URTEIL
In dem Rechtsstreit
xxx,
Kläger,
Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Sven Adam
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,
gegen
Stadt Kassel,
vertreten durch den Magistrat,
Rechtsamt,
Rathaus, 34117 Kassel,
Beklagte,
hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel ohne mündliche Verhandlung am 28. Februar 2023 durch die Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht xxx, sowie die ehrenamtlichen Richter Frau xxx und Herr xxx für Recht erkannt:
Die Beklagte wird unter Abänderung der Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2021 verurteilt, dem Kläger die notwendigen Aufwendungen für das Vorverfahren gegen den Bescheid vom 29.04.2020 in voller Höhe zu erstatten.
Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
TATBESTAND
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens in einer asylbewerberleistungsrechtlichen Angelegenheit.
Der 19xx geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und stand im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bei der Beklagten.
Mit Bescheid vom 29.04.2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger die Leistungen für den Monat April 2020 Leistungen nach § 2 AsylbLG in Höhe von insgesamt 726,10 €.
Mit E-Mail vom 02.05.2020 übersandte der Kläger der Beklagten seine Verdienstbescheinigung für den Monat April 2020. Danach wurde ihm die vereinbarte Vergütung in Höhe von 243,00 € gezahlt. Es erfolgte durch den Arbeitgeber ein Abzug von 11,01 € für Arbeitskleidung.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 28.05.2020 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.04.2020 ein. Der Widerspruch wurde nicht begründet. Gleichzeitig beantragte der Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht in die paginierte Verwaltungsakte durch Übersendung an seine Kanzleiadresse. Der Antrag beziehe sich explizit auch auf Ausdrucke der EDV-Dokumentation zur Akte. Die umgehende Rückgabe der Akte wurde versichert.
Mit Schreiben vom 17.06.2020 bot die Beklagte dem Prozessbevollmächtigen die Akteneinsicht in den Räumen der aktenführenden Stelle an. Eine Aktenübersendung sei nicht möglich. § 84 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 25 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) scheide insofern aus, da hiernach nur § 25 Abs. 4 SGB X keine Anwendung finde, jedoch nicht die gesetzliche Regelung des § 29 Abs. 3 VwVfG außer Kraft gesetzt werde. Zudem sei derzeit eine gesicherte schnelle Übersendung und Rücksendung der Originalakte wegen der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie nicht gewährleistet. Dies schließe die Versendung an andere Behörden derzeit ebenfalls aus.
Mit Schreiben vom 22.06.2020 erklärte der Prozessbevollmächtigte, dass eine Akteneinsicht in der Behörde unzumutbar sei. Eine Aktenübersendung sei auch mittels elektronischem Rechtsverkehrs möglich. Für den Fall, dass die Beklagte die Akte weiter nicht an ihn übersenden wolle, bat er um eine rechtsmittelfähige Entscheidung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2021 verpflichtete das Regierungspräsidium Kassel die Beklagte, dem Kläger für den Monat April 2020 einen Betrag von 5,81 € für Arbeitsmittel nachzuzahlen. Im Übrigen wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. In der Kostenentscheidung wurde die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zu 1/100 zu erstatten. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten wurde als notwendig erklärt. Zur Begründung der Kostenentscheidung wurde u. a. ausgeführt, dass sich aus der von dem Kläger vorlegelegten Verdienstbescheinigung ergebe, dass sein Arbeitgeber im April 2020 einen Betrag i.H.v. 11,01 € für Arbeitskleidung von seiner Vergütung in Abzug gebracht habe. Da demnach die tatsächlichen Aufwendungen für Arbeitsmittel um 5,81 € höher gewesen seien als der zu berücksichtigende Pauschbetrag, sei diese Differenz nun von der Beklagten an den Kläger nachzuzahlen. Da die an den Kläger zu leistende Nachzahlung (welche sich im Übrigen erst durch die von ihm verspätet vorgelegte Verdienstbescheinigung für den Monat April 2020 ergeben habe) betragsmäßig nicht einmal ein Prozent der ihm korrekt gewährten Leistungen ausmache, erscheine eine Teilung der Kosten im Verhältnis 1/100 zu 99/100 geboten.
Am 17.04.2021 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage bei dem Sozialgericht Kassel mit dem Begehren der vollumfänglichen Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren erhoben.
Zur Begründung wird u.a. vorgetragen, dass die Beklagte im Vorverfahren die Akteneinsicht verweigert habe, obgleich die Akteneinsicht in den Räumlichkeiten der Beklagten unzumutbar gewesen sei und auch die elektronische Entgegennahme der Akte angeboten worden sei. Der Widerspruch hätte – wenn die Akteneinsicht bewilligt worden wäre – begründet werden können. Dies sei vereitelt worden und stattdessen ein Widerspruchsbescheid erlassen worden. Die Beklagte müsse mit Blick auf den Akteneinsichtsantrag im Vorverfahren eine Ermessensentscheidung über die Art der Gewährung der Akteneinsicht treffen. Im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung nach § 29 Abs. 3 Satz 2 2. HS Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG) sei zu berücksichtigen, dass der Prozessbevollmächtigte nach § 29 BRAO ein unabhängiges Organ der Rechtspflege sei und ohne Anzeichen von Unzuverlässigkeit die Entscheidung über die Versendung der Akte an die Büroanschrift des Prozessbevollmächtigten identisch zu beurteilen sei wie bei der Frage der Übersendung der Akten an Gerichte. Die Beklagte habe hinsichtlich der Akteneinsicht keine ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen. Sie habe Ermessen nicht einmal ausgeübt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Kostenentscheidung in dem Widerspruchsbescheid vom 09.04.2021 zu verurteilen, dem Kläger die notwendigen Auslagen für das Vorverfahren gegen den Bescheid vom 29.04.2020 in voller Höhe zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt die Beklagte u.a. vor, dass der Prozessbevollmächtigte für eine Ausnahme nach § 29 Abs. 3 S. 2 HVwVfG nichts dargetan habe. Der Prozessbevollmächtigte verfüge mit Kanzleisitz in der Göttinger Innenstadt fußläufig des Bahnhofs über einen größeren Mandantenstamm im hiesigen Gerichtsbezirk, auch in Kassel, den er gut und schnell erreichen könne, z.B. mit dem ICE oder dem Cantus. Der Rechtsanwalt lasse sich entsprechend seiner Standespflicht sicher keine Blanko-Mandate erteilen und gehe nicht ungeprüft gegen jeden Bescheid vor, den er in die Hand bekomme, sondern bearbeite jedes einzelne Mandat mit der gebotenen anwaltlichen Gründlichkeit. Es sei nicht plausibel, warum er, wenn er meine, dass eine Akteneinsicht in Kassel „unzumutbar“ sei, im Interesse der Mandantschaft nicht einfach mehrere Akten seiner verschiedenen, parallel zu bearbeitenden Mandate in Kassel im Rahmen einer Geschäftsreise im hiesigen Sozialamt unter Einhaltung der AH-Regeln einsehe und die Geschäftsreise vielleicht noch mit einem oder mehreren Mandantengesprächen vor Ort verbinde. Reiseunfähigkeit oder Terminhindernisse, die wochenlang einer Akteneinsicht in Kassel im Weg stünden, habe der Prozessbevollmächtigte jedenfalls nicht glaubhaft gemacht. Ob der Widerspruch nach der bewilligten, aber vom Prozessbevollmächtigte nicht wahrgenommenen Akteneinsicht begründet worden wäre, bleibe vor dem Hintergrund der sonstigen Bearbeitungspraxis fraglich. Der Prozessbevollmächtigte habe aber doch höchstwahrscheinlich auch ohne Akteneinsicht mit der Mandantschaft selbst klären könne, dass es im vorliegenden Verfahren nur um 5,81 € aufgrund einer vom Kläger persönlich nachgeholten Mitwirkungsobliegenheit ging, und dann von Widerspruch und Klage abgesehen. Die vom Beklagten bewilligte, vom Prozessbevollmächtigten nicht wahrgenommene Akteneinsicht, sei jedenfalls nicht ursächlich für Widerspruch und Klage.
Mit Schriftsatz vom 16.02.2023 (Kläger) und vom 20.02.2023 (Beklagte) haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu einvernehmlich ihr Einverständnis erteilt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Streitigkeiten um die Kosten des Widerspruchsverfahrens folgen der Rechtswegzuständigkeit in der Sache. In Angelegenheiten des AsylbLG entscheiden auch insoweit die Sozialgerichte, § 51 Abs. 1 Nr. 6 SGG (vgl. Flint in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 51 SGG (Stand: 10.03.2023), Rn. 345).
