Funkzellenabfrage bei Versammlungen ist nicht zu rechtfertigen

„Es ist ungeheuerlich, dass die sächsische Landesregierung die Funkzellenabfragen immer noch verteidigen lässt. Grundrechte und rechtsstaatliche Prinzipien werden ignoriert, damit Polizei und Justiz ihre offensichtlichen Fehler nicht eingestehen müssen.“ Mit diesen Worten kommentiert Rechtsanwalt Martin Heiming, Vorsitzender des RAV, das im Auftrag des sächsischen Innenministeriums erstellte Gutachten des Berliner Professors Ulrich Battis.

„Der Totalerfassung einer vom Grundgesetz geschützten Versammlung stand eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit der Aufklärung von 23 Straftaten gegenüber“ stellt Heiming fest. „Die Funkzellenabfragen können daher nur als unverhältnismäßig und rechtswidrig bezeichnet werden. Andernfalls ließe sich mit der Begründung von Herrn Battis jedes polizeiliche Mittel rechtfertigen.“

Das Gutachten verkennt gänzlich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung der Versammlungsfreiheit, wenn es die vollständige datenmäßige Erfassung einer Versammlung für zulässig hält. Dies gilt insbesondere auch angesichts des damit verbundenen Einschüchterungseffekts auf tausende von Teilnehmenden. Dass sich mit der Funkzellenabfrage aber überhaupt eine der verfolgten Taten aufklären lässt, erscheint zudem mehr als zweifelhaft. Die Polizei hat bis heute nicht erklärt, wie sie aus den mehreren Tausend festgestellten Anschlussinhabern die Täter ermitteln will. Wenn eine Maßnahme aber kaum erfolgversprechend ist, muss dies auch bei der Prüfung ihrer Angemessenheit berücksichtigt werden. Dies unterbleibt in dem Gutachten. Schließlich untersucht das Gutachten die Angemessenheit auch nur bezüglich der Funkzellenabfrage der PD Sachsen für den 19. Februar 2011 und damit nur für einen Teil der angeordneten Funkzellenabfragen.

Zur in dem Gutachten ebenfalls erörterten Gewaltenteilung stellt Heiming klar: „Dass der zuständige Ermittlungsrichter dem rechtswidrigen Begehren der Staatsanwaltschaft stattgegeben hat, ändert nichts an der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme. Es verdeutlicht vielmehr, welche Stimmung rund um den 19. Februar 2011 in Dresden geherrscht hat, wenn weder Polizei und Staatsanwaltschaft noch der Ermittlungsrichter die evidente Rechtswidrigkeit der Maßnahmen erkennen konnten oder wollten und diese bis heute verteidigen. In Sachen Grundrechte besteht in Dresden offenbar erheblicher Bedarf für Nachschulungen.“

Der Vorgang macht deutlich, welch geringe Kontrollwirkung der Richtervorbehalt in der Praxis hat. Dies ist auch durch wissenschaftliche Forschung belegt. Verantwortlich hierfür ist u. a. die weitverbreitete Praxis der Staatsanwaltschaften, die Anordnungen für die Gerichte so vorzubereiten, dass diese nur noch abgezeichnet werden müssen. „Es ist Aufgabe des Gerichts und nicht der Staatsanwaltschaft, Beschlüsse zu verfassen“, so Heiming. „Der Richtervorbehalt soll gerade sicherstellen, dass sich ein Richter selbst eingehend mit der Sache befassen. Die skandalöse Praxis der vorformulierten Beschlüsse muss ein Ende haben.“

Von der Funkzellenabfrage waren auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte des RAV betroffen. Die Staatsanwaltschaft verweigert den Betroffenen bisher jede Auskunft über Art und Umfang der erhobenen Daten. Die Rechtmäßigkeit der Auskunftsverweigerung wird zurzeit vom Amtsgericht Dresden überprüft.

Der RAV fordert:

• Vollständige Aufklärung über die Verwendung der erhobenen Daten, insbesondere, ob die Daten mit anderen Datenbeständen abgeglichen und zu Präventivzwecken gespeichert wurden.

• Sofortige Benachrichtigung aller Betroffenen, deren Bestandsdaten festgestellt wurden, sowie Gewährung von Akteneinsicht.

• Wirksame Mittel zur Begrenzung und Kontrolle sonstiger heimlicher Ermittlungsmaßnahmen.

Für Rückfragen wenden stehen Ihnen die RAV-Vorstandsmitglieder Rechtsanwalt Peer Stolle und Rechtsanwalt Sönke Hilbrans telefonisch zur Verfügung (Tel 030/4467920).


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