Verwaltungsgericht Sigmaringen – Az.: 1 K 2822/16

GERICHTSBESCHEID

In der Verwaltungsrechtssache
xxx,
– Klägerin –

prozessbevollmächtigt:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Land Baden-Württemberg,
vertreten durch das Polizeipräsidium Reutlingen,
dieses vertreten durch den Polizeipräsidenten,
xxx,
– Beklagter –

wegen erkennungsdienstlicher Behandlung

hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen – 1. Kammer – durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht xxx, den Richter am Verwaltungsgericht xxx und die Richterin xxx

am 21. März 2018

für Recht erkannt:
 

Es wird festgestellt, dass die von Beamten des Beklagten am 30.04.2016 angeordnete und durchgeführte erkennungsdienstliche Behandlung der Klägerin rechtswidrig war.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

TATBESTAND

Die Klägerin wendet sich gegen eine erkennungsdienstliche Behandlung am 30.04.2016.

Die Ingewahrsamnahme und erkennungsdienstliche Behandlung der Klägerin fand im Zusammenhang mit einer Protestveranstaltung seitens der linksextremistischen Szene gegen den 5. Ordentlichen Bundesparteitag der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) am 30.04.2016 bis 01.05.2016 in der Landesmesse Stuttgart statt.

Die Klägerin hat am 28.06.2016 gegen ihre erkennungsdienstliche Behandlung Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Mit Beschluss vom 13.07.2016 hat das Verwaltungsgericht Stuttgart den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Sigmaringen verwiesen.

Zur Klagebegründung trägt die Klägerin vor, sie sei am 30.04.2016 durch Beamte des Beklagten in Gewahrsam genommen und erkennungsdienstlich behandelt worden. Der Verwaltungsrechtsweg sei eröffnet. Die vorgenommenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen seien augenscheinlich zum Zwecke des Erkennungsdienstes gem. § 81b 2. Alt. StPO erfolgt. Die unmittelbar im Gewahrsam angeordnete und direkt durchgeführte erkennungsdienstliche Behandlung sei rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten. Maßgebend für Maßnahmen zu präventiv-polizeilichen Zwecken sei, ob Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Klägerin in ähnlicher oder anderer Weise erneut straffällig werden könne und ob die erkennungsdienstlichen Unterlagen zur Förderung der dann zu führenden Ermittlungen geeignet erschienen. Eine solche Prüfung habe vorliegend nicht stattgefunden bzw. habe zu einem falschen Ergebnis geführt. Nach Akteneinsicht führt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin weiter aus: Die Angaben zu den angewendeten Rechtsgrundlagen auf Blatt 104 der Akte mit der entsprechenden Anwendung des § 81b 2. Alt. StPO seien unmissverständlich und könnten auch durch die Erklärung des xxx hinsichtlich eines vermeintlichen Irrtums nicht mehr relativiert werden, insbesondere wenn die Erfassung der Daten nach § 81b 2. Alt. StPO sogar zu einem entsprechenden POLAS-Eintrag über die durchgeführte ED-Behandlung geführt habe. Im Übrigen erschließe sich aber ohnehin nicht, wieso im Fall des Vorwurfs eines Landfriedensbruchs im Rahmen der Ermittlungen beispielsweise die Erhebung der Fingerabdrücke, der phänotypischen Merkmale, der Besonderheiten der Kleidung oder der Gesichtsform erforderlich sein solle. Mit Schriftsatz vom 20.04.2017 legt die Klägerin einen Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 31.03.2017 vor. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen erkennungsdienstlichen Behandlung der Klägerin sei der Gewahrsam derselben bereits rechtswidrig gewesen. In der (ebenfalls vorgelegten) Akte der Staatsanwaltschaft seien keine ED-Daten enthalten gewesen und demgemäß auch nicht nach § 81b 1. Alt. StPO erhoben worden.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die von Beamten des Beklagten am 30.04.2016 angeordnete und durchgeführte erkennungsdienstliche Behandlung der Klägerin rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise den beschrittenen Rechtsweg durch Beschluss für unzulässig zu erklären.

Die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) habe am Wochenende vom 30.04.2016 bis 01.05.2016 in der Landesmesse Stuttgart einen Bundesparteitag veranstaltet. Aufgrund polizeilicher Aufklärungsergebnisse sei mit einer bundesweiten Anreise von ca. 800 bis 1000 gewaltbereiten Störern aus dem linksautonomen gewaltbereiten Spektrum zu rechnen gewesen, deren Absicht es nach eigenen Bekunden gewesen sei, durch gezielte Blockadeaktionen der Zufahrtswege zur Landesmesse die Durchführung des AfD-Bundesparteitages zu verhindern. Parallel dazu sei der Flughafen Stuttgart als Abschiebeflughafen ins Visier der linken gewaltbereiten Störer geraten und es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Störung des Betriebs geplant gewesen bzw. sei auch durch mehrere Kleinaktionen erfolgt. Es hätten sich ca. 900 linksautonome, gewaltbereite Störer im Bereich der Messe befunden. Auf Grund der gezeigten Unfriedlichkeit habe sich der Schutzbereich des Art. 8 Grundgesetz für die Personengruppe nicht eröffnet. Durch den Polizeiführer sei zur Beseitigung der bereits eingetretenen Störungen für die öffentliche Sicherheit bzw. zur Verhinderung weiterer Störungen für die öffentliche Sicherheit bzw. zur Verhinderung weiterer Störungen Maßnahmen auf Grundlage des Polizeigesetzes bzw. zur Strafverfolgung gemäß der Strafprozessordnung angeordnet worden. Unter den in Gewahrsam genommen Personen habe sich auch die Klägerin befunden. Diese sei von Einsatzkräften aus der Umschließung herausgeholt und anschließend mit einem Bus zur Gefangenensammelstelle verbracht worden. Dort sei sie zunächst videofotografiert und als Beschuldigte wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs belehrt worden. Nach Anordnung des Gewahrsams durch den vor Ort anwesenden Bereitschaftsrichter um 14.00 Uhr seien bei der Klägerin wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs erkennungsdienstliche Maßnahmen gemäß § 81b 1. Alt. StPO durchgeführt worden. Der Verwaltungsrechtsweg sei nicht eröffnet. Die bei der Klägerin durchgeführten erkennungsdienstlichen Maßnahmen (Lichtbilder, Videoaufnahmen, Personenbeschreibung, Finger- und Handflächenabdrücke) hätten sich ausnahmslos auf § 81b 1. Alt. StPO gestützt und dienten ausschließlich der Sachverhaltserforschung im Rahmen der Strafverfolgung hinsichtlich des gegen die Klägerin eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs gedient. Die erkennungsdienstlichen Daten seien weder in den polizeilichen Sammlungen bzw. Dateien gespeichert noch dafür freigegeben worden. Vorliegend handele es sich demnach um einen Justizverwaltungsakt. Selbst für den Fall, dass es sich um eine erkennungsdienstliche Maßnahme nach § 81b 2. Alt. StPO gehandelt hatte, wäre die Fortsetzungsfeststellungsklage nicht statthaft. Die Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung erkennungsdienstlicher Unterlagen in kriminalpolizeilichen Sammlungen diene nach ihrer gesetzlichen Bestimmung vielmehr – ohne unmittelbaren Bezug zu einem konkreten Strafverfahren – der vorsorglichen Bereitstellung. Nach dieser Zweckbestimmung sei der Verwaltungsakt nicht mit der Erhebung der erkennungsdienstlichen Unterlagen erledigt. Vielmehr wäre die Klägerin weiterhin mit der Maßnahme bis zur Löschung bzw. Vernichtung der Unterlagen beschwert. Auch wäre in diesem Fall eine Anfechtungsklage nicht statthaft. Die erkennungsdienstliche Maßnahme sei mit Widerspruch vom 30.04.2016 erfolgt und die Klage am 26.06.2016 beim Verwaltungsgericht Stuttgart ohne abgeschlossenes Vorverfahren erhoben worden. Die Klägerin sei ohne Nennung der Rechtsgrundlage den Bediensteten der Kriminaltechnik zur Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung überstellt worden. Zuvor sei der entgegengesetzte Wille der Klägerin protokolliert worden. Der in der Protokollierung verwendete Begriff „Widerspruch“ bedeute aber nicht, dass es sich um eine Maßnahme nach Polizeirecht gehandelt habe. Auch die im Rahmen der elektronischen Aufarbeitung abgebildete fehlerhafte Rechtsgrundlage auf einem Kontrollausdruck ändere daran nichts. Die darauf zurückzuführende vorübergehende Speicherung der Klägerin im Polizeilichen Auskunftssystem Baden-Württemberg POLAS-BW sei rechtmäßig erfolgt. Auf die gerichtliche Verfügung vom 22.11.2017 teilte der Beklagte weiter mit: Vor Ort sei eine manuelle Erhebung der Personenbeschreibung und der Fingerandrücke mittels herkömmlichen Formularen auf Papier erfolgt. Zur Gewährleistung einer schnelleren Verfügbarkeit der erkennungsdienstlichen Daten für das konkrete strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ggf. zur späteren Umwidmung im Sinne des § 81b 2. Alt. StPO bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen seien die manuellen Akten digitalisiert und daraufhin die Personalien der Klägerin und die Kriminalaktenunterlage im Polizeilichen Auskunftssystem Baden-Württemberg POLAS-BW gespeichert worden. Eine Freigabe der Daten (Lichtbilder, Personenbeschreibung, Fingerabdrücke) im POLAS-BW sei nicht erfolgt. Die Daten seien somit für eine Verwendung im Sinne der Vorschrift des § 81b 2. Alt. StPO zu keinem Zeitpunkt freigegeben gewesen. Der Datensatz an sich sei im POLAS-BW rechtmäßig gespeichert gewesen, da gegen die Klägerin ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig gewesen sei und die Voraussetzungen von §§ 38 PolG BW, 5 DVO PoIG BW vorgelegen hätten. Eine Protokolldatenabfrage zur Feststellung des Zeitraums der Datenspeicherung sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr möglich. Die Protokolldaten würden für ein Jahr gespeichert. Entsprechende Protokolldaten seien nicht mehr vorhanden, sodass lediglich habe festgestellt werden können, dass eine Löschung vor dem 03.12.2016 erfolgt sein müsse.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen. Mit Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 31.03.2017 ist festgestellt worden, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nürtingen vom 30.04.2016, mit dem die Ingewahrsamnahme der Klägerin bis zum Abend des Folgetages angeordnet worden ist, die Klägerin in ihren Rechten verletzt hat.
 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid zugestimmt.

Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Bei doppelfunktionalen Maßnahmen – wie hier – der erkennungsdienstlichen Behandlung, welche sowohl repressiven Zwecken zur Strafverfolgung als auch präventiven Zwecken zur Gefahrenabwehr dienen können, ist der Schwerpunkt der polizeilichen Tätigkeit für die Bestimmung des Rechtsweges maßgeblich. Für die Abgrenzung ist entscheidend, wie sich der konkrete Sachverhalt einem verständigen Bürger in der Lage des Betroffenen bei natürlicher Betrachtung darstellt. Lässt sich dies nicht eindeutig bestimmen, weil der Grund für das polizeiliche Einschreiten bzw. dessen Schwerpunkt nach objektiver Betrachtung für den Betroffenen nicht zweifelsfrei zu erkennen war, kommt aber (zumindest auch) eine präventiv-polizeiliche Rechtsgrundlage in Betracht, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (siehe BVerwG, Urteil vom 03. Dezember 1974 — I C 11.73 —, BVerwGE 47, 255; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Dezember 2010 — 1 S 338/10 —, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 08. November 2013 — 11 OB 263/13 —, Rn. 4, juris).

Aus dem erstmaligen polizeilichen Auftreten durch die Lautsprecherdurchsagen war für die Klägerin nicht erkennbar, ob es sich um ein repressives oder präventives Einschreiten seitens der Polizei handelte. Die Durchsagen hatten im Wesentlichen den folgenden Wortlaut: „Aufgrund ihrer Vermummung und der Errichtung von Barrikaden genießen sie nicht mehr den Schutz des Versammlungsrechts. Sie befinden sich in polizeilichem Gewahrsam und werden in Kürze polizeilich bearbeitet.“ (Behördenaktenseite 29). Die Klägerin ist auch ohne Nennung einer Rechtsgrundlage den Beamten des Erkennungsdienstes überstellt worden (siehe Behördenaktenseite 40). Schließlich ist die Klägerin auch nicht sofort nach der erkennungsdienstlichen Behandlung aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen worden, sondern erst zwischen 17:00 Uhr und 20:00 Uhr (vgl. Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 31.03.2017). Die erkennungsdienstliche Behandlung war jedoch bereits um 15:00 Uhr beendet (vgl. Behördenaktenseite 40). Hiernach durfte für die Klägerin der Eindruck entstehen, dass es den Polizeibeamten des Beklagten (zumindest) auch darum ging, sie von der weiteren Teilnahme an einer unerlaubten Versammlung abzuhalten.

Der Klageantrag ist als Fortsetzungsfeststellungsantrag in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft (siehe Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2003 — 1 S 2211/02 —, Rn. 30, juris). Er bezieht sich auf die am 30.04.2016 von der Leitung des Einsatzabschnittes „EA 4″ (vgl. Behördenaktenseite 32) ausgesprochene, sofort vollzogene und damit schon vor Klageerhebung erledigte Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung, die als Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 LVwVfG zu qualifizieren ist und gegen die die Klägerin sinngemäß am selben Tage zur Niederschrift Widerspruch eingelegt hat (vgl. Behördenaktenseite 23). Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg geht in den Fällen der vorprozessualen Erledigung eines Verwaltungsakts von einer analogen Anwendung der Regelung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO aus (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2003 — 1 S 2211/02 —, Rn. 30, juris). Im Übrigen würden sich unter den gegebenen Umständen die Sachurteilsvoraussetzungen nach § 43 VwGO und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in analoger Anwendung nicht unterscheiden. Die vorherige Durchführung eines Widerspruchsverfahrens ist insbesondere entbehrlich, wenn sich – wie hier – der Verwaltungsakt bereits vor Ablauf der Widerspruchsfrist erledigt hat. Ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung steht der Klägerin zu. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass insbesondere bei polizeilichen Maßnahmen auch die Art des Eingriffs, insbesondere im grundrechtlich geschützten Bereich, verbunden mit dem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, es erfordern kann, das Feststellungsinteresse anzuerkennen. Mit der erkennungsdienstlichen Behandlung der Klägerin in der hier durchgeführten Form (sowie mit der – nicht streitgegenständlichen, temporären – Aufbewahrung und Speicherung der diesbezüglichen Unterlagen und Daten) hat der Beklagte in nicht unerheblicher Weise in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin insbesondere in der Ausprägung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen. Es wäre mit den Grundsätzen des Rechtsstaats unvereinbar, der Klägerin den Zugang zum Gericht und damit die Chance zu versagen, über die gerichtliche Rechtswidrigkeitsfeststellung eine Art Genugtuung (Rehabilitation) und damit wenigstens einen gewissen Ausgleich für eine möglicherweise rechtswidrige Verletzung ihrer Grundrechte zu erlangen (zum Ganzen Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2003 — 1 S 2211/02 —, Rn. 32, juris).

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet. Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung vom 30.04.2016 war rechtswidrig.

Als Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen, präventiv-polizeilichen Maßnahme kommt allein § 81 b 2. Alt. StPO in Betracht. Nach dieser Bestimmung können Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit dies für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Polizeibeamten des Beklagten die erkennungsdienstliche Maßnahme allein für die Zwecke des konkret gegen die Klägerin betriebenen Strafverfahrens wegen Landfriedensbruchs durchgeführt haben, oder auch zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten „für die Zwecke des Erkennungsdienstes“. Der Beklagte trägt vor, die Maßnahme sei allein auf Grundlage des § 81 b 1. Alt. stopp zur Sachverhaltserforschung im Rahmen der Strafverfolgung hinsichtlich des gegen die Klägerin eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs erfolgt. Die Klägerin sei ohne Nennung der Rechtsgrundlage den Bediensteten der Kriminaltechnik zur Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung überstellt worden (siehe Stellungnahme KHK xxx und KHK xxx vom 11.07.2016, Behördenaktenseite 40). Im Schreiben vom 13.07.2016 (Behördenaktenseite 43) hingegen gibt EKHK xxx an, dass zur Ermöglichung von Ermittlungen von den Personen eine erkennungsdienstliche Behandlung zum Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens nach § 81 b 1. Alt. StPO durchgeführt und auch die Klägerin im Zuge dieser Anordnung erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Aus den Behördenakten ergibt sich jedoch, dass die Klägerin (zumindest auch) faktisch erkennungsdienstlich zu präventiven Zwecken behandelt worden ist. Als Rechtsgrundlage auf dem Finger- und Handflächenabdruckblatt sind beide Alternativen des § 81 b StPO genannt (siehe Behördenaktenseite 104). Neben den Finger- und Handflächenabdrücken sowie Lichtbildern sind auch Daten zur Erscheinung der Klägerin (Phänotyp), Besonderheiten ihrer Kleidung (abgetragen/ungepflegt), deren äußerlichen Beschreibung (zu Gesicht, Haar etc.; siehe Behördenaktenseiten 108 f.) erfasst worden. Zudem ist dem Schreiben des Beklagten vom 17.10.2016 zu entnehmen, dass durch die Abbildung einer fehlerhaften Rechtsgrundlage im Kontrollausdruck systembedingt in POLAS ein Hinweis auf die Person der Klägerin und auf den Umstand einer durchgeführten erkennungsdienstlichen Behandlung angelegt worden sei. Der Fehler sei im Rahmen der Qualitätskontrolle erkannt und berichtigt worden (siehe Behördenaktenseite 112).

(Faktisch) ist die Klägerin damit nach § 81 b 2. Alt. StPO aus Anlass eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens präventiv-polizeilich erkennungsdienstlich behandelt worden. Der Rechtmäßigkeit der Maßnahme steht nicht entgegen, dass sie ggf. ohne Kenntnis und Zustimmung der Staatsanwaltschaft durchgeführt wurde. Anders als für Maßnahmen gemäß § 81 b 1. Alt. StPO ist für Anordnungen nach § 81 b 2. Alt. stopp ausschließlich die Kriminalpolizei zuständig (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2003 — 1 S 2211/02 —, Rn. 36, juris m. w. N.). Die Notwendigkeit der Anfertigung und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist – Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend – fördern könnten (st. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. BVerwGE 66, 192, 199). Der unbestimmte Rechtsbegriff der „Notwendigkeit“ unterliegt hierbei der vollen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte; lediglich das der polizeilichen Prognose über das künftige Verhalten des Betroffenen zugrundeliegende Wahrscheinlichkeitsurteil ist einer Kontrolle nur begrenzt zugänglich; diese erstreckt sich allein darauf, ob die Prognose auf zutreffender Tatsachengrundlage beruht und ob sie nach gegebenem Erkenntnisstand unter Einbeziehung des kriminalistischen Erfahrungswissens sachgerecht und vertretbar ist (vgl. [zum Ganzen] Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2003 — 1 S 2211/02 —, Rn. 39, juris m. w. N.).

Eine solche Einschätzung des Beklagten ist im vorliegenden Fall schon nicht erfolgt, da die präventiv-polizeiliche erkennungsdienstliche Behandlung der Klägerin – nach Angaben des Beklagten – fehlerhaft erfolgte, d. h. gar nicht beabsichtigt war. In jedem Einzelfall bedarf es jedoch der Prüfung, ob die im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung durchzuführenden Maßnahmen auch ihrem Umfang nach notwendig sind. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 81 b 2. Alt. StPO, wonach die Maßnahmen nur zulässig sind, „soweit“ dies für die Zwecke des Erkennungsdienstes „notwendig“ ist. Bei dieser Begrenzung erkennungsdienstlicher Maßnahmen auf das notwendige Maß handelt es sich um eine (einfachgesetzliche) Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, dem der mit der Datenerhebung verbundene Eingriff in grundrechtlich geschützte Belange des Betroffenen, insbesondere in dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung genügen muss (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2003 — 1 S 2211/02 —, Rn. 41, juris). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass im konkreten Einzelfall die Schwere des mit der konkreten erkennungsdienstlichen Behandlung verbundenen Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Interesses namentlich an der Aufklärung künftiger Straftaten steht (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2003 — 1 S 2211/02 —, Rn. 43, juris). Von diesen Grundsätzen ausgehend war es mit Blick auf die Art und die Begehungsweise der konkret zu besorgenden Straftaten (hier: Landfriedensbruch) zur Förderung künftiger Ermittlungsverfahren möglicherweise zulässig, dass Lichtbilder gefertigt wurden, um einen Abgleich mit dem Videomaterial zu ermöglichen. Ob die Abnahme von Finger- und Handabdrücken sowie die sog. Personenbeschreibung äußerlich ohne weiteres erkennbarer personenbezogener Merkmale jedoch zwingend erforderlich war, erscheint zumindest fraglich. Diesen Eingriff in ihr grundrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht musste die Klägerin bei einer Abwägung der gegenläufigen öffentlichen und privaten Interessen möglicherweise nicht hinnehmen. Die erkennungsdienstliche Behandlung zu präventiv-polizeilichen Zwecken war jedenfalls insgesamt rechtswidrig, da – wie dargelegt – sowohl nach dem Vortrag des Beklagten als auch dem Akteninhalt – die erforderliche Einschätzung für ein präventives Tätigwerden seitens der Polizeibeamten des Beklagten nicht erfolgt ist (s. o.).

Der Beklagte hat gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Kammer sieht davon ab, den Gerichtsbescheid hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären (vgl. § 167 Abs. 2 VwGO).

Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil (§ 84 Abs. 3 VwGO)

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.