die Berufung auf den Fristablauf ist (vorliegend) auch nicht rechtsmissbräuchlich.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 08.08.2022 – L 8 SO 21/22 B ER

Leitsatz
Das Sozialgericht ist für die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verfolgte Verpflichtung zum Abschluss einer Leistungsvereinbarung gemäß § 125 Abs1 Nr 1 und 2 SGB IX (in der seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung) nicht zuständig. Die Zulässigkeit der Anrufung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit setzt nach der gesetzgeberischen Konzeption die Einhaltung des in § 126 Abs 1 und 2 SGB IX geregelten Verfahrens und damit zwingend eine Entscheidung der Schiedsstelle nach § 133 SGB IX voraus. Das Sozialgericht kann aufgrund der Regelung in § 29 Abs 2 Nr 1 SGG nicht das Gericht der Hauptsache gemäß § 86b Abs 2 Satz 1 und 2 SGG sein.

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

5.2 – LSG NRW, Urt. v. 30.06.2022 – L 9 SO 388/20 – Revision zugelassen

Keine Bewilligung eines Zusatzakkus für ein elektrisches Rollstuhlzuggerät

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

6.1 – SGB-II-Leistungen für neugeborenes Kind einer Mutter mit humanitärem Aufenthaltstitel – zu LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 06.04.2022 – L 12 AS 1323/19

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6.2 – LSG: Rückkaufswert der Trauerfall-Direkt-Schutz-Versicherung ist einzusetzendes Vermögen – Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22.06.2022 – L 2 SO 126/20

Bestattungsvorsorgeverträge und Sterbegeldversicherungen zählen zum sog. Schonvermögen, dass im Falle entstehender Sozialhilfebedürftigkeit nicht einzusetzen ist. Das LSG hatte nun den Fall zu entscheiden, ob eine Trauerfall-Direkt-Schutz-Versicherung mit Zuwachsgarantie ebenfalls als geschütztes Vermögen anzusehen ist.

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6.3 – Landessozialgericht: Aufrechnung Strom gegen Gas nicht rechtens – Strom- und Gasverrechnung bei Sozialhilfeempfängern unzulässig

Bei Sozialleistungsempfängern dürfen Guthaben und Nachzahlungen bei der Strom- und Gasrechnung nicht miteinander verrechnet werden. Das hat das Landessozialgericht in Schleswig (Kreis Schleswig-Flensburg) entschieden. Hintergrund ist, dass der Staat die Heizkosten für Bedürftige weitgehend unabhängig von deren Höhe vollständig übernimmt, solange diese angemessen sind, während die Stromkosten aus eigener Tasche bezahlt werden müssen.

Die Stadt Flensburg und der Kreis Nordfriesland rechnen nach eigenen Angaben grundsätzlich getrennt ab. Der Kreis Schleswig-Flensburg hat Revision eingelegt. Nun entscheidet das Bundessozialgericht.

Quelle: www.ndr.de

Hinweis Redakteur von Tacheles e. V.:
wieder mal kein Az., auf jeden Fall gabs schon mal so eine Entscheidung zu diesem Thema, auch anhängig beim BSG.

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urt. v. 24.09.2020 – L 9 SO 72/17 – Revision anhängig BSG – B 8 SO 16/20 R

Zur Frage, ob eine Heizkostennachforderung auch dann zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat gehört, wenn der Energieversorger die Heizkostennachforderung mit einem (aus dem Regelsatz geleisteten) Stromkostenguthaben verrechnet.

weiter: www.sozialgerichtsbarkeit.de

6.4 – Nur hohes Trinkgeld ist auf ALG II anzurechnen, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt, Kiel

weiter: sozialberatung-kiel.de

7. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

7.1 – SG Freiburg, Urt. v. 12.04.2022 – S 6 AY 3236/20

Leitsätze
Da es dem Träger der Asylbewerberleistungen im Rahmen seines Ermessens freisteht, welche Art der Unterkunftsbedarfsdeckung er als notwendig und angemessen bestimmt, kann er im Fall der Überlassung zur Selbstbeschaffung im Nachhinein grundsätzlich nicht geltend machen, die Unterkunftskosten seien unangemessen. Jedenfalls sind die in einem gemeindlichen Gebührenbescheid nach Einweisung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit festgesetzten Unterkunftskosten angemessen, wenn der Leistungsberechtigte zur Wohnsitznahme in dieser Gemeinde verpflichtet ist.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis Redakteur v. Tacheles e. V.:
ebenso SG Freiburg, Urteil vom 02.10.2020 – S 9 AY 2743/19

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker