Göttingen/Karlsruhe, den 13.03.2024
Im sog. Fretterode-Verfahren hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe nach einer Revisionsverhandlung am heutigen Tag (Az.: 2 StR 237/23) das Skandalurteil des Landgerichts Mühlhausen vom 15.09.2022 (Az.: 3 KLs 101 Js 47753/18 jug) wegen erheblichen Mängeln in der Beweiswürdigung aufgehoben. Das Verfahren wird nun an eine andere Kammer des Landgerichts Mühlhausen zurückverwiesen und das Verfahren wird neu aufgerollt.
Das Landgericht hatte mit einem ersichtlich milden Urteil die zwei Neonazis Gianluca B. und Nordulf H. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von lediglich einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung bzw. zu einer Arbeitsauflage von 200 Arbeitsstunden nach Jugendstrafrecht verurteilt. Die Nebenklage hatte eine Verurteilung insbesondere auch wegen schweren Raubes mit deutlich höheren Strafen und insbesondere die Berücksichtigung der neonazistischen Beweggründe bei der Strafzumessung gefordert. Die Verurteilung wegen schweren Raubes hatte das Landgericht verweigert, weil es die Aussagen der Nebenkläger hinsichtlich des Raubes einer Spiegelreflexkamera in Zweifel gezogen hat und stattdessen insoweit den Neonazis mehr Glauben geschenkt hat, die den Raub und weite Teile des Tatgeschehens insgesamt bestritten haben. Auch neonazistische Beweggründe der Täter wollte das Landgericht nicht erkannt haben.
Auf die Revision der Nebenklage und der Staatsanwaltschaft hat der BGH die Beweiswürdigung des Landgerichts Mühlhausen nun für fehlerhaft erklärt. Es fehle an einer Gesamtwürdigung aller Indizien hinsichtlich des Raubes der Kamera – auch hinsichtlich des Tatmotivs. Zudem sei der Verbleib der Kamera nicht in der Beweiswürdigung erörtert worden. Das Verfahren wurde an eine andere Kammer des Landgerichts Mühlhausen zurückverwiesen, die die Beweisaufnahme neu durchführen muss.
Sobald die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen kann konkreter über den Verfahrensverlauf und die Gründe der Aufhebung durch den BGH informiert werden.
Für Rückfragen stehen die Rechtsanwälte Sven Adam und Rasmus Kahlen unter den genannten Kontaktdaten zur Verfügung.
Die Pressemitteilung des BGH findet sich hier:
https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/2024061.html?nn=10690868
Hintergrund:
Zwei Journalisten aus Göttingen befanden sich aus Recherchegründen Ende April 2018 im Ort Fretterode und wurden von Personen des extrem rechten Spektrums entdeckt. Als sie sich mit ihrem Auto zurückziehen wollten, wurden sie von zwei Personen mit einem schwarzen BMW verfolgt. Es kam es zu einer Verfolgungsjagd über die Landstraße sowie durch die Orte durch Fretterode und Germershausen. Am Ortseingang von Hohengandern wurden die Journalisten von den Verfolgern eingeholt. Nachdem das Fahrzeug der Journalisten in einem Graben zum Stehen kam griffen die beiden Personen des rechten Spektrums zunächst das Auto und anschließend die Insassen mit einem Baseballschläger, einem Messer, einem ca. 40-50 cm großen Schraubenschlüssel und Pfefferspray an. Der Fotograf erlitt u.a. eine Stichverletzung mit einem Messer im Oberschenkel, seinem Begleiter wurde u.a. mit dem schweren Schraubenschlüssel auf den Kopf geschlagen und er erlitt eine Fraktur des frontalen Schädelknochens und eine Kopfplatzwunde. Die Scheiben des Fahrzeuges wurden zerstört, die hinteren Reifen wurden zerstochen und dem Fotografen wurde seine Kamera sowie Kameratasche geraubt. Im Anschluss zogen sich die Täter in dem schwarzen BMW wieder zurück. Durch Anwohner konnte auf Bitten der erheblich verletzten Angegriffenen der Rettungsdienst und die Polizei verständigt werden.
Der Fotograf konnte noch aus dem eigenen Fahrzeug Fotos von einem der Täter anfertigen. Die SD-Karte mit diesen Fotos kam nicht in den Besitz der Neonazis und ist den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt worden.