Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 12.09.2019 – Az.: L 8 AY 12/19 B ER


BESCHLUSS

L 8 AY 12/19 B ER
S 42 AY 17/19 ER Sozialgericht Hildesheim

In dem Beschwerdeverfahren
xxx,

– Antragsteller und Beschwerdeführer –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Stadt Göttingen, Referat Recht,
Hiroshimaplatz 1 – 4, 37083 Göttingen

– Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin –

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 12.9.2019 in Celle durch die Richter xxx, xxx und xxx beschlossen:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 12.3.2019 aufgehoben, soweit hiermit der Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz abgelehnt worden ist.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung lebensunterhaltssichernde Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 27 ff. SGB XII für die Zeit vom 1.3.2019 bis zum 31.12.2019 unter Anrechnung der bereits für diese Zeit erbrachten Leistungen zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das erstinstanzliche und das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

GRÜNDE
I.

Der Antragsteller verfolgt im Eilverfahren einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG. Umstritten ist hierbei, ob er einen Anspruch auf so genannte Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG anstelle der bisher gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG hat und – wenn dies nicht der Fall sein sollte – ob ihm ein Anspruch auf höhere Grundleistungen zusteht.

Der Antragsteller, der nach seinen Angaben 1990 geboren und somalischer Staatsangehöriger ist, reiste vermutlich im Juni 2016 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass dem Antragsteller bereits in Italien internationaler Schutz gewährt worden sei. Zugleich stellte das BAMF das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG fest, forderte den Antragsteller zum Verlassen Deutschlands auf, drohte die Abschiebung nach Italien an und stellte fest, dass keine Abschiebung nach Somalia erfolgen darf (Bescheid vom 22.11.2017). Die gegen diesen Bescheid vom Antragsteller erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts – VG – Göttingen vom 15.10.2018 – 3 A 745/17 -). Der Antragsteller ist seit dem 16.4.2019 im Besitz einer Duldung.

Seit August 2016 gewährt die Antragsgegnerin dem Antragsteller Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, wobei dies teilweise auf der Grundlage von schriftlichen Bescheiden für einen Monat oder mehrere Monate und teilweise ohne schriftlichen Bescheid erfolgt. Mehrere Widersprüche, mit denen der Antragsteller höhere Leistungsansprüche geltend machte, blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide der Antragsgegnerin vom 25.4., 19.5. und 14.8.2019). Insoweit sind beim Sozialgericht (SG) Hildesheim mehrere Klageverfahren anhängig. Über einen am 5.8.2019 erhobenen Widerspruch, der die Leistungsgewährung für August 2019 betrifft, hat die Antragsgegnerin noch nicht entschieden.

Bereits am 20.2.2019 hat der Antragsteller beim SG Hildesheim einen auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG gerichteten Eilantrag gestellt. Er hat vorgetragen, dass nicht ersichtlich sei, aus welchem Grund er keine Leistungen nach § 2 AsylbLG erhalte. Im Übrigen seien die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG entsprechend der gesetzlichen Vorgabe fortzuschreiben.

Mit Beschluss vom 12.3.2019 hat das SG den Eilantrag abgelehnt. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung lägen nicht vor, weil der Antragsteller mit Blick auf die geringe Differenz zwischen den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und den Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe. Der Beschluss enthält den Hinweis, dass er nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG unanfechtbar sei.

Gegen den Beschluss vom 12.3.2019 richtet sich die am 18.3.2019 eingelegte Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein Rechtsschutzbegehren weiterverfolgt. Die Beschwerde sei statthaft. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass er weiterhin weder Analog-Leistungen noch fortgeschriebene Grundleistungen erhalte. Entgegen der Annahme des SG sei bei der Differenz von Analog- und Grundleistungen von einem Anordnungsgrund auszugehen. Ein Rechtsmissbrauch im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG liege nicht vor, weil die etwaigen abweichenden Namensangaben des Antragstellers in Italien, Norwegen und Deutschland nicht kausal für die Dauer des Aufenthaltes gewesen seien.

Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen. Diese Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
 

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG). Der Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG greift nicht ein, weil die Berufung in der Hauptsache nicht nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung bedürfte.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) richtet sich danach, was das SG dem Rechtsmittelführer versagt hat und was dieser im Rechtsmittelverfahren weiterverfolgt (BSG, Urteil vom 6.9.2017 – B 13 R 20/14 R juris Rn. 23). Die Prüfung des Beschwerdeausschlusses nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG erfolgt daher anhand des mit der Beschwerde weiterverfolgten Rechtsschutzbegehrens. Dies kann, muss sich aber nicht mit dem Rechtsschutzziel eines tatsächlich anhängigen Hauptsacheverfahrens decken. Maßgeblich ist – mit anderen Worten – ein hypothetisches Hauptsacheverfahren („bedürfte“). Bei einem Eilverfahren, das die Gewährung von laufenden existenzsichernden Leistungen betrifft, ist nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich von einem streitigen Zeitraum von (maximal) zwölf Monaten auszugehen (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 17.8.2017 – L 8 AY 17/17 B ER – juris Rn. 4 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen beläuft sich der Wert des Beschwerdegegenstandes vorliegend auf zumindest 840,00 € und übersteigt damit die nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG maßgebliche Wertgrenze von 750,00 €. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf den im Verfahren L 8 AY 13/19 B ergangenen Senatsbeschluss vom 25.7.2019 verwiesen, mit dem der Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Eilverfahren stattgegeben worden ist.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das SG hat den Eilantrag zu Unrecht abgelehnt.

Der Eilantrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG statthaft, weil kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere liegt ein streitiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG vor, weil die Bescheide, mit denen die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit ab Februar 2019 bewilligt hat, nicht bestandskräftig geworden sind.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 27 ff. SGB XII glaubhaft gemacht.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der vom 1.3.2015 bis zum 20.8.2019 geltenden Fassung (Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014 – BGBl. I 2014, 2187) ist das SGB XII abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Die Vorschrift ist zum 21.8.2019 dahin geändert worden, dass nunmehr ein Aufenthalt im Bundesgebiet ohne wesentliche Unterbrechung von 18 Monaten erforderlich ist (Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.8.2019 – BGBl. I 2019, 1294), wobei nach Maßgabe von § 15 AsylbLG die bisherige Fassung weiter anzuwenden ist. Eine weitere Änderung von § 2 Abs. 1 AsylbLG ist zum 1.9.2019 in Kraft getreten (Drittes Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.8.2019 – BGBl. I 2019, 1290). Eingefügt worden sind vom SGB XII abweichende Regelungen für Auszubildende (§ 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 AsylbLG) und zur Bemessung des Regelbedarfs u.a. bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft oder einer Aufnahmeeinrichtung (§ 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG).

Abgesehen von der Frage, ob der Antragsteller die Dauer seines Aufenthalts in Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, ist davon auszugehen, dass die sonstigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf lebensunterhaltssichernde Analog-Leistungen vorliegen. Der Antragsteller gehört zu den Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG, derzeit als Inhaber einer Duldung (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG). Er hält sich auch, soweit ersichtlich, ohne wesentliche Unterbrechung seit mehr als 15 Monaten in Deutschland auf. Anhaltspunkte, dass er seinen notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen, bestreiten kann (§ 19 Abs. 1, § 27 Abs. 1, 2 Satz 1, §§ 82 ff, § 90 SGB XII), liegen nicht vor.

Dem Antragsteller kann nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht vorgeworfen werden, dass er die Dauer seines Aufenthalts rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG selbst beeinflusst hat.

Nach der Rechtsprechung des BSG (grundlegend: Urteil vom 17.6.2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn. 32 ff.) setzt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in diesem Sinne in objektiver Hinsicht ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus, das in subjektiver Hinsicht vorsätzlich im Bewusstsein der objektiv möglichen Aufenthaltsbeeinflussung getragen ist. Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen für den Ausländer sowie über die Regelung des § 2 Abs. 3 AsylbLG (a.F.) für dessen minderjährige Kinder so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Daher kann nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen führen. Die Angabe einer falschen Identität stellt einen typischen Fall des Rechtsmissbrauchs dar (BSG, a.a.O., Rn. 34). Auch kann ein Verhalten vor der Einreise in das Bundesgebiet als rechtsmissbräuchlich angesehen werden (BSG, a.a.O., Rn. 40). Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer liegt regelmäßig schon dann vor, wenn bei generell-abstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise die Aufenthaltsdauer verlängern kann. Eine Ausnahme hiervon ist zu machen, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können (BSG, a.a.O., Rn. 44). Die objektive Beweislast für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten trägt der Leistungsträger (Oppermann in jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 2 AsylbLG 1. Überarbeitung Rn. 108).

Es fehlen Anhaltspunkte, dass die Identitätsangaben des Antragstellers die Dauer seines Aufenthalts in Deutschland beeinflusst haben. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass bisher keine Zweifel an der somalischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers bestehen und das BAMF bestandskräftig entschieden hat, dass der Antragsteller nicht nach Somalia abgeschoben werden darf (Bescheid vom 22.11.2017). Zudem ergab eine EURODAC-Abfrage am 6.7.2016, nachdem der Antragsteller wenige Tage zuvor nach Deutschland eingereist war, zwei Treffer in Bezug auf Norwegen; von den dortigen Behörden erhielt das BAMF die Information, dass dem Antragsteller bereits in Italien internationaler Schutz gewährt worden war. Aus welchem Grund die nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils des VG Göttingen vom 15.10.2018 offenbar eingeleitete Abschiebung des Antragstellers nach Italien bisher nicht durchgeführt worden ist, lässt sich anhand der dem Senat vorliegenden Akten nicht beurteilen. Jedenfalls können abweichende Identitätsangaben des Antragstellers in Italien, Norwegen und Deutschland hierfür nicht kausal geworden sein.

Weiteres Verhalten, das als Rechtsmissbrauch im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG zu qualifizieren ist, ist nicht ersichtlich. Die Einreise selbst kann nicht als Rechtsmissbrauch gewertet werden. Dies gilt auch, wenn internationaler Schutz durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einen am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstatt gewährt worden ist. Denn der Rechtsmissbrauch im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG bezieht sich nicht darauf, dass überhaupt ein Aufenthalt in Deutschland stattfindet, sondern auf die Beeinflussung der Aufenthaltsdauer (Cantzler, AsylbLG, 2019, § 2 Rn. 41 a.E.; a.A. Deibel in GK-AsylbLG, Stand August 2019, § 2 Rn. 63). Dass in dieser Konstellation der Tatbestand einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG verwirklicht sein kann, ist unerheblich, weil sich die Maßstäbe für den Ausschluss von Analog-Leistungen einerseits und für eine Anspruchseinschränkung andererseits voneinander unterscheiden (Krauß in Siefert, AsylbLG, 2018, § 2 Rn. 47; vgl. BSG, a.a.O., Rn. 32, 46). Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren Klärung, ob der dem Antragsteller von Italien gewährte internationale Schutz noch fortbesteht. Ebenso wenig stellt die Nichtausreise für sich genommen einen Rechtsmissbrauch dar (BSG, a.a.O., Rn. 39).

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Folgende Gesichtspunkte sind hierbei im Rahmen der erforderlichen Einzelfallbetrachtung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1.8.2017 – 1 BvR 1910/12 – juris Rn. 15) maßgeblich:
Grundsätzlich liegt ein Anordnungsgrund bei einem Streit um laufende bedürftigkeitsabhängige Leistungen, zu denen sowohl die Grund- (§ 7 AsylbLG) als auch die Analog-Leistungen (§ 19 SGB XII) gehören, nahe, weil ein Leistungsanspruch gerade voraussetzt, dass die Betroffenen zur Sicherung ihres Existenzminimums aktuell auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Bezogen auf das Verhältnis von Analog- und Grundleistungen ist zu berücksichtigen, dass sich allein aus der Differenz der jeweiligen Geldleistungen noch nicht zwingend ein Anordnungsgrund ergibt (Senatsbeschluss vom 3.4.2013 – L 8 AY 105/12 B ER -; hierzu auch: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.8.2019 – L 7 AY 2735/19 ER-B -). Abgesehen davon, dass eine vom SGB XII abweichende Bemessung des notwendigen Lebensunterhalts für die Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist (BVerfG, Urteil vom 18.7.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – juris Rn. 73 ff.), werden die Grundleistungen teilweise in anderer Form (Sachleistung oder Wertgutschein) erbracht.

Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes spricht vor allem, dass die tatsächlich gewährten Grundleistungen nicht nach § 3 Abs. 4 AsylbLG in der bis zum 31.8.2019 geltenden Fassung (a.F.; jetzt § 3a Abs. 4 AsylbLG) fortgeschrieben worden sind. Unabhängig davon, dass diese Verwaltungspraxis mit den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben unvereinbar sein dürfte (vgl. Senatsurteil vom 23.5.2019 – L 8 AY 49/18 -), ergibt sich aus der unterbliebenen Fortschreibung eine deutliche Differenz zwischen den Analog- und den Grundleistungen. Im Einzelnen hat die Antragsgegnerin Bedarfssätze von 135,00 € (§ 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG a.F.) und 219,00 € (§ 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG) zugrunde gelegt (zusammen 354,00 €), während sich im Falle einer Fortschreibung ab Januar 2019 Bedarfssätze von mindestens 142,00 € und 231,00 € (zusammen 373,00 €) ergeben dürften (Frerichs in jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, § 3 AsylbLG 1. Überarbeitung Rn. 134.10). Offenbleiben kann insoweit, ob die zum 17.3.2016 erfolgte Absenkung des Bedarfssatzes nach § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG a.F. von 145,00 € auf 135,00 € verfassungsrechtlich zulässig ist (hierzu: Senatsurteil vom 23.5.2019 – L 8 AY 49/18 – juris Rn. 22, 28). In die Bewertung ist auch einzubeziehen, dass nicht nur ein kurzer Leistungszeitraum betroffen ist (hierzu: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.7.2017 – L 20 AY 4/17 B – juris Rn. 30). Im Übrigen kann ein Anordnungsgrund, wenn die Grundleistungen – wie hier – im Wesentlichen als pauschalierte Geldleistungen erbracht werden, nicht erst angenommen werden, wenn der Leistungsberechtigte glaubhaft macht, dass konkrete Bedarfe ungedeckt bleiben.

Der Senat lässt im Hinblick auf die Neufassung des AsylbLG zum 1.9.2019 offen, unter welchen Voraussetzungen ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht ist, wenn das die Gewährung von Analog- anstelle von Grundleistungen betreffende Eilverfahren sich ausschließlich auf einen Leistungszeitraum nach dem 31.8.2019 bezieht.

Die einstweilige Anordnung wird auf die Zeit bis zum 31.12.2019 beschränkt. Daraus, dass bei der Prüfung der Statthaftigkeit der Beschwerde von einem streitigen Zeitraum von (maximal) zwölf Monaten ausgegangen wird, ergibt sich keine Beschränkung des gerichtlichen Ermessens nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO. Auf eine Bezifferung der Leistungen verzichtet der Senat. Eine Verpflichtung dem Grunde nach ist im Eilverfahren zulässig (Burkiczak in jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 86b Rn. 437) und vorliegend sachgerecht. Neben der hier nicht zu entscheidenden Frage, ob die Grundleistungen fortzuschreiben sind, besteht zwischen den Beteiligten Streit allein darüber, ob der Antragsteller dem Grunde nach einen Anspruch auf Analog-Leistungen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).