Tacheles Rechtsprechungsticker KW 09/2024

1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung/Bürgergeld (SGB II)

1.1 – LSG NRW, Urt. v. 25.05.2023 – L 6 AS 1306/22 – Revision beim BSG anhängig – Az.: B 7 AS 17/23 R

Ist eine Betriebsrente Einkommen oder nicht zu berücksichtigendes Einkommen (§ 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II) – Neuregelung des § 82 Abs. 4 SGB XII die Einführung eines Einkommensfreibetrages für zusätzliche Altersvorsorge

Berücksichtigung der Betriebsrente als Einkommen – Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der Regelung § 82 Abs. 4 SGB XII in Hinblick auf eine unzulässige Ungleichbehandlung bestehen nicht. (Tacheles e. V.)

Bürgergeld:
Orientierungssatz Tacheles e. V. (Urheberrechtsschutz)

1. Bei Betriebsrenten handelt es sich um zu berücksichtigendes Einkommen i. S. d. § 11 SGB II.

2. Insbesondere stellt die Betriebsrente keine Leistung i. S. d. § 11a Abs. 3 SGB II dar, § 82 Abs. 4, 5 SGB XII findet auch keine analoge Anwendung im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

3. Die Regelung des § 82 Absatz 4 und 5 SGB XII zu Freibeträgen vom Einkommen aus einer zusätzlichen Altersvorsorge im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist nicht analog anzuwenden.

4. Bestehen nach alledem nachvollziehbare Gründe, unter bestimmten Voraussetzungen von einer Anrechnung von Betriebsrenten im Bereich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung des SGB XII abzusehen, nicht aber im SGB II, ist diese Differenzierung auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) als unbedenklich anzusehen (ebenso mit Blick auf die Ungleichbehandlung innerhalb des SGB XII zwischen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung einerseits sowie der Hilfe zur Pflege andererseits SG Lüneburg, Gerichtsbescheid vom 16.10.2019, S 22 SO 112/18 – bestätigt durch LSG Niedersachsen-Bremen, v. 10.09.2020 – L 8 SO 265/19 – ; a. A. wohl Schlette in Hauck/Noftz SGB XII, Stand: 5. Erg.-Lfg. 2023, § 82 Rn. 123).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

1.2 – LSG NRW, Beschluss v. 10.11.2023 – L 21 AS 541/23 B

Die Regelsätze für 2021/2022 waren nicht evident unzureichend (so auch für 2021 LSG NRW vom 10.2.2022 – L 19 AS 1236/21 und für 2021 und 2022 LSG NRW vom 31.3.2022 – L 2 AS 330/22 B ER; zum Regelbedarf 2016/2017 vgl. Urteil des Senats vom 20.11.2020 – L 21 AS 56/20).

Bürgergeld:
Orientierungshilfe Tacheles e. V.

1. Zur Frage, ob die Pauschale in Höhe von 150 € (BSG B 4 AS 36/23 B) ausreichend war, steht in keinem Zusammenhang mit der Frage der Höhe der Regelsätze für 2021/2022.

2. Denn selbst bei einer Verfassungswidrigkeit des § 70 SGB II, der eine Einmalzahlung von 150 € für Mai 2021 vorsieht, wegen einer zu geringen Höhe des Betrags, würde daraus kein höherer Regelsatz folgen, sondern – ggf. – eine höhere Einmalzahlung. Im Übrigen hat das BSG die Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 5.7.2023 als unzulässig verworfen.

3. Auch die Tatsache, dass im 12. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen zwei Berufungen zu der Höhe des Regelbedarfs in 2021 (L 12 AS 741/23) und 2022 (L 12 AS 668/23) anhängig sind, führt nicht zu einer Erfolgsaussicht der vorliegenden Klage. Denn die bloße Anhängigkeit einer Rechtsfrage lässt keinen Schluss auf das Ergebnis ihrer Klärung und damit auf die Erfolgsaussicht der zu Grunde liegenden Klage zu.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis Tacheles e. V.:
BSG, Beschluss vom 05.07.2023 – B 4 AS 36/23 B – Nichtzulassungsbeschwerde mit Beschluss vom 5.7.2023 als unzulässig verworfen

hier: www.rechtsportal.de

Wir erinnern uns: BSG:
150 EUR Pauschale für ALG II Empfänger in der Pandemiezeit für Masken- und Hygienemehrbedarf ausreichend? Es war ein Beitrag von Thomas Eschle, Stuttgart, leider Ende 2023 verstorben, unser Beileid noch mal.

weiter auf www.anwalt.de: der Beitrag wurde inzwischen gelöscht

Rechtstipp v. Tacheles e. V.:
Thomé Newsletter 07/2024 vom 18.02.2024 – Punkt 1

1. Info des BVerfG zum Vorlageverfahren des SGB Karlsruhe zur Höhe der Regelleistungen
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Das BVerfG gibt auf Anfrage eine Zwischenmitteilung zum Vorlageverfahren des SG Karlsruhe zur Überprüfung der Verfassungskonformität der Regelsatzberechnung und Einmalzahlungen anlässlich der Covid-19-Pandemie bekannt, dass eine Entscheidung derzeit noch nicht absehbar sei. Wichtig ist daran zunächst, dass die Vorlage vom SG Karlsruhe nicht abgelehnt wurde.

1.3 – LSG NRW, Beschluss v. 04.01.2024 – L 2 AS 600/23 B

Bürgergeld:
Orientierungssatz Tacheles e. V.

1. Auf die Benennung eines persönlichen Ansprechpartners haben Leistungsberechtigte keinen subjektiven Anspruch.

2. Ein Rechtsanspruch auf eine mündliche Anhörung besteht grundsätzlich nicht.

3. Etwas anderes gilt nur dann, wenn dies aufgrund individueller Rechtsvorschriften geboten ist. Solche Vorschriften sind nicht ersichtlich. Der Gesetzgeber hat diesbezüglich zwar zwischenzeitlich im SGB II eine Verpflichtung zur persönlichen Anhörung nach § 24 SGB X in § 31a Abs. 2 SGB II normiert, diese aber ausdrücklich auf den Fall der Feststellung einer Minderung des Bürgergeldes wegen einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II begrenzt (vgl. § 31a Abs. 2 SGB II in der ab dem 01.01.2023 geltenden Fassung des Bürgergeldgesetzes vom 16.12.2022). Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

1.4 – LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. Januar 2024 – L 13 AS 395/21

Keine Grundsicherung/Bürgergeld im Ausland bei nicht genehmigter Ortsabwesenheit (Tacheles e. V.) – Ohne Erreichbarkeit kein Bürgergeld – Leistungsausschluss bei ungenehmigter Ortsabwesenheit – Gericht ordnet Rückzahlung an

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat entschieden, dass zulasten eines Grundsicherungsempfängers eine Beweislastumkehr eintreten kann, wenn dieser Behörden und Gerichte über seinen Aufenthaltsort täuscht.

weiter bei Pressemitteilung des LSG NSB vom 19.02.2024

1.5 – LSG Hamburg, Urt. v. 16.11.2023 – L 4 AS 311/22 D

Ausschluss eines Anspruchs auf Speicherung für einen Leistungsanspruch unerheblicher Daten durch den Grundsicherungsträger

Orientierungssatz
1. Bei der Entscheidung über die beantragte Berichtigung von Daten handelt es sich um einen Verwaltungsakt i. S. von § 31 SGB 10. Das für eine Klageerhebung erforderliche Rechtschutzbedürfnis ist gegeben. Ausreichend ist die Behauptung, dass gespeicherte Daten fehlerhaft seien. (Rn.38)

2. Es existiert aber keine Anspruchsgrundlage dafür, dass für einen Leistungsanspruch unerhebliche Daten beim Leistungsträger gespeichert werden. Ist dementsprechend in den Daten des Grundsicherungsträgers ein Bezug von Arbeitslosengeld 2-Daten ohne Arbeitslosigkeit nicht gespeichert, so ist ein entsprechender Anspruch auf Vermerkung des Bezugs von Leistungen der Grundsicherung ohne Arbeitslosigkeit durch den Träger der Grundsicherung ausgeschlossen. (Rn.39)

Quelle: www.landesrecht-hamburg.de

1.6 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 19.12.2023 – L 9 AS 1101/22

Bürgergeld:
Wohnen Empfänger von Bürgergeld mit Verwandten in einer Wohnung (hier die Schwester), kann der Leistungsempfänger nicht vom JobCenter verlangen, dass seine Schwester im Bewilligungsbescheid – durch einen neutralen Personenbegriff ersetzt werden (Tacheles e. V.)

Leitsätze
Das Erfordernis des Schutzes eigener subjektiver Rechte bzw. der Ausschluss von Popularklagen lassen es nicht zu, den Schutz der Rechte Dritter über eine “Drittschadensliquidation” oder einen “Drittdatenschutz” zu verfolgen.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp v. Verein Tacheles:
LSG NRW, Urt. v. 16.10.2012 – L 12 AS 2309/11 – rechtskräftig – und auch LSG Bayern, Beschluss vom 01.07.2011 – L 7 AS 461/11 B ER –

Leitsatz (Redakteur)
Die Überweisungspraxis der Bundesagentur für Arbeit verletzt nicht das Sozialgeheimnis. Die Überweisung mit dem Überweisungsvermerk “Bundesagentur für Arbeit” unter Angabe der BG-Nummer ist in dieser Kombination eine zulässige Datenübermittlung (Tacheles Rechtsprechungsticker KW 35/2020).

2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)

2.1 – SG Nordhausen, Urt. v. 21.12.2023 – S 19 AS 706/20

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung – Nichtberücksichtigung bzw Privilegierung von Schülereinkommen – § 11 b Absatz 2 Satz 2 SGB II knüpft am Bruttoeinkommen und nicht an einem schon um Absetzbeträge nach§ 1 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V 2008 bereinigten Einkommen an

Leitsatz Verein Tacheles e. V.:
alte Rechtslage!

Keine Anrechnung des Einkommens aus dem Schülerjob, denn § 11 b Absatz 2 Satz 2 SGB II knüpft am Bruttoeinkommen und nicht an einem schon um Absetzbeträge nach§ 1 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V 2008 bereinigten Einkommen an (Verein Tacheles e. V.).

Orientierungshilfe Verein v. Tacheles e. V.
1. Der gem. § 1 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V 2008 von der Einkommensberücksichtigung freigestellte Höchstbetrag für Einnahmen aus Ferienbeschäftigung betrug 1.200,00 € je Kalenderjahr. Unter Berücksichtigung des § 11 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Alg II-V 2008/4-12 dürfte es sich um eine Bruttoangabe gehandelt haben.

2. Darüber hinausgehende Bruttoeinnahmen waren nach den allgemeinen Vorschriften wie Erwerbseinkommen zu berücksichtigen.

3. Gemäß § 11 b Absatz 2 Satz 2 SGB II gilt der pauschale Absetzungsbetrag von 100 € monatlich nicht, wenn das Einkommen aus Erwerbstätigkeit mehr als 400 €beträgt und der Leistungsberechtigte nachweist, dass die Summe der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 den Betrag von 100 € übersteigt. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.

Zwar muss die Einkommensgrenze von 400 €, die erst den Nachweis höherer Aufwendung als 100 € erlaubt, allein durch Einkommen aus Erwerbstätigkeit erreicht werden (Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 11b (Stand: 07.03.2023), Rn. 50). Dies ist hier jedoch der Fall, denn § 11 b Absatz 2 Satz 2 SGB II knüpft am Bruttoeinkommen und nicht, wie das JobCenter meint, an einem schon um Absetzbeträge nach§ 1 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V 2008 bereinigten Einkommen an.

4. Aus der Gesetzessystematik lässt sich nicht ableiten, dass im Fall des besonderen Freibetrages nach § 1 Nr. 4 ALG-II-Verordnung anders zu verfahren ist als hinsichtlich der Erwerbstätigenfreibeträge gemäß § 11 b Abs.3 SGB II.

Quelle: www.landesrecht.thueringen.de

Hinweis vom Verein Tacheles e. V.:
neue Rechtslage bei Schülerjobs

Die Grenze von bis zu 2.400,00 Euro Bruttoeinnahmen wurde mit Einführung des Bürgergeldes gestrichen. Damit ist aus einem Ferienjob erlangtes Einkommen nicht zu berücksichtigen, eine Beschränkung der Höhe nach gibt es nicht mehr. Eine Differenzberechnung in Bezug zu dem die bisherige Grenze übersteigenden Einkommen ist nicht mehr erforderlich.

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

3.1 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 08.11.2023 – L 18 AL 76/23 B ER

Arbeitsförderungsrecht:
Arbeitslosen darf nach ihrem „wahren“ Lebensalter ggf erreichte Regelaltersgrenze im Rahmen der Alg-Antragstellung nicht entgegen gehalten werden, es zählt nur das Geburtsdatum! (Verein Tacheles e. V.)

Orientierungssatz Tacheles e. V.
Anspruch auf Arbeitslosengeld 1, denn es darf vom Geburtsdatum der ersten Angabe iSd § 33a Abs. 1 SGB I nicht abgewichen werden.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – LSG BB, Urt. v. 18.01.2024 – L 18 AL 65/22 – Revision zugelassen

Leitsätze
Ein Gleichstellungsanspruch nach den Artikeln 67ff. EGV 883/2004 besteht nur für Versicherungs- und Beschäftigungszeiten. Ein Gleichstellungsanspruch für sonstige Ereignisse mit rechtlicher Relevanz im zuständigen Mitgliedstaat – beispielsweise einer in einem anderen Mitgliedstaat erfolgten Arbeitslosmeldung – lässt sich nicht aus Artikel 5 EGV 883/2004 ableiten. Artikel 61 EGV 883/2004 regelt als Sonderregelung abschließend die Berücksichtigung von Beitrags- und Versicherungszeiten sowie Zeiten selbständiger Erwerbstätigkeit.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – LSG NRW, Urt. v. 17.08.2023 – L 9 SO 519/21 – Anmerkung vom Verein Tacheles e. V. – Urheberrechtlich geschützter Beitrag!

Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII – Leistungen für Unterkunft und Heizung beim Wohnen mit seinen Eltern in deren Einfamilienhaus –

Anforderungen an die Anerkennung von Aufwendungen gemäß § 42a Abs. 4 Satz 1 u. Satz 2 SGB XII

Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII:
Keine Diskriminierung von behinderten Menschen bei gesondertem Mietvertrag und die aus finanziellen Gründen (Abbruch der Ausbildung) mietfrei im Haus ihrer Eltern wohnen, so der Verein Tacheles e. V.

1. Wenn erwachsene behinderte erwerbsgeminderte Empfänger von Sozialhilfe aus finanziellen Gründen mietfrei bei ihren Eltern wohnen, können sie die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bis zu dem Betrag als Bedarf fordern, der für einen Einpersonenhaushalt angemessen ist (§ 42a Abs. 4 Satz 2 SGB XII) Hinweis Tacheles e. V.

Sozialhilfe:
Der Verein Tacheles e. V. begrüßt die Entscheidung des 9. Senats des LSG NRW, denn diese wirkt einer drohenden Diskriminierung von behinderten Menschen entgegen!

Auch volljährige geistig behinderte Menschen haben Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung beim Wohnen mit ihren Eltern in deren Einfamilienhaus oder in einer Wohnung!

Es darf keine Diskriminierung von behinderten Menschen bei der Gewährung der Kosten der Unterkunft in den JobCentern und Sozialämtern geben, so der Verein Tacheles unter der Führung von Herrn Harald Thome. Unterkunftskosten unter engen Verwandten ist kein Grund für Ungleichbehandlung, so Tacheles e. V.

Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.
1. Es ist möglich, dass auch ein Kind mit Behinderung mit seinen Eltern einen wirksamen Mietvertrag abschließt, konkret bestimmte Anteile der gesamten Wohnfläche anmietet und dadurch als Einpersonenhaushalt anzusehen ist. Nur diese Möglichkeit wirkt einer sonst drohenden Diskriminierung von behinderten Menschen entgegen (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation bereits Urteil des Senates vom 07.04.2022 – L 9 SO 139/21 – Übernahme tatsächlicher Unterkunftskosten bei gesondertem Mietvertrag im Rahmen einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft – veröffentl. im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 30/2022).

Leitsatz Tacheles e. V.
1. Ein Bezieher von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, der in einem Mehrpersonenhaushalt mit Familienangehörigen lebt, kann höhere tatsächliche Unterkunftskosten geltend machen – bis zu dem Betrag, der für einen Einpersonenhaushalt angemessen ist, sofern sie wirksame vertragliche Vereinbarungen hierüber haben und nachweisen (vgl. hierzu BSG Urteil vom 23.03.2021 – B 8 SO 14/19 R).

2. Der Umstand, dass es sich bei den Vermietern um die Eltern des Volljährigen Empfängers handelt, steht der Anwendung des § 42a Abs. 4 Satz 2 SGB XII nicht entgegen.

3. Für die Anwendung von § 42a Abs. 4 Satz 2 SGB XII ist es ausreichend, dass die leistungsberechtigte Person mit dem Vermieter der Wohnung oder einem anderen Mieter einen gesonderten Mietvertrag über die ihr allein zur Nutzung überlassenen Räume und die gemeinschaftlich genutzte Mietfläche abgeschlossen hat (BT-Drs. 18/9984, S. 94). Das ist hier der Fall. Der Kläger hat im Haus seiner Eltern 2,5 Zimmer und ein Bad angemietet und er ist berechtigt, die Gemeinschaftsräume mitzubenutzen.

4. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung setzt keine Kostensenkungsaufforderung voraus. Sie ist auch dann durchzuführen, wenn die Unterkunftskosten – wie hier – angemessen sind und daher nicht gesenkt werden können. Die Vorschrift ist über den Wortlaut hinaus auch dann anzuwenden, wenn die anderen Bewohner nicht Mieter, sondern wie hier Eigentümer der Unterkunft sind (Urteil des Senates vom 07.04.2022 – L 9 SO 139/21).

Quelle: www.justiz.nrw.de

Hinweis von Tacheles e. V. zum SGB II:
Eine Vorschrift wie in § 42a Abs. 4 Satz 1 SGB XII existiert im SGB II nicht.

Im SGB II gilt:
Wenn ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter nicht mit anderen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, ist bei der Bestimmung der angemessenen Aufwendungen der Unterkunft nach der Produkttheorie allein auf ihn als Einzelperson abzustellen (BSG-Urteil vom 25.04.2018 – B 14 AS 14/17 R -).

Anmerkung von Tacheles e. V. zu diesem Urteil:
Der Verein Tacheles e. V. begrüßt die Entscheidung des 9. Senats des LSG NRW, denn immer noch und viel zu oft, wird Hilfebedürftigen, Kranken und sogar geistig Behinderten – wie hier geschehen – ein ” Scheingeschäft” unterstellt.

Die Behörden vertreten immer noch die Meinung, hier wolle man sich Sozialleistungen erschleichen.

Doch das ist völlig rechtswidrig, sagt der Verein Tacheles, denn es ist auf den Einzelfall abzustellen.

Im SGB XII (Sozialhilfe) hat der Gesetzgeber extra dafür zum 01.01.2024 den § 42a Abs. 4 Satz 1 SGB XII und § 42a Abs. 4 Satz 2 SGB XII geschaffen.

Eine Missbrauchskontrolle wird dadurch sichergestellt, dass gem. § 42a Abs. 4 Satz 2 HS 2 SGB XII die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bis zu dem Betrag als Bedarf anzuerkennen sind, der für einen Einpersonenhaushalt angemessen ist, soweit der von der leistungsberechtigten Person zu zahlender Mietzins zur gesamten Wohnungsmiete in einem angemessenen Verhältnis steht. Die Vorschrift verlangt damit die Angemessenheit der Kosten für einen Einpersonenhaushalt und ein angemessenes Verhältnis der Miete zu den gesamten Aufwendungen.

Die immer noch veraltete Ansicht der Sozialhilfe- Behörden aber auch der JobCenter:
Die Gedankenfolge: “Die Behörde zahlt nicht, dann kann auch der hilfebedürftige Antragsteller die Miete nicht zahlen, dann ist es ein Scheingeschäft und dann zahlt die Behörde nicht”, ist ein vollständiger Fehlschluss sagt Tacheles e. V.!

verurteilen wir auf das Schärfste!

Ein Scheingeschäft kann auch nicht damit begründet werden, dass der Hilfebedürftige den Mietzins nicht aus eigenen Mitteln bezahlten könnte, weil dies regelmäßig Teil der Hilfebedürftigkeit ist (Bayerisches LSG, Urteil vom 19.05.2011 – L 7 AS 221/09). Es kommt nicht darauf an, ob ein Hilfebedürftiger den Mietzins aus eigenen Mittel wird bezahlen können.

Im Gegenteil: Der Betroffene stellt einen Antrag auf Leistungen, weil er hilfebedürftig ist und sein Existenzminimum, also auch die Miete, nicht selbst sicherstellen kann (BSG, Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 37/08 R).

Betroffene sollte sich an Erwerbslosenvereine, Rechtsanwälte aber auch gerne an den Verein Tacheles wenden – hier wird Ihnen gerne geholfen, denn wir stehen für Gerechtigkeit für Jedermann!

Rechtstipp zum SGB II (das Gesagte dort gilt auch im SGB XII) vom Verein Tacheles e. V.:
LSG Hamburg, Urt. v. 06.08.2020 – L 4 AS 49/19 –

Tatsächliche, vom Grundsicherungsträger zu übernehmende Aufwendungen i. S. des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB 2 für eine Wohnung liegen nicht nur dann vor, wenn der Hilfebedürftige die Miete bereits gezahlt hat. Ausreichend ist, wenn der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist.

Wird bei einer unter engen Verwandten ausgesprochenen Kündigung des Mietvertrags aus Gründen der Ausbildung oder Erkrankung des Mieters von einer Räumung der Wohnung abgesehen, so ist dies für eine Übernahme der Unterkunftskosten durch den Grundsicherungsträger unschädlich.

Wir erinnern uns: Barrierefreiheit im Jobcenter:
Datenschutz ist kein Grund für Ungleichbehandlung – SG Hamburg, Urt. v. 30.06.2023 – S 39 AS 517/23 (Tacheles Rechtsprechungsticker KW 34/2023 – Barrierefreie Zugänglichmachung von Bescheiden für Blinde und Sehbehinderte Bürgergeld-Empfänger (Tacheles e. V.)

5. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

5.1 – BSG zum Vorrang von landesrechtlichen Bestattungspflichten bei Erbausschlagung

Redaktion eGovPraxis Sozialhilfe
Das BSG hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Erbausschlagung einer nach Landesrecht vorrangig zur Bestattung verpflichteten Person diese von ihrer Verpflichtung entbindet.

weiter: www.wolterskluwer.com

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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker