Sozialgericht Kassel – Urteil vom 18.09.2019 – Az.: S 12 AY 20/19

URTEIL

In dem Rechtsstreit

 

  1. xxx, xxx,
  2. xxx, wohnhaft wie vor,
  3. xxx, wohnhaft wie vor,
  4. xxx, wohnhaft wie vor,
  5. xxx, wohnhaft wie vor,
  6. xxx, wohnhaft wie vor,
  7. xxx, wohnhaft wie vor,

zu 3) – 7) vertreten durch ihre Eltern, die Kläger zu 1) und 2),

Kläger,

 

Prozessbevollm.: zu 1) -7):

Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Werra-Meißner-Kreis, vertreten durch den Kreisausschuss Fachdienst Recht 3.1, Schlossplatz 1, 37269 Eschwege,

Beklagter,

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2019 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx sowie die ehrenamtlichen Richter Herr xxx und Frau xxx für Recht erkannt:

 

  1. Der Bescheid vom 17. August 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2019 wird abgeändert.

  2. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern jeweils für den Leistungszeitraum vom 1. Dezember bis 26. Dezember 2017 unter Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen, Leistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren, den Klägern zu 1) und 2) auf der Grundlage eines persönlichen monatlichen Bedarfs von jeweils 322,00 €, den Klägern zu 3) bis 6) auf der Grundlage eines persönlichen Bedarfs von monatlich jeweils 245,00 € und der Klägerin zu 7) auf der Grundlage eines persönlichen Bedarfs von 217,00 €.

  3. Der Beklagte hat den Klägern die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

  4. Die Berufung wird zugelassen.

TATBESTAND

Zwischen den Beteiligten ist mit der am 29. März 2019 erhobenen Klage die Höhe der Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum vom 1. Dezember 2017 bis 26. Dezember 2017 im Streit. Soweit im vorgerichtlichen Widerspruchsverfahren zusätzlich auch noch der Zeitraum vom 1. Oktober 2017 bis 30. November 2017 im Streit war und der Widerspruch, diesen Zeitraum betreffend, als unzulässig verworfen worden war, werden für diesen Zeitraum mit der vorliegenden Klage höhere Leistungen dagegen selbst nicht mehr geltend gemacht.

Insoweit richtet sich die Klage zunächst gegen den Bescheid vom 17. August 2018, mit dem den Klägern ab 1. Dezember 2017 Leistungen nach dem AsylbLG gewährt worden waren und zwar konkret bis 26. Dezember 2017 solche noch nach § 3 AsylbLG und dann ab dem 27. Dezember 2017 bis auf weiteres solche nach § 2 AsylbLG. Die Leistungsgewährung vom 1. Dezember bis 26. Dezember 2017 war dabei gegenüber den am 1987 und 1988 geborenen Klägern zu 1) und 2) jeweils in der Bedarfsstufe 2 auf der Grundlage von Bedarfen nach § 3 Abs. 1 und § 3 Abs. 2 AsylbLG in Höhe von jeweils monatlich 318,00 € (122,00 € +196,00 €) erfolgt, hinsichtlich deren 5 Kinder, den 2006, 2008 und 2011 geborenen Klägern zu 3), zu 4), zu 5) und zu 6) auf der Grundlage von entsprechenden Bedarfen nach der Bedarf Stufe 5 in Höhe von jeweils monatlich 242,00 € (83,00 € +159,00 € und hinsichtlich der 2017 geborenen Klägerin zu 7) auf der Grundlage entsprechender Bedarfen nach der Stufe 6 in Höhe von monatlich 214,00 € (79,0 € +135,00 €).

Gegen den Bescheid vom 17. August 2018 bzw. die diesen zunächst vorausgegangene bereits faktische Leistungsgewährung hatten die Kläger dann durch ihren Prozessbevollmächtigten mit Eingang am 22. August 2018 Widerspruch eingelegt und insoweit eine zu niedrige Leistungsgewährung geltend gemacht, da diese nicht fortgeschrieben worden sei. Insoweit sei die Höhe der Beträge bereits mit Art. 3 des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren mit Wirkung zum 17. März 2016 festgelegt worden. Die gesetzlich vorgeschriebene Fortschreibung dieser Beträge sei offensichtlich weder zum 1. Januar 2017 noch zum 1. Januar 2018 bei der Berechnung der Leistungen berücksichtigt worden. Dies obwohl entsprechend den gesetzlichen Vorgaben die Fortschreibung der Regelsätze in den Jahren, in denen die Regelsätze nicht auf der Grundlage einer neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe gemäß § 28 Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) neu festgesetzt würden, die Fortschreibung auf Basis eines Mischindexes aus regelbedarfsrelevanten Preisen und der Nettolohn- und Nettolohngehaltsentwicklung je Arbeitnehmer erfolge. Berechnet werde diese Entwicklung auf Basis der Indexwerte für den Zeitraum Juli 2016 bis Juni 2017 im Vergleich zu den Indexwerten für den Zeitraum Juli 2015 bis Juni 2016. Die Entwicklung der regelbedarfsrelevanten Preise haben nach Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) im hier streitigen Zeitraum + 1,3% betragen. Dieser vom statistischen Bundesamt ermittelte Index berücksichtige ausschließlich die Preisentwicklung der regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu Leistungen nach dem AsylbLG sei der Gesetzgeber verpflichtet, bis zur Neuermittlung der Regelbedarfe nach § 3 AsylbLG die Ermittlung der Regelbedarfe entsprechend der Veränderungsrate des Mischindexes nach § 138 sowie § 28a SGB XII fortzuschreiben. Folgerichtig ergebe sich somit die notwendige Fortschreibung der Regelbedarfe des § 3 AsylbLG, dem der Gesetzgeber mit § 3 Abs. 4 AsylbLG Rechnung getragen habe. Danach sei der Geldbetrag für alle notwendigen persönlichen Bedarfe nach Abs. 1 S. 8 sowie der notwendige Bedarf nach Abs. 2 S. 2 jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII i.V.m. der Verordnung nach § 40 S. 1 Nr. 1 SGB XII fortzuschreiben. Die sich dabei ergebenden Beträge seien jeweils bis unter 0,50 € abzurunden sowie von 0,50 € an aufzurunden. Das BMAS gebe jeweils spätestens bis zum 1. November eines Kalenderjahres die Höhe der Bedarfe, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend seien, im Bundesgesetzblatt (BGBl) bekannt. Hier sei die im Gesetz vorgesehene Bekanntgabe der Erhöhung im BGBl zwar unterblieben. Dies ändere aber nichts an der Pflicht des Beklagten, die Erhöhung entsprechend der gesetzlichen Regelung durchzuführen. Die Erhöhung selbst sei durch das Gesetz centgenau vorgegeben. Die Bekanntgabe der Erhöhung im BGBl habe dabei lediglich eine deklaratorische Funktion, die im Einzelfall das eigene errechnen der Erhöhung erspare und allenfalls als Arbeitshilfe diene, aber keine Auswirkungen auf den Anspruch als solchen habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2019 wies das Regierungspräsidium Kassel als zuständige Widerspruchsbehörde den von den Klägern eingelegten, hier den verbliebenen streitigen Zeitraum vom 1. Dezember 2017 bis 26. Dezember 2017 betreffend und insoweit hinsichtlich des Bescheides vom 17. August 2018 als unbegründet zurück.

Dabei wurde ausgeführt, dass § 3 AsylbLG in seinen Abs. 4 und 5 zwar Regelungen zur Fortschreibung der Geldbeträge bzw. der Bedarfe jeweils zum 1. Januar eines Jahres sowie zur Neufestsetzung im Fall des Vorliegens der Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe beinhalte, doch seien die Leistungssätze der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG dann seit dem 17. März 2016 tatsächlich nicht mehr geändert worden. Nachdem der Bundesrat dem Entwurf für ein Drittes Gesetz zur Änderung des AsylbLG, das die Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 hätte berücksichtigen sollen, nicht zugestimmt habe, habe in Ermangelung einer gesetzlich vorgegebenen Neufestsetzung der Grundleistungen durch ein Bundesgesetz für die ab 1. Januar 2017 zu gewährenden Leistungen auch keine Fortschreibung der Leistungssätze nach § 3 Abs. 4 AsylbLG zu erfolgen gehabt. Dies gelte auf ausdrückliche Nachfrage des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration auch weiterhin und auch in Kenntnis des Urteils des Sozialgerichts Stade vom 13. November 2018, S 19 AY 15/18. Die Rechtsauffassung des Sozialgerichts Stade, dass die Leistungsbehörden eine Fortschreibung der Leistungssätze des AsylbLG auch ohne Bekanntgabe aktueller Leistungssätze durch das BMAS vorzunehmen hätten, decke sich insoweit nicht mit der Auffassung der Bundesregierung. Die Gebietskörperschaften, denen nach § 1 der Verordnung zur Durchführung des AsylbLG die Durchführung des AsylbLG zur Erfüllung nach Weisung übertragen worden sei, seien insoweit gehalten, den Anweisungen der übergeordneten Behörden Folge zu leisten.

Die Kläger haben sodann durch ihren Prozessbevollmächtigten am 29. März 2019 Klage vor dem Sozialgericht in Kassel erhoben, mit der sie unter Abänderung der angefochtenen Bescheide eine Verurteilung des Beklagten im Zeitraum vom 1. Dezember bis 26. Dezember 2017 unter Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen den Klägern zu 1) und 2) gegenüber auf der Grundlage eines notwendigen und persönlich notwendigen monatlichen Bedarfs von jeweils 322,00 €, den Klägern zu 3) – 6) gegenüber auf der Grundlage eines notwendigen und persönlich notwendigen Bedarfs von monatlich jeweils 245,00 € und der Klägerin zu 7) gegenüber auf der Grundlage eines notwendigen und persönlich notwendigen Bedarfs von 217,00 € geltend machen.

Sie führen aus, dass, soweit die im Gesetz vorgesehene Bekanntgabe der Erhöhung im BGBl unterblieben sei, dies nichts an der Pflicht des Beklagten ändere, die Fortschreibung entsprechend der gesetzlichen Regelung durchzuführen. Dies deshalb, weil die Bekanntgabe der Erhöhung im BGBl lediglich eine deklaratorische Funktion habe, die im Einzelfall das eigene Errechnen der Erhöhung erspare und allenfalls als Arbeitshilfe diene, aber keine Auswirkungen auf den Anspruch als solchen habe. Insoweit sehen sich die Kläger nicht nur durch das o.a. Urteil des Sozialgerichts Stade, sondern auch weitere Beschlüsse des Sozialgerichts Stade vom 6. März 2019, S 19 AY 1/19 ER und des Sozialgerichts Bremen vom 20. März 2019, S 39 AY 95/18 ER bestätigt. Die Fortschreibung selbst sei nämlich durch das Gesetz genau vorgegeben. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylbLG werde der Geldbetrag für alle notwendigen persönlichen Bedarfe nach § 3 Absatz 1 S. 8 AsylbLG sowie der notwendige Bedarf nach § 3 Abs. 2 S. 2 AsylbLG jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII i.V.m. der Verordnung nach § 40 S. 1 Nr. 1 SGB XII fortgeschrieben. Die Höhe des so fortgeschriebenen Geldbetrages ergebe sich damit aus der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der jeweiligen Fortschreibungsverordnung selbst, ohne dass es eines Umsetzungsaktes bedürfe. Auch wenn das BMAS die Höhe der Bedarfe, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend seien, im BGBl bekannt zu geben habe, ändere dies nichts daran, dass der Wert der fortzuschreiben Grundleistungen und damit auch der Anspruch auf die höheren Leistungen bereits mit Veröffentlichung der maßgeblichen Fortschreibungsverordnung verpflichtend sei. Würden die Regelbedarfs nach § 28 SGB XII neu ermittelt, würden diese gemäß § 29 SGB XII als neu festgesetzte Regelsätze (Neufestsetzung) gelten, solange die Länder keine abweichende Neufestsetzung vornehmen würden. S. 1 gelte entsprechend, wenn die Regelbedarfe nach § 28a SGB XII fortgeschrieben würden. Solange also die Regelbedarf nicht nach § 28a SGB XII fortgeschrieben würden, gelte die bisherige Fortschreibungsverordnung bzw. Fortschreibungstrennungsrate weiter. Dementsprechend bestimme sich die Veränderungsrate für den Wert der Grundleistungen für 2017 hier nach der Regelbedarfsstufen Fortschreibungsverordnung 2016, da es für 2017 keine Fortschreibungsverordnung gegeben habe. Die Erhöhung für 2017 habe daher um 1,24% nach der Regelbedarfsstufen Fortschreibungsverordnung 2016 zu erfolgen, woraus sich hier für die Erwachsenen, eine Bedarfsgemeinschaft bildenden Kläger zu 1) und 2) als Eltern der Kläger zu 3) bis 7) monatliche notwendige und persönlich notwendige persönliche Bedarfe im streitigen Zeitraum in Höhe von jeweils monatlich 322,00 € ergäben, für die Kläger zu 3) – 6) solche in Höhe von jeweils monatlich 245,00 € sowie für die Klägerin zu 7) i.H.v. 217,00 €. Auch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen vertrete schließlich in einem Beschluss vom 1. November 2018, L 8 AY 32/18 B ER in einem obiter dictum dieselbe Rechtsauffassung. Letztlich enthielten § 3 Abs. 4 und § 3 Abs. 5 AsylbLG auch 2 verschiedene Möglichkeiten der Teuerungsanpassung, nämlich nach Abs. 4 die Fortschreibung und nach Abs. 5 die Neufestsetzung. Für die Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG bedürfe es mithin gerade keiner Neufestsetzung nach § 3 Abs. 5 AsylbLG. Zu verweisen sei in diesem Zusammenhang auch auf das Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012,1 BvL 10/10, das insoweit zur damaligen Rechtslage ausführe, dass der Gesetzgeber bereits im Jahr 1993 selbst einen Anpassungsmechanismus vorgesehen gehabt, der Verordnungsgeber diesen aber nie umgesetzt habe. 1993 habe der Gesetzgeber in § 3 Abs. 3 AsylbLG bestimmt, dass die Leistungssätze regelmäßig an die Lebenshaltungskosten anzugleichen seien. Das BMAS hätte danach mit dem BVerfG im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesminister der Finanzen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Beiträge nach § 3 Absatz 1 S. 4 und § 3 Abs. 2 S. 2 AsylbLG jeweils zum 1. Januar eines Jahres neu festsetzen müssen, wenn und soweit dies unter Berücksichtigung des tatsächlichen Lebenshaltungskosten erforderlich gewesen sei, was dann in der Folgezeit trotz des allgemeinen Preisanstiegs nicht geschehen sei. Die seitens des BVerfG im vorgenannten Urteil als gegen die Menschenwürde erachteten und insoweit als verfassungswidrig angesehenen seinerzeitigen Leistungssätze des § 3 AsylbLG seien insoweit gerade deshalb als verfassungswidrig angesehen worden, weil sie von 1993 – 2012 nie erhöht worden seien. Gerade um eine solche fast 20 Jahre währende Nichtanpassung der Leistungen an die Teuerung zu vermeiden, sei dann in der im streitigen Zeitraum noch gültigen Fassung des § 3 AsylbLG zum einen das umständliche Einvernehmen von 3 Bundesministerien und die Zustimmung des Bundesrates abgeschafft worden, zum anderen sei bewusst das Erfordernis einer Rechtsverordnung abgeschafft und durch eine konkrete gesetzliche Anbindung an die Fortschreibung der Leistung des SGB XII ersetzt worden. Es komme daher für die Fortschreibung der Leistungen weder auf eine Neufestsetzung der Leistungen nach § 3 Abs. 5 AsylbLG an noch auf eine durch das BMAS zu erlassende Verordnung. Die Fortschreibung sei stattdessen qua Gesetz durch den Beklagten durchzuführen. Die im Klageverfahren geäußerte Ansicht des Beklagten, dass die Wirksamkeit der Fortschreibung von der Bekanntgabe durch das BMAS abhänge, sei auch mit dem insoweit in Bezug genommenen Aufsatz, einer Anmerkung zum Urteil des Sozialgerichts Stade vom 13. November 2018, weder mit Blick auf den Wortlaut der Norm noch gesetzessystematisch nachvollziehbar. Hiernach solle die Bekanntgabe wegen ihrer Vergleichbarkeit mit der Verkündung eines Gesetzes für den Rechtsetzungsakt unerlässlich sein. Wäre durch den Gesetzgeber allerdings gewollt, dass die Gültigkeit der Fortschreibung von einer Entscheidung des BMAS abhänge, so wäre dies als Verordnungsermächtigung im Sinne des Art. 80 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ausgestaltet worden. Dies hätte der Gesetzgeber durch die Verwendung des entsprechenden Vokabulars zum Ausdruck gebracht, was sich bereits aus dem Umkehrschluss aus § 40 Abs. 1 SGB XII ergebe, den der vorgenannte Besprechungsaufsatz in Bezug nehme. Auch dass die Bekanntgabe nach § 3 Abs. 4 S. 3 AsylbLG keinen eigenen Regelungsgehalt habe, wenn die Bekanntgabe keine Wirksamkeitsvoraussetzung sei, sei kein Argument, eine solche anzunehmen. Die Bekanntgabe diene der Vereinfachung und Vereinheitlichung der organisatorischen Prozesse, da nicht jede zuständige Kommune die Berechnung selbst vornehmen müssen solle und habe damit Regelungsgehalt. Auch der Verweis auf den Vorrang des Gesetzes stelle kein Argument für die Annahme einer Wirksamkeitsvoraussetzung durch die (nicht erfolgte) Bekanntgabe dar. Die wesentliche Entscheidung über die Fortschreibung, dass hieße die inhaltliche Berechnungsgrundlage, habe der Gesetzgeber centgenau getroffen. Nach grundrechtskonformer Auslegung sei die Anpassung der Bedarfe an steigende Preise im Hinblick auf das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1 i.V.m. Art. 20 GG, wie sich aus dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 ergebe, eine gesetzgeberische Pflicht. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein Existenzminimum nach Art. 1, 20 GG hinge dann von einer einfachen Exekutiventscheidung ab, ohne dass das BMAS nach Art. 80 Abs. 1 GG entsprechend ermächtigt wäre, einen solchen Eingriff durch Nichthandeln vorzunehmen. Unabhängig vom ohnehin eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 4 Satz AsylbLG sei daher auch bei einer grundrechtskonformen Auslegung der Norm die Bekanntgabe keine Voraussetzung für die Anwendung der Fortschreibungsvorschrift. Dies ergebe sich letztendlich sogar aus der Argumentation des Aufsatzes selbst, der sogar von einer Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG und damit der Verfassungswidrigkeit der Regelung ausgehe. An der Rechtsauffassung der Kläger ändere sich auch nichts durch den zulet
zt vom Beklagten in Bezug genommenen Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Juli 2019, S 28 AY 48/19 ER und ebenfalls nichts dadurch, dass inzwischen das zum 1. September 2019 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des AsylbLG auch die Bedarfssätze der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG neu festsetze, selbst wenn diese Leistungen erheblich unter denen blieben, die bei einer Fortschreibung der Regelbedarfe seit 2017 im Jahr 2019 zu bezahlen wären. Die wesentliche Entscheidung über die Fortschreibung, dass hieße die inhaltliche Berechnungsgrundlage, habe der Gesetzgeber nämlich centgenau getroffen. Die Rechtslage ab dem 1. September 2019 habe für den vorliegend streitigen Zeitraum ersichtlich keine Relevanz. Insoweit haben sich die Kläger in ihrer Rechtsauffassung zuletzt dann auch nur durch das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 23. Mai 2019, L 8 AY 49/18 und den Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg (Oldenburg) vom 12. Juli 2019, S 26 AY 18/19 ER ausdrücklich bestätigt gesehen, auf die die Kammer in der mündlichen Verhandlung über die weitere im Sinne der Kläger ergangene sozialgerichtliche Rechtsprechung hinaus hingewiesen hat.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid vom 17. August 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2019 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern zu 1) und 2), jeweils für den Zeitraum vom 1. Dezember 2017 bis 26. Dezember 2017, Asylbewerberleistungen auf der Grundlage eines persönlichen Bedarfs von monatlich jeweils 322,00 €, den Klägern zu 3) bis 6) für den Zeitraum vom 1. Dezember 2017 bis 26. Dezember 2017 auf der Grundlage eines monatlichen persönlichen Bedarfs in Höhe von jeweils 245,00 € und der Klägerin zu 7) für den Zeitraum vom 1. Dezember 2017 bis 26. Dezember 2017 auf der Grundlage eines monatlichen persönlichen Bedarfs in Höhe von 217,00 € zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält an den angefochtenen Bescheiden u.a. unter Verweis auf die o.a. Urteilsbesprechung und den insoweit ebenso in Bezug genommenen Beschluss des Sozialgerichts Hamburg fest. Dass der Gesetzgeber gerade bei der von Verfassungs wegen zwingend erforderlichen verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums eine für die jährliche Fortschreibung der Geldbeträge unnötige Regelung über die Bekanntgabe der im jeweiligen Jahr maßgebenden Leistungsgesetze treffe, könne nicht ernsthaft vertreten werden. Stattdessen sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die förmliche Bekanntmachung der vom BMAS vorzuschreibenden Leistungssätze im BGBl als unverzichtbare Voraussetzung für deren Gültigkeit und rechtliche Allgemeinverbindlichkeit ansehe. Insoweit richte sich die von den Klägern in Bezug genommene Verpflichtung allein gegen das BMAS selbst. Zwar habe es das BMAS entgegen dieser gesetzlichen Verpflichtung bisher unterlassen, die Leistungen nach dem AsylbLG seit dem 1. Januar 2017 entsprechend anzupassen, weil der Bundesrat dem im Herbst 2016 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Dritten Gesetz zur Änderung des AsylbLG vom 16. Januar 2016, mit dem die Höhe der Geldbeträge für die Zeit ab 1. Januar 2017 hätte neu festgesetzt werden sollen, nicht zugestimmt habe. Insofern habe mit dem Sozialgericht Hamburg in Ermangelung einer gesetzlichen Neufestsetzung aus rechtlichen Gründen für die Zeit ab dem 1. Januar 2017 eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG nicht erfolgen können. Im Hinblick auf das vom Gesetzgeber in § 3 Abs. 4 AsylbLG so ausgestaltete Verfahren der Fortschreibung seien die Gerichte mit dem Sozialgericht Hamburg insoweit weder berechtigt, die Geldbeträge nach dem AsylbLG der Höhe nach selbst zu bestimmen noch die zuständige Behörde zu deren Anwendung zu verpflichten. Dies sei allein Aufgabe des BMAS im Rahmen seiner ihm durch § 3 Abs. 4 AsylbLG zugeschriebenen legislativen Kompetenz und nicht Aufgabe der mit der Durchführung des AsylbLG betrauten Behörden oder der zuständigen Sozialgerichte.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte insgesamt; ebenso wird Bezug genommen auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, deren wesentlicher, den vorliegenden Rechtsstreit betroffener Inhalt gleichfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht vor dem zuständigen Gericht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist auch begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, soweit den Klägern mit diesen im streitigen Zeitraum Leistungen nach § 3 AsylbLG ohne die von ihnen geltend gemachte Fortschreibung/Leistungsanpassung nach Abs. 4 Satz 1 und 2 bewilligt worden sind. Insoweit sind den Klägern jeweils für den hier allein streitigen Leistungszeitraum vom 1. Dezember bis 26. Dezember 2017 unter Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen, Leistungen nach § 3 AsylbLG zu gewähren, den Klägern zu 1) und 2) auf der Grundlage eines – sich aus notwendigem persönlichen Bedarf nach § 3 Abs. 1 AsylbLG und notwendigem Bedarf nach § 3 Abs. 2 AsylbLG zusammensetzenden – persönlichen monatlichen Bedarfs von jeweils 322,00 € statt von bisher allein 318,00 €, den Klägern zu 3) bis 6) auf der Grundlage eines im vorgenannten Sinne persönlichen Bedarfs von monatlich jeweils 245,00 € statt von bisher allein 242,00 € und der Klägerin zu 7) auf der Grundlage eines in diesem Sinne persönlichen Bedarfs von 217,00 € statt von bisher allein 214,00 €. Dies auf der Grundlage des die Kammer insgesamt überzeugenden, rechtlich durchgreifenden Vorbringens der Kläger, dem die Kammer nicht zuletzt mit der bereits von den Klägern zitierten weiteren sozialgerichtlichen Rechtsprechung auch nach eigener Überprüfung und Überzeugung insgesamt folgt.

Dies aus den weiteren o.a. Ausführungen der Kläger heraus auch im Nachgang zum weiteren Vorbringen des Beklagten, der von diesem zitierten Besprechung zum o.a. Urteil des Sozialgerichts Stade vom 13. November 2018 (Hohm in ZFSH SGB, 2019, 68ff) und auch entgegen dem Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Juli 2018. Insoweit macht sich die Kammer die entsprechenden rechtlichen Ausführungen der Kläger zu alledem unter weiterer Bezugnahme auf die von den Klägern in Bezug genommene sozialgerichtliche Rechtsprechung zu Eigen, nimmt vollinhaltlich hierauf Bezug und sieht insoweit nach eigener Prüfung und Überzeugung analog § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren diesbezüglichen Begründung ab.

Mit Frerichs (in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 180.5 ff) steht insoweit auch nach Auffassung der Kammer einer Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AsylbLG nämlich die fehlende Bekanntgabe durch das BMAS nach § 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG nicht entgegen. Dies mit Frerichs und der von diesem zitierten Rechtsprechung deshalb als anders als bei der Fortschreibung der Regelbedarfssätze nach § 28a SGB XII, bei der die Anlage zu § 28 SGB XII um die neuen Regelbedarfsstufen durch Verordnung zu ergänzen ist, § 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG eine bloße Bekanntgabe der neuen Bedarfe durch das BMAS im BGBl vorsieht und diese Bekanntgabe weder ein förmliches Gesetz noch ein sonstiges materielles Gesetz betrifft und mangels Zuständigkeit des Bundes für die Ausführung des AsylbLG noch nicht einmal den Rang einer die Leistungsbehörden bindenden Verwaltungsvorschrift hat, ihr also ein rein informatorischer Charakter zum Zwecke der einheitlichen Rechtsanwendung mit deklaratorischer Bedeutung zukommt.

Wenn das Sozialgericht Oldenburg (Oldenburg) mit Beschluss vom 12. Juli 2019 (S 26 AY 18/19 ER, juris) insoweit weiter ausführt, dass sich, auch soweit der Gesetzgeber entsprechend seinem eigenen in § 3 Abs. 5 AsylbLG vorgesehenen gesetzgeberischen Programm die Leistungssätze nach Auswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe – EVS – 2013 nicht – wie im SGB II und SGB XII für 2017 geschehen – neu festgesetzt habe, hieraus nichts Anderes ergebe und es solange der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Ermittlung neuer Bedarfssätze nicht nachkomme, bei der Regelung des § 3 Abs. 4 AsylbLG verbleibe, ist dem mit der Kammer nichts hinzuzufügen. Dies deshalb, weil mit dem Sozialgericht Oldenburg und der von diesem zitierten weiteren sozialgerichtlichen Rechtsprechung auch nach Auffassung der Kammer nur durch eine solche Auslegung, die dem Wortlaut des Gesetzes entspreche, eine offensichtlich verfassungswidrige Unterdeckung des Bedarfs vermieden werde und auch dann, wenn eine Neufestsetzung der Bedarfssätze durch den Gesetzgeber grundsätzlich vorrangig anzuwenden wäre, die Anwendung der (auch) gesetzlich normierten Fortschreibungsregelung solange nicht versperrt bleibe, solange der Gesetzgeber seiner Aufgabe nach § 3 Abs. 5 AsylbLG nicht nachkomme.

Dies mit der Folge, dass sich aus § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG i.V.m. § 1 der Verordnung zur Bestimmung des für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach den §§ 28a und 134 SGB XII maßgeblichen Prozentsatzes sowie zur Ergänzung der Anlage zu § 28 des SGB XII (RBSFV) für das hier nicht streitbefangene Jahr 2018 (BGBl. I 2017, 3767) eine Veränderungsrate i.H.v. 1,63 % und für das ebenfalls nicht streitbefangene Jahr 2019 eine Veränderungsrate i.H.v. 2,02 % (§ 1 RBSFV 2019, BGBl. I, 2018, 1766) ergäbe.

Für das hier streitbefangene Jahr 2017 ist sodann zwar auch mit den Klägern keine Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung erlassen worden. Insoweit ist jedoch mit diesen und der von ihnen zitierten Rechtsprechung die RBSFV 2016 analog anzuwenden. Für eine Analogie spricht dabei mit dem Sozialgericht Oldenburg (wie vor), dass insoweit eine planwidrige Lücke bestehe, die durch die analoge Anwendung der Verordnung angemessen ausgefüllt werden könne. Der Gesetzgeber sei nämlich bei Erlass des § 3 AsylbLG i.d.F. vom 11. März .2016 davon ausgegangen, dass eine dynamische Anpassung jährlich erfolgen werde, indem entweder die Bedarfssätze anhand der im Rahmen des SGB XII erlassenen Fortschreibungsverordnung fortgeschrieben würden oder er in allen drei Grundsicherungssystemen die Bedarfssätze nach Auswertung einer neu vorliegenden EVS neu festschreibe. Den Fall, dass in einem Grundsicherungssystem – wie hier dem AsylbLG, das sich ausweislich des § 3 Abs. 4 und Abs. 5 AsylbLG eng an dem System des SGB XII anlehne – trotz Vorliegens einer EVS keine gesetzliche Neufestsetzung der Bedarfe erfolge, habe der Gesetzgeber nicht bedacht und entsprechend nicht geregelt. Zwar sei die RBSFV 2016 nach ihrem Wortlaut für das Jahr 2016 (zum 1. Januar 2016) anzuwenden. Die bestehende Interessenlage sei jedoch vergleichbar. Die RBSFV 2016 sei erlassen worden, um eine dynamische Anpassung der Leistungssätze, auch ohne Neufestsetzung der Bedarfssätze durch den parlamentarischen Gesetzgeber, zu erreichen.

Auch dem schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung und Überzeugung an.

Für das Jahr 2017 war danach eine Erhöhung der jeweiligen Regelbedarfe um 1,24% vorzunehmen, was unter Berücksichtigung der o.a. Rundungsvorschriften im Falle der Kläger zu 1) und 2) zu einem Regelbedarf von 322,00 € führt (318,00 € + [318 : 100 x 1,24]), im Falle der Kläger zu 3) bis 6) zu einem solchen von 245,00 € (242,00 € + [242 : 100 x 1,24]) und im Falle der Klägerin zu 7) zu einem solchen von 217,00 € (214,00 + [214 : 100 x 1,24]).

Der Klage war nach alledem antragsgemäß stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt § 193 SGG.

Nachdem der Beschwerdewert 750 € nicht übersteigt und auch keine Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit sind, hat die Kammer die Berufung wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.