Verwaltungsgericht Kassel – Beschluss vom 18.06.2021 – Az.: 6 L 1138/21.KS

BESCHLUSS

In dem Verwaltungsstreitverfahren

des xxx,

Antragstellers,

bevollmächtigt:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

die Stadt Kassel,
vertreten durch den Oberbürgermeister,
Rathaus, 34117 Kassel,

Antragsgegnerin,

wegen Versammlungsrechts

hat das Verwaltungsgericht Kassel – 6. Kammer – durch

Vorsitzenden Richter am VG xxx,
Richter am VG xxx,
Richterin xxx
am 18. Juni 2021 beschlossen:

  1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 17. Juni 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juni 2021 wird wiederhergestellt.
  2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
  3. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
GRÜNDE

Der am 17. Juni 2021 gestellte Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 17. Juni 2021 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Juni 2021 (Az.: 3222-Vers 196-21) wiederherzustellen,

ist zulässig und begründet.

Die Kammer entscheidet gem. § 5 Abs. 3 S. 1 u. 2 VwGO in der Besetzung ihrer Berufsrichter ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter.

Gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet wurde (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO), die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen. Im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsakts mit dem Suspensivinteresse des Antragstellers abzuwägen. Dabei kommt es auf die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache an. Hiernach überwiegt das private Interesse, wenn der Verwaltungsakt im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist, da an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein öffentliches Interesse bestehen kann. Umgekehrt überwiegt das öffentliche Interesse, wenn der Verwaltungsakt nach summarischer Prüfung offensichtlich rechtmäßig ist und ein besonderes Vollzugsinteresse besteht. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, hat das Gericht eine unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei ist die Prüfungsdichte des Gerichts bei hoher Eingriffsintensität aufgrund der Schwere und Irreparabilität eines dem Antragsteller drohenden Nachteils zu verschärfen. Je schwerwiegender die dem Einzelnen auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme Unabänderliches bewirkt, umso weniger darf der Rechtsschutzanspruch des Einzelnen zurückstehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.01.2020 – 2 BvR 690/19, juris Rn. 16, st. Rspr.; VG Kassel, Beschl. v. 29.10.2020 – 6 L 1989/20.KS, juris Rn. 6 st. KammerRspr.).

Unter Beachtung dieses Maßstabes sind das Versammlungsverbot in Nummer 1 des Bescheides vom 15. Juni 2021 und die darauf aufbauenden Nummern 2 und 3 offensichtlich rechtswidrig.

Die Antragsgegnerin verkennt bei der Anwendung des § 15 VersG die sich aus Art. 8 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Vorgaben der Versammlungsfreiheit, die für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend ist.

1. Die Kammer geht zunächst davon aus, dass die an die Gesundheitsbehörden adressierten Vorgaben des Infektionsschutzrechts, namentlich § 28 und insbesondere § 28a Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 IfSG gegenüber den versammlungsrechtlichen Vorschriften keine Sperrwirkung entfalten (so bereits VG Kassel, Beschl. v. 17.03.2021 – 6 L 562/21.KS, juris Rn. 8; dem folgend HessVGH, Beschl. v. 19.03.2021 – 2 B 588/21, juris Rn. 6; so auch: BayVGH, Beschl. v. 21.02.2021 – 10 CS 21.526, juris Rn. 3, 14; VG München, Beschl. v. 20.02.2021 – M 13 S 21.900, juris Rn. 23). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Versammlungsbehörde – wie hier – ihre Verfügung auch mit versammlungsspezifischen Gründen, wie der Gefahr von Auseinandersetzungen mit weiteren Demonstranten, versieht.

2. Gem. § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

a) Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kann sich auch aus anderweitigen gravierenden Gefahren für hochrangige Schutzgüter wie Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) oder die Aufrechterhaltung des öffentlichen Gesundheitssystems im Falle einer Pandemie durch ein hochansteckendes Virus mit einer hohen Anzahl schwerer Erkrankungsverläufe ergeben.

b) Bei der Anwendung des § 15 Abs. 1 VersG ist stets die besondere Bedeutung der verfassungsrechtlich verankerten Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG zu beachten. Diese schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gewährleistet dabei auch ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Die Bürger sollen damit insbesondere selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.02.2011 – 1 BvR 699/06, juris Rn. 63 f.). Die Versammlungsfreiheit ist jedoch nicht vorbehaltlos gewährleistet. Vielmehr können Versammlungen unter freiem Himmel gem. Art. 8 Abs. 2 GG durch Gesetz – wie hier § 15 VersG – oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.08.2020 – 1 BvQ 94/20, juris Rn. 14, st. Rspr.). Insbesondere das Grundrecht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gehört zu solchen Rechtsgütern, welches unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit versammlungsbeschränkende Maßnahmen, worunter grundsätzlich auch Versammlungsverbote fallen, rechtfertigen kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.08.2020 – 1 BvQ 94/20, juris Rn. 16). Ein Versammlungsverbot scheidet nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aber aus, solange mildere Mittel und Methoden der Rechtsgüterkonfliktbewältigung wie versammlungsrechtliche Auflagen bzw. Beschränkungen und der verstärkte Einsatz polizeilicher Kontrollen nicht ausgeschöpft oder mit tragfähiger Begründung ausgeschieden sind (vgl. BayVGH, Beschl. v. 11.09.2020 – 10 CS 20.2063, juris Rn. 9 m.w.N.; BVerfG, Beschl. v. 04.09.2009 – 1 BvR 2147/09, juris Rn. 17.).

c) Mit Blick auf die Corona-Pandemie kommen u.a. speziell Auflagen mit der Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Mindestabstände, aber auch Beschränkungen der Teilnehmerzahl in Betracht, um eine Unterschreitung notwendiger Mindestabstände zu verhindern, zu der es aufgrund der Dynamiken in einer großen Menschenmenge oder des Zuschnitts und Charakters einer Versammlung im Einzelfall selbst dann kommen kann, wenn bezogen auf die erwartete Teilnehmerzahl eine rein rechnerisch hinreichend groß bemessene Versammlungsfläche zur Verfügung steht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.08.2020 – 1 BvQ 94/20, juris Rn. 16).

d) Eingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG kommen von vornherein aber nur in Betracht, wenn die öffentliche Sicherheit und damit zum Beispiel das Rechtsgut Leben und körperliche Unversehrtheit unmittelbar gefährdet ist, d. h. wenn der von der Versammlungsbehörde anzustellenden Gefahrenprognose konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu Grunde liegen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben; bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (BVerfG, Beschl. v. 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04, juris Rn. 17; ThürOVG, Beschl. v. 26.02.2021 – 3 EO 134/21, juris Rn. 6). Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (BVerfG, Beschl. v. 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04, juris Rn. 17). Dabei liegt, nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, die auf die Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte abgestimmt sind, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von freiheitseinschränkenden Maßnahmen bei der Behörde (BVerfG, Beschl. v. 04.09.2009 – 1 BvR 2147/09, juris Rn. 13; insgesamt zum Vorstehenden VG Kassel, Beschl. v. 17.03.2021 – 6 L 573/21.KS, juris Rn. 24 ff.).

3. Von diesen Maßstäben ausgehend erweist sich das durch die Antragsgegnerin verfügte Verbot voraussichtlich als offensichtlich rechtswidrig.

a) Das Verbot dient dem Zweck, eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern und die Grundrechte Dritter auf Leben und Gesundheit zu schützen. Hierzu soll durch das Versammlungsverbot das Infektionsrisiko reduzieren werden, indem das Zusammentreffen vieler Personen vermieden wird. Dies sind grundsätzlich legitime Ziele eines Versammlungsverbotes.

Die derzeitige Infektionslage genügt indessen isoliert nicht, um ein Verbot zu rechtfertigen. Denn eine akute Gefahr für eine Überforderung des Gesundheitssystems dürfte nicht ohne Weiteres (mehr) bestehen. Die Anzahl gemeldeter intensivmedizinisch behandelter COVID-19 Fälle ist deutschlandweit von ihrem Höchstwert 5.745 am 3. Januar 2021 derweil auf 1.061 am 17. Juni 2021 gesunken. In Hessen lag der Höhepunkt am 5. Januar 2021 mit 523 und liegt derweil, am 17. Juni 2021, bei 115 (vgl. https://www.intensivregister.de/#/aktuelle-lage/zeitreihen). Des Weiteren sind die Inzidenzwerte stark gesunken. Bundesweit beträgt die Inzidenz aktuell 12 (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html, Stand 17.06.2021) in Kassel beträgt sie aktuell 15,3 (Stadt) und 11 (Landkreis) sowie in Hessen 13,6 (vgl. https://www.kassel.de/aktuelles/aktuelle-meldungen/coronavirus.php, Stand 17.06.2021). Hinzu kommt, dass die Impfkampagne fortschreitet. Inzwischen (Stand 17.06.2021) haben mindestens 49,6 % der deutschen Bevölkerung eine Impfdosis erhalten, 28,8 % der Gesamtbevölkerung sind vollständig geimpft (https://impfdashboard.de/).

Trotz sinkender Infektionszahlen und Entspannung auf den Intensivstationen hat der Bundestag am 11. Juni 2021 aber das Fortbestehen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite für drei weitere Monate festgestellt (https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2021/kw23-de-epidemische-lage-845692). Dem entspricht es, dass das Robert Koch-Institut die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt weiterhin als hoch und die Ressourcenbelastung des Gesundheitssystems in weiten Teilen Deutschlands als sehr hoch einschätzt, so dass das öffentliche Gesundheitswesen und die Einrichtungen für die stationäre medizinische Versorgung örtlich an die Belastungsgrenze kämen. Die Dynamik der Verbreitung einiger Varianten von SARS-CoV-2 (aktuell B.1.1.7, B.1.351, P1 und B.1.617) ist nach dessen Einschätzung besorgniserregend. Diese besorgniserregenden Varianten sind in unterschiedlichem Ausmaß auch in Deutschland nachgewiesen worden. Insgesamt ist die Variante B.1.1.7 inzwischen in Deutschland der vorherrschende COVID-19-Erreger. Die Varianten, die zuerst im Vereinigten Königreich (B.1.1.7), in Südafrika (B.1.351), in Brasilien (P1) und in Indien (B.1.617) nachgewiesen wurden, sind nach Untersuchungen aus dem Vereinigten Königreich und Südafrika und gemäß Einschätzung des ECDC noch leichter von Mensch zu Mensch übertragbar. Außerdem führen sie möglicherweise zu potentiell schwereren Krankheitsverläufen. All das kann zu einer schnellen Zunahme der Fallzahlen und der Verschlechterung der Lage beitragen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, Stand 15.06.2021). Dies zeigt vor allem die Verbreitung der sog. Delta-Variante (B.1.617) in Großbritannien, welche für ein rapides Ansteigen der Infektionszahlen trotz dort weit vorangeschrittener Impfkampagne sorgt, weshalb angekündigte Lockerungen verschoben wurden (vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/grossbritannien-lockerungen-101.html, Stand 17.06.2021).

b) Diese Situation rechtfertigt dennoch derzeit kein Totalverbot einer Versammlung. Vielmehr kommen grundsätzlich mildere Maßnahmen, wie z. B. Auflagen zur Einhaltung des Mindestabstandes, zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen, Reduzierung der Teilnehmerzahl, in Betracht. Dabei kann dahinstehen, ob eine Auflage zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Freien weiterhin verhältnismäßig ist (dafür: VG Gießen, Beschl. v. 11.06.2021 – 4 L 2145/21.GI, n. v.; bestätigt durch HessVGH, Beschl. v. 11.06.2021, 2 B 1259/21 (noch) n.v. PM 13/2021; vgl. hierzu auch die öffentliche Diskussion wie z. B. unter https://www.tagesschau.de/inland/maskenpflicht-intensivmediziner-101.html, Stand 17.06.2021). Dem Verbot der Antragsgegnerin liegt jedenfalls keine taugliche Gefahrenprognose zugrunde, welche auf der Basis konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte es rechtfertigte, dass mögliche Auflagen durch den Antragsteller und die zu erwartenden Teilnehmer nicht eingehalten würden.

Sind die Erwägungen der Antragsgegnerin in Bezug auf die den Corona-Maßnahmen kritisch gegenüberstehenden Versammlungen, welche der sog. Querdenken-Bewegung zuzurechnen sind, nachzuvollziehen und begründen diese zu Recht ein Versammlungsverbot (vgl. den Beschluss vom 16.06.2021 – 6 L 1115/21.KS), so ist für die hier streitgegenständliche Gegendemonstration nicht im Ansatz dargetan, dass auch nur der Verdacht dafür bestünde, der Antragsteller und die zu erwartenden Teilnehmer würden sich an entsprechende Auflagen nicht halten. Die Antragsgegnerin hat insbesondere keine Belege dafür vorgelegt, dass sich Teilnehmer von Versammlungen am 20. März 2021, welche nicht der sog. Querdenken-Bewegung zuzurechnen waren, nicht an den Mindestabstand hielten. Selbst wenn es bei den Veranstaltungen am 20. März 2021 durch Gegendemonstranten zu etwaigen Auflagenverstößen gekommen sein sollte, mag es sich hierbei um Einzelfälle gehandelt haben. Anhaltspunkte für künftige Auflagenverstöße, weil der Antragsteller oder die zu erwartenden Teilnehmer sich strukturell nicht an etwaige Auflagen hielten, sind weder von der Antragsgegnerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Auch soweit die Antragsgegnerin ausführt, die Versammlung müsse im Gesamtzusammenhang mit allen für den 19. Juni 2021 angemeldeten Versammlungen gesehen werden, und sie insoweit wohl befürchtet, es könne zu einer „Durchmischung“ dieser Versammlungen kommen, legt sie nicht dar, warum sich die Teilnehmer der hier streitgegenständlichen Gegendemonstration nicht an etwaige Auflagen halten sollten. Außerdem bereitet sich die Polizei auf einen Großeinsatz vor, um „durch starke Polizeipräsenz und umfangreiche Maßnahmen das Entstehen verbotener Versammlungen von Beginn an zu verhindern oder diese so frühzeitig wie möglich aufzulösen“. Gegen Auflagenverstöße soll nun „von Beginn an“ vorgegangen werden (https://www.hna.de/kassel/proteste-gegen-querdenker-90805123.html, Stand 17.06.2021).

Die Antragsgegnerin hat in der angegriffenen Verfügung schließlich nicht im Ansatz etwas dafür dargelegt, dass die Voraussetzungen für einen polizeilichen Notstand als Verbotsgrund vorliegen. Dies gilt angesichts der hier angegebenen Teilnehmerzahl von 50 im Gegensatz zu der Versammlung der sog. Querdenken-Bewegung mit jedenfalls 3.000 erwarteten Teilnehmern sowie des angekündigten Polizeigroßeinsatzes umso mehr.

Auch auf Basis der Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung fehlt es weiterhin an einer tragfähigen Gefährdungsprognose, dass von den Gegendemonstranten ein vergleichbares Risiko wie von der sog. Querdenken-Bewegung ausgeht. Ein Totalverbot der Gegendemonstration erweist sich auch unter Beachtung dieses Vortrages jedenfalls als unverhältnismäßig.

Aufgrund vorstehender Erwägungen sind auch die Nummern 2 und 3 der Verfügung vom 15. Juni 2021 materiell rechtswidrig.

4. Das Gericht hat davon abgesehen gem. § 80 Abs. 5 S. 4 VwGO selbst Auflagen zu verfügen. Dies ist primär Aufgabe der Verwaltung. Nur in zeitbedingten Notsituationen kann das Gericht selbst Auflagen verhängen. Im Hinblick darauf, dass die Antragsgegnerin bereits in der Eingangsverfügung dazu angehalten wurde, dies vorzubereiten, kann das Gericht darauf verzichten. Dabei fällt zudem ins Gewicht, dass eine kooperative Abstimmung mit dem Antragsteller zu allen in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen, um die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem Ziel des Infektionsschutzes und des Schutzes von Leib und Leben auf der einen und der Versammlungsfreiheit auf der anderen Seite zu ermöglichen (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 17.04.2020 – 1 BvQ 37/20, juris Rn. 27), bislang nicht hinreichend erfolgt ist und der Antragsteller sich ausweislich der Antragsbegründung insoweit äußerst kooperationsbereit gezeigt hat.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 S. 1 VwGO.

6. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziffer 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine weitere Reduzierung des Streitwerts findet im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache nicht statt.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.