1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II) und zur Sozialhilfe (SGB XII)
1.1 – BSG, Urt. v. 13.12.2023 – B 7 AS 24/22 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – abschließende Feststellung nach vorläufiger Bewilligung – Nullfestsetzung – gescheiterte Bedarfsgemeinschaft – Mitwirkungsobliegenheiten – Zurechnung
Zum Umfang der Nachweis- und Auskunftspflicht der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft im Rahmen der abschließenden nach vorläufiger Entscheidung gemäß § 41a Abs 3 S 3 und 4 SGB 2, wenn im Bewilligungszeitraum nur ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Einkommen erzielt hat, im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung die Bedarfsgemeinschaft (hier wegen der Trennung der Eheleute) aber nicht mehr besteht.
BSG: Keine Nullfeststellung bei Erkenntnisausfall in gescheiterter Bedarfsgemeinschaft
Orientierungssatz (Bundessozialgericht)
Obliegenheitsverletzungen können in den Fällen der gescheiterten Bedarfsgemeinschaft bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs nur zu dessen Lasten gehen, dem die Obliegenheitsverletzung zuzurechnen ist.
Quelle: Pressemitteilung BSG v. 13.12.2023
Lesetipp von Tacheles:
Jobcenter dürfen Mitwirkungspflichten nicht überspannen
Jobcenter dürfen nach Verletzung der Mitwirkungspflicht eines Langzeitarbeitslosen nicht auch dessen getrenntlebende Ehefrau dafür büßen lassen.
Trennt sich ein in einer Bedarfsgemeinschaft lebendes Ehepaar und legt der selbstständig tätige Ehemann die vom Jobcenter geforderten Belege über Ein- und Ausgaben nicht vor, darf der Ehefrau und dem zweijährigen Sohn die Hilfeleistung nicht komplett gekürzt werden.
Denn kann Ehefrau tatsächlich nicht an der Beschaffung der nötigen Nachweise mitwirken, dürfe ihr kein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten zur Last gelegt werden, so die Kasseler Richter. Von der Begründung her dürfte das Urteil auch auf das heutige Bürgergeld übertragbar sein.
weiter auf www.evangelisch.de
1.2 – BSG, Urt. v. 12.12.2023 – B 8 SO 20/22 R
Sozialhilfe – Bestattungskosten – Anspruchsberechtigung – landesrechtliche Bestattungspflicht – Erbausschlagung
Hat ein nach Landesrecht vorrangig Bestattungspflichtiger, der das Erbe ausgeschlagen, aber die Bestattung durchgeführt hat, einen Anspruch nach § 74 SGB 12, wenn eine andere Person das Erbe angetreten hat? Sind Mahn- und Verzugskosten Bestattungskosten?
BSG: Anspruch bejaht auf Übernahme von Bestattungskosten eines nachrangig Verpflichteten. Übernahme von Mahn- und Verzugskosten nur bei Unabwendbarkeit. (Tacheles e. V.)
Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Die Anspruchsberechtigung nach § 74 SGB XII dem Grunde nach ist nicht bereits unter Verweis auf vorrangig Verpflichtete ausgeschlossen. Ob einem (nachrangig) Verpflichteten ein Anspruch zusteht oder er auf vorrangige Ansprüche verwiesen werden kann, ist eine Frage der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Zumutbarkeit.
2. Die Mahn- und Verzugskosten aus dieser Rechnung gehören nur dann zu den erforderlichen Bestattungskosten, wenn sie für die Klägerin gerade wegen ihrer Mittellosigkeit unabwendbar waren und keine anderen Möglichkeiten (etwa Ratenzahlung oder Stundungsabrede) bestanden, um solche Kosten zu vermeiden.
Quelle: www.bsg.bund.de
Rechtstipp von Tacheles e. V.:
LSG NSB, Urt. v. 21.02.2023 – L 15/8 SO 182/21 –
Ein die Anspruchsberechtigung nach § 74 SGB XII ausschließender Verweis auf vorrangig Verpflichtete kommt zumindest dann nicht in Betracht, wenn im Zeitpunkt, in dem der Bedarf eintritt, feststeht, dass die vorrangig Verpflichteten minderjährig und mittellos sind.
1.3 – BSG, Urt. v. 14.12.2023 – B 4 AS 4/23 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Unterkunfts- und Heizungskosten – Neuanmietung – Corona-Pandemie
Findet die Angemessenheitsfiktion des § 67 Absatz 3 Satz 1 SGB II Anwendung, wenn der Leistungsberechtigte in dem in § 67 Absatz 1 SGB II genannten Zeitraum in eine teurere Wohnung außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des bisherigen Grundsicherungsträgers ohne Zusicherung umzieht?
Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
Der Termin ist aufgehoben worden. Der Rechtsstreit ist ohne mündliche Verhandlung entschieden worden. Hierüber wird nach Zustellung des Urteils berichtet werden.
1.4 – BSG, Urt. v. 12.12.2023 – B 8 SO 9/22 R
Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Teilhabebedarf Mobilität – Kostenbeteiligung für Sonderfahrdienst Berlin – Eingliederungshilfe – soziale Teilhabe – Regelbedarf
Sozialhilfe: Behinderungsbedingte Bedarfe, die auch im Regelsatz abgebildet sind (hier: Mobilitätsbedarfe) können auch als Leistungen der Eingliederungshilfe zu übernehmen sein (Tacheles e. V.).
BSG: Sozialhilfe schließt Eingliederungshilfe nicht aus (www.evangelisch.de)
1. Gehbehinderte Menschen müssen ihren Bedarf an Mobilität nicht allein aus dem Sozialhilfe-Regelsatz und einem behinderungsbedingten Mehrbedarf decken.
2. Übersteigen die in der Freizeit angefallenen Kosten eines Sonderfahrdienstes für alte und behinderte Menschen den im Sozialhilfe-Regelsatz enthaltenen Mobilitätsbedarf, können zusätzlich auch Eingliederungshilfeleistungen zur Deckung der Fahrtkosten beansprucht werden.
weiter: www.evangelisch.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)
2.1 – LSG NRW, Beschluss v. 24.05.2023 – L 7 AS 487/23 B ER
Bürgergeld: Keine Schuldenübernahme für Energieschulden, wenn diese nicht gerechtfertigt sind, weil der Antragsteller nicht alle ihm zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten erfolglos ausgeschöpft hat (Tacheles e. V.)
Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
Leistungsbezieher von Bürgergeld müssen sich sowohl ernsthaft um Ratenzahlungsvereinbarungen mit dem bisherigen Energieversorger als auch um einen Vertragsschluss mit einem anderen Stromanbieter bemühen (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 18.01.2023 – L 7 AS 98/23 B ER – und vom 07.11.2022 – L 7 AS 1353/22 B ER –, ferner: LSG NRW, Beschlüsse vom 25.02.2019 – L 19 AS 272/19 B ER – und vom 01.10.2015 – L 2 AS 1522/15 B ER –).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp Tacheles e. V.:
ebenso LSG NRW, Beschluss v. 10.03.2023 – L 7 AS 98/23 B ER L 7 AS 99/23 B
2.2 – LSG Sachsen, Urt. v. 25.05.2023 – L 3 AS 525/21
Leitsätze
Eine Studentin, die sich während eines Urlaubssemester wegen Mutterschutz, Schwangerschaft und Elternzeit ausschließlich auf eine Wiederholungsprüfung und dies im Umfang von 2 bis maximal 6 Stunden in der Woche vorbereitet, unterfällt nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
2.3 – LSG NRW, Beschluss v. 10.03.2023 – L 7 AS 98/23 B ER L 7 AS 99/23 B
Darlehensweise Übernahme von Stromschulden als Kosten der Unterkunft und Heizung durch den Grundsicherungsträger – Notwendigkeit des Ausschöpfens aller zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten
Bürgergeld: Lieferantenwechsel als Selbsthilfemöglichkeit vor Übernahme von Stromschulden (Tacheles e. V.).
Orientierungssatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Ein Anspruch auf Übernahme von Stromschulden durch Gewährung eines entsprechenden Darlehens nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass zunächst alle zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft worden sind.
2. Auch der Versuch eines Lieferantenwechsels ist eine zumutbare Selbsthilfemaßnahme, um eine baldige Wiederaufnahme der Stromversorgung zu erreichen. Die Antragsteller haben abgelehnt, sich auch nur um einen Lieferantenwechsel zu bemühen. Ihren Vortrag, dass sie momentan noch einen recht günstigen Vertrag mit 24 ct/kwh hätten, bei einem Neuvertrag jedoch 94 ct/kwh zahlen müssten, haben sie nicht glaubhaft gemacht.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
2.4 – LSG NRW, Beschluss v. 05.07.2023 – L 7 AS 93/23
Bürgergeld: Ohne Nutzung der Wohnung können – selbst bei zivilrechtlicher Zahlungsverpflichtung – keine Unterkunftsbedarfe beansprucht und ausgezahlt werden (Tacheles e. V.)
Orientierungssatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Durch § 22 SGB II soll der existenzsichernde, persönliche Lebensbereich „Wohnung” geschützt werden, so dass der Leistungsanspruch grundsätzlich nur die Übernahme der Aufwendungen für eine tatsächlich genutzte konkrete Wohnung, die den aktuellen räumlichen Lebensmittelpunkt bildet und den aktuell bestehenden Unterkunftsbedarf deckt, umfasst (stRspr; vgl. BSG, Urteile vom 25.06.2015 – B 14 AS 40/14 R–; vom 17.02.2016 – B 4 AS 2/15 R und vom 30.03.2017 – B 14 AS 13/16 R–).
2. Nicht ausreichend ist die nur gelegentliche Nutzung einer Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 17.02.2016 – B 4 AS 2/15 R–; Urteil des erkennenden Senats vom 30.06.2022 – L 7 AS 1681/21–) oder eine reine Postadresse (LSG Bayern, Urteil vom 17.02.2011 – L 7 AS 49/08–).
Quelle: openjur.de
2.5 – LSG NRW, Beschluss v. 04.07.2023 – L 7 AS 532/22 B
Bürgergeld: Bloße Spekulation des Bürgergeldamtes über die Hilfebedürftigkeit eines Mittellosen führen dazu, dass der Hilfesuchende in einer Hütte im Wald leben musste und sein ALG II gänzlich aufgehoben wurde, ganz klar rechtswidrig (Tacheles e. V.)!
Leistungsträger dürfen existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund von bloßen Mutmaßungen verweigern (Tacheles e. V.).
Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Ein Aufhebungsbescheid ist rechtswidrig, wenn dieser nur bloße Spekulationen enthält und die Behörde nicht beweist, dass der Hilfesuchende über Einkommen verfügt.
2. Allein die Begründung in dem Aufhebungsbescheid, die Behörde „gehe davon aus“, dass der Antragsteller nicht mehr hilfebedürftig sei, weil er trotz Zahlungseinstellung nicht bei ihm vorgesprochen habe, lässt schon Zweifel daran aufkommen, ob der Antragsgegner selbst von einer fehlenden Hilfebedürftigkeit des Antragstellers ausging.
3. Auch wenn ein Leistungsträger geltend macht, leistungserhebliche Fragen mit einem Leistungsbezieher erörtern zu müssen, kommt im Fall einer mangelnden Mitwirkung lediglich ein Entziehungsbescheid i.S.v. § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I in Betracht.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
2.6 – LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 26.04.2023 – L 9 AS 637/22 – Revision zugelassen
Corona-Pandemie; Kosten der Unterkunft und Heizung; Neuanmietung; Sonderregelung; Sozialschutz-Paket; tatsächliche Aufwendungen; Umzug; Corona-Pandemie und Sozialschutz-Paket: Zum Anspruch auf Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe nach § 67 Abs. 3 SGB II ab März 2020
Pandemie: Keine Übernahme unangemessener Kosten der Unterkunft bei Neuanmietung (Tacheles e. V.).
Amtlicher Leitsatz
1. Die für Zeiträume ab dem 1. März 2020 eingeführte Vorschrift des § 67 Abs. 3 SGB II enthält keine allgemeine Freigabe für die grenzenlose Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung. § 67 Abs. 3 SGB II ist eine aus Anlass der Corona-Pandemie geschaffene, für Zeiträume ab dem 1. März 2020 geltende Sonderregelung, um die Auswirkungen der Verbreitung des Virus auf Wirtschaft und Beschäftigung abzufedern. Sie bezieht sich auf den Erhalt von Wohnraum und erfasst keine Neuanmietungen und Umzüge von Leistungsempfängern innerhalb des zeitlichen Geltungszeitraums der Norm. § 67 Abs. 3 SGB II verschafft deshalb keinen Anspruch auf die Übernahme tatsächlicher KdU nach dem Umzug eines Leistungsempfängers in eine unangemessene Wohnung.
2. Ein SGB II-Leistungsempfänger, dessen unangemessen hohe Kosten bereits nach § 67 Abs. 3 SGB II in tatsächlicher Höhe übernommen werden, und der in eine noch teurere und noch größere Wohnung umzieht, hat aus § 67 Abs. 3 SGB II keinen Anspruch auf Übernahme der dann noch höheren anfallenden KdU.
Quelle: voris.wolterskluwer-online.de
Hinweis Tacheles e. V.:
a. Auffassung: SG Kiel, Beschluss vom 28.01.2022 – S 34 AS 4/22 ER, rechtskräftig, Bayerische LSG, Beschluss vom 28. Juli 2021 – L 16 AS 311/21 B ER, und LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. September 2020 -L 11 AS 508/20 B ER, a. Auffassung zur Parallelvorschrift § 141 SGB XII: SG Kassel, Urteil vom 12.01.2023 – S 11 SO 45/21 (veröffentlicht bei RA Sven Adam u. Tacheles Rechtsprechungsticker KW 11/2023),
gleicher Meinung: LSG Schleswig-Holstein, Beschlüsse vom 23. März 2022 – L 6 AS 28/22 B ER – und vom 11. November 2020 – L 6 AS 153/20 B ER -; ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. August 2021 – L 18 AS 984/21 B ER -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar 2023 – L 13 AS 3802/21; derzeit anhängig vor dem BSG zum Az. B 4 AS 4/2 R -; ebenso zur Parallelvorschrift § 141 SGB XII: SG Bremen, Urteil vom 7. Februar 2023 – S 24 SO 24/21
Anmerkung:
am 14.12.2023 klärt das BSG in dem Verfahren – B 4 AS 4/23 R – die Rechtsfrage: Findet die Angemessenheitsfiktion des § 67 Absatz 3 Satz 1 SGB II Anwendung, wenn der Leistungsberechtigte in dem in § 67 Absatz 1 SGB II genannten Zeitraum in eine teurere Wohnung außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des bisherigen Grundsicherungsträgers ohne Zusicherung umzieht?
Rechtstipp (Tacheles e. V.):
BSG, Urteil vom 14.12.2023 – B 4 AS 4/23 R –
muss warten
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)
3.1 – SG Hamburg, Urt. v. 19.12.2022 – S 62 AS 863/22 – Berufung zugelassen
Orientierungssatz
1. Die aus § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II a.F. folgende Fiktion der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung gilt auch im Falle eines nicht erforderlichen Umzuges, welcher während der Corona-Pandemie erfolgte.
2. Die aus § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II a.F. folgende Fiktion der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung ist auf einen Zeitraum von einmalig sechs Monaten beschränkt. Dieser Zeitraum beginnt mit dem erstmaligen Auseinanderfallen der tatsächlichen und den angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung im zeitlichen Anwendungsbereich von § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II a.F.
3. Nach Ablauf des Zeitraums von sechs Monaten gelten die allgemeinen Regelungen. War der während der Corona-Pandemie erfolgte Umzug nicht erforderlich, sind Kosten der Unterkunft unter Umständen nur in Höhe der früheren Kosten der Unterkunft abzuerkennen (§ 22 Abs. 1 S. 2 SGB II a.F.).
Quelle: www.landesrecht-hamburg.de
Rechtstipp (Tacheles e. V.):
BSG, Urteil vom 14.12.2023 – B 4 AS 4/23 R –
muss warten
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)
4.1 – LSG NRW, Urt. v. 09.05.2023 – L 9 AL 133/21
Kein Gründungszuschuss ohne vorherige Arbeitslosigkeit (Tacheles e. V.)
Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.
Wird durch die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit nicht beendet, da diese zuvor nicht bestand, sondern lag lediglich für einen Tag, einen Sonntag, Beschäftigungslosigkeit vor, ohne dass Bemühungen stattfanden oder geplant waren, die Beschäftigungslosigkeit zu beenden und war demzufolge auch die subjektive Verfügbarkeit nicht gegeben, besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld und es kann auch kein Gründungszuschuss gewährt werden (vgl. dazu Urteil des Senats vom 25.09.2014 – L 9 AL 219/13).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
4.2 – LSG NRW, Urt. v. 04.05.2023 – L 9 AL 41/22
Weiterbildungsprämie bejahend für das Bestehen des theoretischen Teils ihrer Ausbildung zur Erzieherin (Tacheles e. V.)
Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Die Dauer der Maßnahme der beruflichen Bildung und der Zeitraum zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der Abschlussprüfung gebieten vorliegend eine Gleichstellung mit Fällen, in denen im Rahmen einer beruflichen Weiterbildung an einer Zwischenprüfung teilgenommen werden kann (BSG Urteil vom 09.03.2022 – B 7/14 AS 31/21 R).
2. Ein Ermessen der Arbeitsagentur besteht nicht. Durch die Ausstellung des Bildungsgutscheins hat sich die Agentur f. Arbeit auch hinsichtlich der Rechtsfolgen aus § 131a Abs. 3 SGB III gebunden, wenn der Tatbestand der Vorschrift erfüllt ist (BSG Urteil vom 09.03.2022 – B 7/14 AS 31/21 R). Das ist hier der Fall.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
5.1 – LSG NRW, Urt. v. 17.08.2023 – L 9 SO 208/21
Sozialhilfe: Keine Erstattung von Nothelferkosten, wenn kein Eilfall im Sinne der Rechtsprechung des BSG gegeben ist (Tacheles e. V.)
Orientierungssatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Krankenhäuser haben nach dem BSG Anspruch auf Vergütung für Leitungen als Nothelfer gem. § 25 SGB XII nur solange der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat (vgl. dazu BSG vom 06.10.2022 – B 8 SO 2/21).
2. Es fehlt hiernach schon am Tag der Aufnahme eines Hilfebedürftigen in einem Krankenhaus am sozialhilferechtlichen Moment eines Eilfalls iS des § 25 Satz 1 SGB XII, wenn – wie vorliegend – Zeit zur Unterrichtung des zuständigen Sozialhilfeträgers verbleibt, um zunächst dessen Entschließung über eine Gewährung der erforderlichen Hilfe abzuwarten bzw. um die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe zu schaffen (ebenso bereits BSG Beschluss vom 01.03.2018 – B 8 SO 63/17 B).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
5.2 – LSG NRW, Beschluss v. 08.08.2023 – L 9 SO 173/23 NZB und L 9 SO 172/23 ER
Sozialhilfe: Zur Frage, ob ein Leistungsempfänger nach dem SGB XII Anspruch auf die Übernahme von Kosten einer Gleitsichtbrille hat.
Kosten für die Anschaffung einer Gleitsichtbrille sind von der Regelleistung umfasst (Tacheles e. V.)
Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Die Kosten für die Neuanschaffung einer solchen Brille als Zuschuss sind von der Regelleistung umfasst und begründen, anders als die Reparatur einer Brille (vgl. hierzu BSG Urteil vom 25.10.2017 – B 14 AS 4/17 R), keinen Anspruch nach den Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB XII (so BSG Urteil vom 18.07.2019 – B 8 SO 4/18 R).
2. Ansprüche auf Leistungen nach § 73 SGB XII bestehen ebenfalls nicht, weil eine vom Regelbedarf umfasste Leistung keine atypische Bedarfslage darstellt (vgl. BSG vom 29.5.2019 – B 8 SO 8/17 R).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp zum SGB II – Tacheles e. V.:
SG Frankfurt (Main), Urteil vom 22. März 2016 (Az.: S 19 AS 1417/13):
Zur Bejahung des Anspruchs auf Förderung aus dem Vermittlungsbudget gemäß § 16 SGB II in Verbindung mit § 44 SGB III auch durch die Übernahme bzw. Erstattung der Kosten der vom Alg II-Empfänger zusammen mit der Nahsichtbrille zur Eingliederung in den Bürobereich ebenfalls beschafften, kostenmäßig angemessenen Fernbrille, wenn nur auf diese Weise eine ausreichende Sehfähigkeit hergestellt und damit unnötige Gefährdungen für den einzelnen und andere Personen zuverlässig ausgeschlossen werden können.
und
SG Detmold, Urteil vom 11.01.2011 – S 21 AS 926/10
Gleitsichtbrille stellt Sonderbedarf nach dem SGB II dar
weiter: www.sozialgerichtsbarkeit.de
5.3 – LSG NRW, Beschluss v. 24.08.2023 – L 9 SO 69/23 B
Sozialhilfe – Überleitungsanzeige nach § 93 SGB XII – Schenkungsrückforderung – Hausgrundstück – Ermessen
Rückforderung einer Schenkung durch Verwaltung nur nach Anhörung (Tacheles e. V.)
Orientierungssatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Bewilligung von Prozesskostenhilfe, denn nach der Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 23.02.2023 – B 8 SO 9/21 R) müssen die Schenker zuvor umfassend angehört werden und alle ermessensrelevanten Gesichtspunkte ermittelt werden.
2. Weiterhin stellt sich die Frage, ob nicht jedenfalls die enge Verbundenheit des Klägers zu seiner Ehefrau und der Umstand, dass sie trotz der Trennung weiterhin seine Pflegeperson ist, in die Ermessenentscheidung hätte eingestellt werden müssen.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Hinweis Tacheles e. V.:
weiter auf beck-aktuell: Rückforderung einer Schenkung durch Verwaltung nur nach Anhörung
6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
6.1 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 31.08.2023 – L 8 AY 23/23 B ER
gewöhnlicher Aufenthalt; Kirchenasyl; örtliche Zuständigkeit; räumliche Beschränkung; Reisebeihilfe; teleologische Extension; Wohnsitzauflage; Keine Leistungen nach dem AsylbLG im Kirchenasyl bei einem Verstoß gegen eine asyl- oder aufenthaltsrechtliche räumliche Beschränkung
Amtlicher Leitsatz
1. Bei einem Verstoß gegen eine asyl- oder aufenthaltsrechtliche räumliche Beschränkung ist neben der für den tatsächlichen Aufenthaltsort zuständigen Behörde iSd § 11 Abs 2 AsylbLG auch die aufgrund einer Zuweisungs- oder Verteilentscheidung bzw. wegen einer Wohnsitzauflage nach § 10a Abs 1 S 1 AsylbLG zuständige Leistungsbehörde nur zu einer eingeschränkten Hilfegewährung verpflichtet, die im Regelfall dem Leistungsumfang des § 11 Abs 2 AsylbLG entspricht (st. Rspr. des Senats; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen v. 20.06.2008 – L 11 AY 47/08 ER – juris Rn 17 f.).
2. Die Leistungspflicht nach § 11 Abs 2 AsylbLG umfasst sämtliche Leistungen der faktischen Bedarfsdeckung, die jedoch in der Regel beschränkt sind auf die Übernahme der notwendigen Reise- sowie dringend erforderlichen Verpflegungskosten, damit der Ausländer den durch die asyl- bzw. ausländerrechtliche Beschränkung bestimmten Aufenthaltsort erreichen kann. In atypischen Fällen sind weitergehende Leistungen bis zum Niveau der regulären Leistungen (§§ 3 bzw 2 AsylbLG) zu erbringen (hier verneint für den Aufenthalt im offenen Kirchenasyl).
Quelle: voris.wolterskluwer-online.de
Rechtstipp Tacheles e. V.:
ebenso LSG NSB, Beschl. v. 18.08.2023, Az.: L 8 AY 20/23 B ER
Hinweis des LSG NSB v. 12.12.2023: Keine existenzsichernden Leistungen im Kirchenasyl bei Verstoß gegen räumliche Aufenthaltsbeschränkung
Asylbewerber, die gegen eine Wohnsitzauflage verstoßen und stattdessen an einem anderen Ort ins Kirchenasyl gehen, habe keine umfassenden Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18.8.2023, L 8 AY 20/23 B ER. Ähnliche Entscheidung zu einer guineischen Staatsangehörigen im Kirchenasyl in Bremen: L 8 AY 23/23 B ER.
weiter zur Pressemitteilung des LSG NSB v. 12.12.2023
6.2 – SG Karlsruhe, Beschluss v. 06.12.2023 – S 12 AY 2765/23 ER
Tacheles e. V.:
Zu wahrscheinlich mutmaßlichen Schikanen der Asylbewerberleistungsverwaltung beim sog. Taschengeld
Nach dem Grundgesetz muss sich in Deutschland kein Ausländer zwischen seiner Familie und seinem Asylrecht entscheiden, weil eine derartige Zwangslage die Grundrechte auf Asyl, Ehe, Familie und Erziehung des eigenen Kindes verletzt!
Leitsätze
Eine einstweilige Reglungsanordnung ist zeitlich zu beschränken, wenn die Sach- und Rechtslage im gerichtlichen Eilverfahren kaum geprüft werden kann, weil einerseits dem Eilantragsteller ein weiteres Zuwarten auf die ihm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zustehende existenzsichernde Leistungen nicht zuzumuten ist und andererseits die Leistungsverwaltung prozessrechtswidrig jedwede Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung im Gerichtsverfahren unterlässt und insbesondere ihre Verwaltungsvorgänge rechtswidrig geheim hält.
Nach dem Grundgesetz muss sich in Deutschland kein Ausländer zwischen seiner Familie und seinem Asylrecht entscheiden, weil eine derartige Zwangslage die Grundrechte auf Asyl, Ehe, Familie und Erziehung des eigenen Kindes verletzte.
Gegebenenfalls stellt es wegen der absehbaren Rechtsfolgen eines hypothetischen Verstoßes gegen die räumlichen Beschränkungen einer Aufenthaltsgestattung eine Schikane dar, wenn eine Behörde einem Asyl suchenden Vater und Ehemann das sog. „Taschengeld“ ohne nachvollziehbaren Grund streicht und ihm gleichzeitig wöchentlich 600 km lange Reisen abnötigt, um seine Ehefrau und seinen Sohn im Bundesgebiet aufsuchen zu können, derentwegen der mittellos gelassene Antragsteller wiederum Gefahr läuft, postalisch so schlecht erreichbar zu sein, dass seine Asylbewerberleistungen einzuschränken und sein Asylverfahren förmlich einzustellen sind.
Für eine erfolgreiche Rechtsverteidigung gegen bestehende Barauszahlungsansprüche muss eine Behörde zumindest mithilfe der Vorlage geeigneter Verwaltungsvorgänge entweder dartun, wann und wie sie in welcher Höhe die Barleistung ausgezahlt habe, oder aber darlegen, warum sie dies ausnahmsweise unterlassen durfte.
Der bestrittene Erhalt von Bargeld stellt für den (Sozial-) Leistungsempfänger aus beweisrechtlicher Sicht eine negative Tatsache der alleinigen Sphäre des (Sozial-) Leistungsschuldners dar, die sich regelmäßig aus Beweismittelnot nicht weiter substantiieren lässt.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
7. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
7.1 – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts trotz Sperrzeit? Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26.06.2023 – L 7 AS 3328/21
Redaktion EGovPraxis Jobcenter
Stellt die Bundesagentur für Arbeit den Eintritt einer Sperrzeit fest, kann eine Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit als Voraussetzung für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht mehr bestätigt werden.
weiter: www.wolterskluwer.com
7.2 – Ampel legt den Rotstift an: Private Haushalte zahlen 2024 hunderte Euro mehr für Strom und Gas
weiter: www.fr.de
Anmerkung:
Dazu kann man nur eins sagen:
Einfach zum Heulen, in der Weihnachtszeit die Menschen so zu enttäuschen!
Hauptsache unsere Ampel hat einen schönen Weihnachtsbaum, viele Geschenke und ein fröhliches Zusammensein mit der Familie.
Doch was machen wir, die Betroffenen, grausam, verletzend, einfach ohne Worte.
Wichtiger Hinweis:
Nicht veröffentlichte Urteile (gekennzeichnet durch n. v.), welche wir von Gerichten, Rechtsanwälten oder Privatkunden erhalten, dürfen zitiert werden, aber nur mit Quellhinweis Verein Tacheles, alles andere stellt eine Urheberrechtsverletzung dar. Danke!
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Ein schönes, besinnliches Adventswochenende wünscht Euch der Verein Tacheles e. V. !
Hiermit bedanke ich mich schon mal bei den vielen Lesern, die mir in den letzten 15 Jahren treu geblieben sind. Mein Dank gilt auch den vielen Rechtsanwälten, Gerichten und Privatpersonen, welche mir immer wieder brisante Urteile zur Verfügung gestellt haben.
Mein Dank gilt auch dem Verein Tacheles e. V. unter der Führung von Harald Thome, welche mich immer unterstützt haben und vor allem und das ist mir ganz wichtig, Menschlichkeit gezeigt haben!!
Ich wünsche Allen Menschen auf diesem Planeten ein Frohes Fest!
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker