Durch die Corona-Krise gibt es deutlich mehr häusliche Gewalt – Hilfestellung in akuten Fällen

Allerorts hören wir, dass es zu deutlich mehr häuslicher Gewalt kommt: Durch Ausgangseinschränkungen und Arbeit im Homeoffice sind sehr viele Menschen plötzlich auf beengtem Raum zu Hause; viele davon sind in großer, existenzieller Sorge. Nöte und Isolation steigern den Stress zu Hause und führen häufig zu vermehrten Aggressionen. Solche Entwicklungen wurden bereits aus China, Frankreich, Spanien und Italien berichtet, wo es während der #Corona-Isolation dreimal so viele Fälle von häuslicher Gewalt gab. Auch in Deutschland gibt es erste Hinweise auf vermehrte häusliche Gewalt.

Eines der großen Probleme ist, dass die Betroffenen kaum an Unterstützung und Hilfe kommen, sei es durch Beratungsstellen oder auch durch Rechtsanwält*innen. Sie sind häufig rund um die Uhr mit dem Täter oder Täterin zusammen, können permanent kontrolliert werden und können nicht einmal ungestört telefonieren oder schreiben.

Wir sind Rechtsanwältinnen, die häufig Mandant*innen in Fällen häuslicher Gewalt vertreten und haben hier einmal in Kürze einige wichtige Anlaufstellen und Möglichkeiten aufgeschrieben, die wir für wichtig halten.

Die folgende Übersicht soll eine erste Hilfestellung in akuten Fällen von häuslicher Gewalt und Gewalt im sozialen Nahraum für Betroffene sein sowie Angehörigen und Nachbar*innen von Betroffenen wichtige Informationen zur Unterstützung liefern.

Es gibt im Netz bereits sehr hilfreiche ausführliche Informationen in verschiedenen Sprachen u.a. bei

https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/
https://www.hilfetelefon.de/
https://www.big-berlin.info/
https://beauftragter-missbrauch.de/hilfe/hilfetelefon

Hier soll nur kurz auf die wichtigsten sofortigen Möglichkeiten im Fall akuter Gewalt im sozialen Nahraum hingewiesen werden. Die Übersicht ersetzt keine anwaltliche Beratung und ist keineswegs abschließend.

Wichtig: Die meisten Beratungsstellen sind weiterhin per Telefon oder E-Mail zu erreichen. Auch Rechtsanwält*innen arbeiten weiter und können meist telefonisch und/oder per E-Mail kontaktiert werden. Die Familiengerichte und Strafgerichte arbeiten zwar sehr eingeschränkt, Eilanträge werden aber zu jeder Zeit bearbeitet und können entweder persönlich oder über Rechtsanwält*innen gestellt werden.

Für Betroffene ohne finanzielle Möglichkeiten gibt es die Möglichkeit, Beratungshilfe beim Amtsgericht des Wohnortes zu bekommen. Da die Amtsgerichte derzeit aber meist nur schriftliche Anträge annehmen, dauert dies häufig lange. Wir gehen davon aus, dass die meisten auf häusliche Gewalt spezialisierten Rechtsanwält*innen wegen der Frage der Bezahlung der Beratung eine Lösung mit den Betroffenen finden werden; es ist also sinnvoll nachzufragen, auch wenn gerade kein Geld gezahlt werden kann.

Erste Hilfe bei häuslicher Gewalt

Wird eine Frau Opfer von häuslicher Gewalt, weiß sie oft nicht, an wen sie sich wenden kann.

Diese Problematik wird sich in den nächsten Wochen während der Corona-Krise noch weiter verschärfen, da auch erste Zufluchtsorte innerhalb des Verwandten-, Freundes- und Bekanntenkreis wegfallen werden.

1. Unterstützung durch die Polizei: Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot, Erstattung einer Strafanzeige

Auch wenn es vielen Betroffenen schwerfällt: Es ist wichtig und sinnvoll, sich an die Polizei zu wenden. Die Polizei kann den gewalttätigen Partner der Wohnung verweisen und ein Rückkehrverbot aussprechen und so die drohende Gewalt oder ihre wiederholte Anwendung verhindern.

Wichtig: Die sog. polizeilichen Wegweisungen, also die Auflage für den Täter, erst einmal nicht in die Wohnung zurückkehren zu dürfen, sind stets zeitlich befristet (je nach regionalem Polizeigesetz ca. 10 Tage bis 2 Wochen). Insofern muss nach der ersten Wohnungszuweisung rasch darüber nachgedacht werden, wie es weitergehen kann. Ist es sicher, wenn der Täter zurückkehrt oder sollte die Betroffene weiterhin allein in der Wohnung sein? Wenn sie weiterhin nicht mit dem Täter zusammenleben kann, dann muss dringend eingeschätzt werden, ob die Wohnung sicher genug ist oder sie deshalb, weil der Täter weiß, wo sie wohnt, unsicher ist. Wenn sie sicher genug ist, dann müssen weitere Anträge bei dem zuständigen Familiengerichtgestellt werden. Wenn die Gefährdung zu groß ist, muss ein anderer Zufluchtsort gefunden werden. https://www.frauenhauskoordinierung.de/hilfe-bei-gewalt/frauenhaussuche/.

Wenn die Polizei eingeschaltet wird, erstattet diese von Amts wegen, also selbständig, Strafanzeige, oder die Betroffene stellt selbst eine Strafanzeige. Dies ist in den meisten Fällen auch für die familiengerichtlichen Verfahren sinnvoll, denn dann werden die Angaben der Betroffenen ernster genommen, als wenn es keine Strafanzeigen gibt. Meist wird die betroffene Person zunächst kurz befragt und dann später zu einer Vernehmung geladen oder aufgefordert, schriftlich den Sachverhalt zu schildern.

Wichtig: Bei vielen Delikten, wie etwa Körperverletzung, ist es neben der Anzeige auch noch erforderlich, einen Strafantrag innerhalb von drei Monaten zu stellen. Das geht nur schriftlich. Meist wird die Polizei deshalb noch einmal genau nachfragen – zurzeit kommt es aber womöglich zu Verzögerungen, weshalb es gut wäre, selbst noch einmal bei der Polizeidienststelle nachzufragen. Die Betroffene erhält bei Anzeigenerstattung ein Papier mit der Vorgangsnummer und der Nummer der Polizeidienststelle.

Über den Ablauf des Verfahrens, mögliche Aussageverweigerungsrechte etc. sollte sich die Betroffene dringend rechtlich bei einer Beratungsstelle oder einer Rechtsanwält*in informiere

2. Unterstützung durch Gerichte

a) Gewaltschutzverfahren

Effektiven Schutz gegen die Gewalt bietet das Gewaltschutzgesetz. Nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG) kann das Familiengericht Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt oder Nachstellung treffen. Die Betroffenen können beim Familiengericht beispielsweise ein Näherungsverbot und die Zuweisung der Ehewohnung erwirken. Ein Näherungsverbot kann etwa bedeuten, dass sich der Täter der Betroffenen nicht mehr als 50 m nähern darf, nicht bei der Wohnung, nicht bei der Arbeitsstelle etc. erscheinen darf, nicht mehr anrufen oder texten darf. Der Gewaltschutzantrag kann ohne anwaltlichen Beistand direkt bei der Rechtsantragsstelle vom Familiengericht gestellt werden.

Unserer Kenntnis nach haben die Rechtsantragstellen auch überall geöffnet, es bietet sich aber an, dort vorher anzurufen.

Es ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Tat begangen wurde oder wo die letzte gemeinsame Wohnung der Verfahrensbeteiligten lag oder wo der Antragsgegner seinen Wohnsitz hat. Die Adressen des zuständigen Familiengerichts lassen sich im Internet herausfinden. Das zuständige Gericht kann etwa bei Google unter den Stichworten: xxxstraße Familiengericht gefunden werden. Wenn die Adresse der Betroffenen gegenüber dem Täter geheim bleiben soll, ist es sinnvoll, diese nicht anzugeben. Dann muss entweder eine Adresse angegeben werden, an die die Post zugestellt werden kann, oder es muss eine Rechtsanwältin beauftragt werden, die zustellungsbefugt ist. Die Frauenhäuser sind sehr gut über die Möglichkeiten der Geheimhaltung informiert; schwierig ist es, wenn Betroffene privat Unterschlupf finden. Dann muss häufig besonders auf die Geheimhaltung hingewiesen werden.

Ein Überblick über die Schutzanträge und die Möglichkeit des Downloads der Anträge gibt es auf der Internetseite von BIG e.V.: https://www.big-berlin.info/medien/schutzantraege.

b) Sonstige familiengerichtliche Verfahren

Wohnungszuweisung

Neben der Wohnungszuweisung nach dem Gewaltschutzgesetz bestehen rechtlich auch noch andere Möglichkeiten, die Wohnung zugewiesen zu bekommen. Bei häuslicher Gewalt sind die Voraussetzungen für die Wohnungszuweisung in aller Regel auch nach der Regelung des § 1361 b BGB erfüllt.

Sorgerecht, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Umgangsrecht

Bei Trennung nach Gewalt mit gemeinsamen Kindern werden immer sehr rasch Fragen wie Aufenthaltsbestimmungsrecht, also das Entscheidungsrecht, wo sich die Kinder aufhalten, Sorgerecht, Umgangsrecht etc. wichtig. Gerade die Frage, ob und wie der andere Elternteil Umgang ausüben kann, ist wichtig, da die Gerichte grundsätzlich davon ausgehen, dass der Umgang mit beiden Elternteilen für die Kinder wichtig ist.

Es können deshalb Eilanträge bei den Familiengerichten gestellt werden, die oft noch am gleichen Tag entschieden werden. In diesen Fällen ist eine vorherige Beratung bei einer Beratungsstelle oder einer Rechtsanwält*in sinnvoll. In sogenannten Kinderschutzfällen können auch die Jugendämter Eilanträge stellen, wenn die Besorgnis besteht, dass das Kindeswohl in Gefahr ist.

Unseres Wissens nach werden Eilverfahren, die Kinder betreffen, auch zurzeit rasch bearbeitet.

Ob und inwiefern gerade Lösungen wie etwa begleiteter Umgang gefunden werden können, scheint regional sehr unterschiedlich zu sein. An vielen Orten wird gar kein begleiteter Umgang mehr durchgeführt oder angebahnt.

Kindesunterhalt, Ehegattenunterhalt

Trennen sich die Eltern von Kindern und werden die Kinder hauptsächlich von einem Elternteil betreut, steht dem betreuenden Elternteil Kindesunterhalt zu. Das andere Elternteil muss dem betreuenden Elternteil Barunterhalt zahlen. Die Höhe des Kindesunterhalts ist einkommensabhängig und bestimmt sich nach der sog. Düsseldorfer Tabelle. Die aktuelle Tabelle kann z.B. unter https://www.olg-duesseldorf.nrw.de/infos/Duesseldorfer_Tabelle/ mit Erläuterungen abgerufen werden. Wenn der unterhaltspflichtige Elternteil nicht in der Lage ist, zu zahlen oder noch nicht zahlt, sollte zunächst ein Antrag auf Unterhaltsvorschuss bei dem zuständigen Jugendamt gestellt werden. In diesen Fällen zahlt die Unterhaltsvorschusskasse erst einmal einen Teil des Unterhalts. Anträge können meist auf den örtlichen Behördenseiten abgerufen werden, in Berlin etwa unter https://www.berlin.de/sen/jugend/familie-und-kinder/finanzielle-leistungen/unterhaltsvorschuss/.