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2021 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die Widerspruchsbehörde hat die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2021 zwar auf eine entsprechende Anwendung des § 63 SGB X gestützt. Rechtsgrundlage dürfte jedoch § 80 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG sein, denn das AsylbLG gilt nicht als besonderer Teil des SGB (vgl. § 68 Sozialgesetzbuch Erstes Buch), mit der Folge, dass die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder auf das Verwaltungsverfahren nach dem AsylbLG Anwendung finden, sofern § 9 Abs. 3 AsylbLG nicht ausdrücklich eine entsprechende Anwendung bestimmter Vorschriften des SGB X vorsieht. Einen Verweis auf § 63 SGB X enthält § 9 Abs. 3 AsylbLG jedoch nicht (LSG Nordrhein-Westfahlen, Beschluss vom 01.04.2014 – L 20 AY 70/13 B, juris, Rn. 20, m.w.N.)
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Die Vorschrift entspricht vom Wortlaut des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Widerspruchsbehörde vollständig oder teilweise abgeholfen hat. Dies erfordert eine Auslegung des mit der Einlegung des Widerspruchs verfolgten Begehren des Widerspruchsführers (BeckOK VwVfG/Kunze, 58. Ed. 1.1.2023, VwVfG § 80 Rn. 26). Ist dem Widerspruchsschreiben nicht klar zu entnehmen, inwieweit der Widerspruchsführer eine Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts oder weitere Leistungen und Feststellungen begehrt hat, ist zunächst zu versuchen, dies durch Auslegung zu ermitteln. Ist hierdurch keine Klarheit zu gewinnen, ist – soweit erforderlich – von Amts wegen des ursprünglichen Umfangs des Widerspruchbegehrens zu ermitteln (zu § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X: BSG vom 12.06.2013 – B 14 AS 68/12 R, juris Rn.24). Teilweise wird vertreten, dass bei Erfolglosigkeit der Auslegung und der Ermittlungen von einem vollen Erfolg des Widerspruchs auszugehen sei (Becker, in: Hauck/Noftz SGB X, § 63 Erstattung von Kosten im Vorverfahren, Rn. 36).
Vorliegend wurde der Widerspruch nicht begründet, so dass es (entsprechend der Vorgehensweise der Widerspruchsbehörde) naheliegend erscheint, davon auszugehen, dass der Kläger eine vollumfängliche Prüfung des Ausgangsbescheides begehrte. Allerdings darf nach Auffassung der Kammer im vorliegend zu entscheidenden Fall das Akteneinsichtsgesuch des Prozessbevollmächtigten bei der Ermittlung des Widerspruchsbegehrens nicht unberücksichtigt bleiben.
Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 HVwVfg hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Vorliegend stellt die Beklage das Akteneinsichtsecht des Klägers bzw. seines Bevollmächtigten nicht in Frage und hat im Widerspruchsverfahren die Bereitschaft zur Akteneinsichtnahme erklärt. § 29 Abs. 3 VwVfG regelt die Frage, wo die Akteinsicht in Papierakten zu erfolgen hat. Grundsätzlich wird diese bei der aktenführenden Behörde vorgenommen. Gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 HS. 2 VwVfG sind Ausnahmen hinsichtlich des Orts der Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde möglich. Im Unterschied zur Regelung der Akteneinsicht im gerichtlichen Verfahren (vgl. § 120 Abs. 3 Satz 3 SGG) hat der Gesetzgeber eine Möglichkeit zur Aktenmitnahme bzw. zur Übersendung an eine bevollmächtige Person nicht ausdrücklich in § 29 HVwVfG geregelt. Die Kammer geht aber – wie die h.M. – davon aus, dass eine solche Praxis durch die Regelung in Absatz 3 Satz 1 nicht ausgeschlossen wird, sondern dass die Behörde nach § 29 Abs. 3 Satz 2 HS. 2 HWwVfG nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen über eine Mitnahme- bzw. Übersendungsmöglichkeit an die bevollmächtigte Person zu entscheiden hat. Zwar kann im Einzelfall ein besonderes Interesse der Behörde an der jederzeitigen Verfügbarkeit der Akten das gegenläufige Interesse des Beteiligten an einer Übersendung an den Bevollmächtigten überwiegen. Aufgrund der heute gängigen sowie weit verbreiteten Praxis und der heutigen mit wenig Aufwand verbundenen Vervielfältigungsmöglichkeiten auch für eine Papierakte sowie entsprechend der für das gerichtliche Verfahren ausdrücklich geregelten Möglichkeit dürfte das Ermessen der Behörde insoweit im Regelfall aber häufig auf Null reduziert sein, wenn nicht im Einzelfall der besondere Umfang der Akten bzw. eine besondere Komplexität des Verfahrens oder andere vom Normalfall abweichende besondere Umstände, wie eine im Einzelfall begründete Sorge einer unkontrollierten Verbreitung des Akteninhalts, einer Mitnahme bzw. Übersendung zumindest einer Ablichtung entgegenstehen (Ritter in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl., § 29 VwVfG (Stand: 15.12.2022), Rn. 41). Die Kammer geht vorliegend von einer Ermessensreduzierung auf Null aus, da besondere Umstände, die einer Übersendung entgegenstanden, nicht erkennbar sind. Die Beklagte hat in dem Schreiben vom 17.06.2020 insoweit angegeben, dass “derzeit eine gesicherte schnelle Übersendung und Rücksendung der Originalakte wegen der Auswirkungen der Covid19-Pandemie nicht gewährleistet“ sei. Zwar dürfte es während der Corona-Pandemie wohl infolge verstärkter Nutzung der Versandwege, insbesondere infolge verstärkter Inanspruchnahme des Online-Versandhandels, zu gewissen unüblichen Verzögerungen gekommen sein. Diese dürften aber über Verzögerungen in sonstigen Stoßgeschäftszeiten wie Weihnachten oder Ostern nicht hinausgegangen sein. Berichte über einen unzuverlässigen Transport sind der Kammer jedenfalls nicht bekannt (vgl. Meßling in: Schlegel/Meßling/Bockholdt, COVID-19 – Corona-Gesetzgebung – Gesundheit und Soziales, 2. Auflage 2022, § 20, Rn. 118). Davon abgesehen widerspricht die Ablehnung der Aktenübersendung auch dem Hinweis in dem Ausgangsbescheid vom 29.04.2020, wonach darum gebeten wurde, „wegen der Corona-Pandemie“ auf persönliche Vorsprachen im Sozialamt zu verzichten. Letztlich geht die Kammer daher davon aus, dass die Ablehnung der Aktenübersendung an den Bevollmächtigten verfahrensfehlerhaft erfolgt ist.
Unter Berücksichtigung dieses Verfahrensfehlers geht die Kammer vorliegend davon aus, dass durch die Korrektur im Rahmen des Widerspruchsverfahrens dem Begehren des Klägers vollumfänglich entsprochen wurde. Dabei berücksichtigt die Kammer, dass das Recht auf Akteneinsicht auch der Verwirklichung eines effektiven Rechtsschutzes dient. Das Vorgehen, den Widerspruch fristwahrend einzulegen und dann erst nach erfolgter Akteneinsicht zu begründen, ist nicht unüblich. Indem die Beteiligten alle Tatsachen und Umstände kennen, die der Behördenentscheidung zugrunde liegen, kann das Verwaltungshandeln überprüft und gegebenenfalls nachvollzogen werden. Dies wiederum fördert die Positionierung des Betroffenen, ob eine Entscheidung für zutreffend gehalten wird oder Rechtsmittel ergriffen werden (Engin in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl., § 25 SGB X (Stand: 15.12.2022), Rn. 10). Ob der Bevollmächtigte den Widerspruch nach erfolgter Akteneinsicht tatsächlich begründet hätte und ob ihm eine Begründung des Widerspruchs ohne Akteneinsicht nicht möglich gewesen ist, ist dem Beweis nicht zugänglich. Hinzu kommt, dass die Beklagte wegen der Begründung bzw. des Umfangs des Widerspruchs auch nicht weiter bei dem Prozessbevollmächtigten nachgefragt hat. Aufgrund des Verfahrensfehlers im Rahmen des Akteneinsichtsgesuchs geht die Unaufklärbarkeit zu Lasten der Beklagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung bedurfte der Zulassung durch das Sozialgericht, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 € nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), es sich nicht um einen Erstattungsstreit nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG handelt, und wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr nicht im Streit sind (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Gründe für eine Zulassung der Berufung im Sinne von § 144 Abs. 2 SGG liegen jedoch nicht vor.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.