Auch der getrenntlebende Ehegatte hat Anspruch auf Zahlungen von Ehegattenunterhalt. Diesen exakt zu berechnen, ist nicht einfach. Das muss meist durch eine Rechtsanwält*in geschehen. Zurzeit werden viele Betroffene wahrscheinlich zur Überbrückung erst einmal Anträge bei dem zuständigen Jobcenter oder Sozialamt auf Grundsicherung stellen müssen. https://www.arbeitsagentur.de/datei/antrag-algii_ba015207.pdf. Da das Jobcenter, sobald es Geld auszahlt, prüfen muss, ob der getrenntlebende Ehegatte eigentlich Unterhalt zahlen müsste, schreiben sie ihn an und fordern ihn auf, sein Einkommen nachzuweisen. Deshalb ist es sehr wichtig, darauf zu achten, dass das Jobcenter die (geheime) Adresse nicht aus Versehen preisgibt.

Wichtig: Grundsätzlich besteht die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung nur dann rückwirkend, wenn derjenige, der den Unterhalt zahlen muss, zur Zahlung von Unterhalt wirksam und nachweisbar aufgefordert wurde. Also sollte vorsorglich der Ehegatte immer zur Zahlung von Unterhalt aufgefordert werden, und das sollte man etwa durch ein Einschreiben beweisen können.

3. Unterstützung durch Frauenhäuser: Unterkunft und Beratung

Von Gewalt betroffene Frauen, die nicht in ihrer Wohnung bleiben können oder wollen, finden zu jeder Tages- und Nachtzeit Schutz in Frauenhäusern. Hier erhalten sie und ihre Kinder eine Unterkunft sowie Beratung und psychosoziale Unterstützung. Eine Einschränkung gilt nur für ältere Söhne, die z.T. nicht mit ihren Müttern im Frauenhaus wohnen können.

Die Adressen von Frauenhäusern sind nicht öffentlich, um umfassenden Schutz vor Gewalt zu gewährleisten. Der Erstkontakt kann telefonisch oder über die Polizei oder Frauenberatungsstellen und Hilfetelefone hergestellt werden.

Informationen sowie eine deutschlandweite Frauenhaussuche finden sich unter:
https://www.frauenhauskoordinierung.de/themenportal/hilfesystem/frauenhaeuser/.

Hilfetelefon:
https://www.hilfetelefon.de/.

Das Hilfetelefon arbeitet mit Dolmetscher*innen zusammen, die zum Gespräch dazugeschaltet werden können, wenn die Betroffenen der deutschen Sprache nicht mächtig sind.

Big-Hotline:
https://www.big-berlin.info/.

In Berlin gibt es die Möglichkeit, über die BIG-Hotline zwischen 8:00 Uhr und 23:00 Uhr weitere Informationen zu freien Frauenhausplätzen in Berlin zu erhalten. Auch die BIG-Hotline hat die Möglichkeit der Sprachmittlung bei Sprachbarrieren.

Informationen über regionale Frauenberatungsstellen finden Sie beim Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe unter:
https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/hilfe-vor-ort.html.

4. Unterstützung durch Rechtsanwält*innen

Es ist meist sinnvoll, sich eine*n Rechtsanwalt/Rechtsanwältin vor Ort zu suchen. Auf häusliche Gewalt spezialisierte Rechtsanwält*innen haben meist den Schwerpunkt im Familienrecht und/oder Strafrecht. Sie können entweder bei den örtlichen Rechtsanwaltskammern oder im Internet gefunden werden.

Asha Hedayati, Rechtsanwältin, https://www.kanzlei-hedayati-berlin.de/
Christina Clemm, Rechtsanwältin, http://www.anwaeltinnen-kreuzberg.de/

Berlin, 3. April 2020